Am Anfang hatte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) einen klaren Plan: Sie werde, kündigte Nahles im November 2015 in der Süddeutschen Zeitung an, die Leiharbeit per Gesetz "in geordnete Bahnen lenken und festlegen, wo der Missbrauch anfängt". Denn nach wie vor gebe es Missbrauch. "Einer der größten ist, dass Arbeitgeber Leiharbeiter teilweise extrem lange einsetzen, ohne dass sich aus dem betrieblichen Ablauf erschließt, warum das so sein muss. Das Ganze ist am Ende des Tages nur Lohndrückerei und setzt damit auch die Stammbelegschaften unter Druck", sagte die Ministerin.
Knapp ein Jahr später ist Nahles am Ziel. An diesem Freitag wird der Bundestag die neuen Regeln für die knapp eine Million Leiharbeiter verabschieden. 2017 tritt das Gesetz in Kraft. Doch nun hat der unabhängige Wissenschaftliche Dienst des Bundestags den Kritikern, die schon immer gesagt haben, dass Nahles' Gesetz nicht weit genug gehe, eine Steilvorlage geliefert: In einem Gutachten des Dienstes wird deutlich davor gewarnt, dass trotz des neuen Gesetzes Unternehmen weiter die Leiharbeit missbrauchen könnten.
Leiharbeiter, die von ihrem Arbeitgeber an andere Betriebe ausgeliehen werden, erhalten künftig nach neun Monaten für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn wie die Stammbelegschaft. Dieser Equal-Pay-Grundsatz soll verhindern, dass Unternehmen Leiharbeiter dauerhaft einsetzen statt nur vorübergehend, um Auftragsspitzen abzufangen. Denn aus dem Vorübergehend seien in manchen Fällen "sieben, acht, neun Jahre" geworden, sagte Nahles.
Missbrauch durch Rotationslösung bleibt nach wie vor möglich
Die Gutachter des Bundestags, die die Abgeordneten bei ihrer Arbeit unterstützen sollen, sehen aber nach wie vor Schlupflöcher: "Tatsächlich bleibt nach dem Gesetzentwurf eine Rotationslösung denkbar, wenn ein Verleiher beispielsweise zwei Leiharbeitnehmer halbjährlich wechselnd in zwei Entleih-Betrieben einsetzt", heißt es in der Ausarbeitung, die der SZ vorliegt. Die Gutachter verweisen auf Arbeitsrechtler, die das "Pingpong" und "Karussell-Gestaltungen" nennen, und schreiben: "Insoweit wird die betriebliche Praxis zeigen müssen, inwieweit die Regelungen des Änderungsentwurfs Umgehungen des Equal Pay tatsächlich verhindern."
Bedenken der Gutachter gibt es auch bei einem anderem Kernpunkt des Gesetzes. Leiharbeiter sollen künftig nur 18 Monate in einem Betrieb bleiben dürfen. Danach muss der Einsatzbetrieb sie übernehmen oder zurück an den Verleiher geben. Liegen dabei zwischen zwei Einsätzen des Leiharbeitnehmers bei demselben Entleiher nicht mindestens drei Monate, werden die Einsatzzeiten addiert. Dazu merkt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags kritisch an: "Im Ergebnis wird es nach dem Gesetzesentwurf möglich bleiben, Arbeitsplätze langfristig mit Leiharbeitnehmern zu besetzen, sofern diese spätestens nach 18 Monaten ausgetauscht werden."
Ein Leiharbeiter werde auch weiter "wiederholt auf dem gleichen Arbeitsplatz des Entleihers eingesetzt werden können, sofern seit seinem letzten Einsatz beim Entleiher mindestens drei Monate vergangen sind". Insoweit seien auch hier "Rotationslösungen" denkbar. Inwieweit sich durch das Gesetz Missbrauch eindämmen lasse, "wird die Praxis zeigen müssen".
Nahles ursprünglicher Entwurf sei "kleingehäckselt" worden
Beate Müller-Gemmeke, Sprecherin für Arbeitsrecht bei den Grünen, fühlt sich durch die Einwände bestätigt. Sie bezeichnet das Gesetz als "Nebelkerze, von dem nur die wenigsten Leiharbeitskräfte profitieren". Die Betriebe könnten weiter "dauerhaft wechselnde Leiharbeitskräfte nutzen". Die Abgeordnete fordert stattdessen, den gleichen Lohn für gleiche Arbeit vom ersten Tag an einzuführen, was die Arbeitgeberverbände strikt ablehnen.
Nahles hätte gern mehr durchgesetzt, scheiterte aber am Widerstand des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall und der CSU. So stellte sie es vor ein paar Tagen bei einer Tagung in Frankfurt dar. Ihr ursprünglicher Entwurf, sagte sie, sei "kleingehäckselt" worden.