Süddeutsche Zeitung

Arbeitsrecht:Ein Mann kämpft gegen das "System Lutz"

Lesezeit: 3 min

Der Möbelhändler XXXLutz lagert Hunderte Mitarbeiter in Service-Gesellschaften aus - und zieht sich durch ein kompliziertes Konstrukt aus der Verantwortung. Ein Münchner Gewerkschafter kämpft dagegen.

Von Katja Riedel, München

Dirk Nagel schläft in diesen Tagen sehr schlecht. Denn er hat eine Entscheidung getroffen: Im Kampf gegen seinen Intimfeind wird er in eine neue Runde gehen. Und der führt drei große "X" vor dem Namenszug Lutz. Nagel, der Gewerkschaftssekretär aus München, kämpft seit mehr als fünf Jahren gegen den österreichischen Möbelhändler. In der Zentrale im österreichischen Wels ist sein Name ein rotes Tuch. Nagel sagt, dass es ihm um das große Ganze gehe: um das "System Lutz", das hinter der rasend schnellen Expansion der Möbelfirma stecke.

Nagels aktueller Kampf dreht sich vordergründig um Sozialplan und Abfindungen für 160 ehemalige Münchner Mitarbeiter. Bis zum 6. Oktober vergangenen Jahres arbeiteten sie im XXXL-Möbelhaus auf der Theresienhöhe, einem Geschäftskomplex nahe der Innenstadt, der früher ein Karstadt-Einrichtungshaus war. Als Karstadt den Laden abstieß, übernahm Lutz. Schon damals gab es Ärger, weil sich nicht alle Mitarbeiter zwingen lassen wollten, ihre alten gegen deutlich unattraktivere Arbeitsverträge einzutauschen. Doch der damalige Eklat war nichts gegen das, was nach dem 6. Oktober folgte.

Nach Feierabend trommelte die Geschäftsleitung die Münchner Truppe zusammen und verkündete das Aus. Über Nacht. Als in der folgenden Woche der Ausverkauf startete, war keiner der Münchner Mitarbeiter mehr dabei. Das übernahmen Lutz-Mitarbeiter von auswärts, die man eilig hergekarrt hatte. Es begann eine Zeit, in der sich Gewerkschaft, Betriebsräte und Lutz-Vertreter nur noch an Verhandlungstischen trafen. Es ging dabei auch um Geld, um Abfindungen. Vor allem ging es aber darum, ob Lutz Deutschland ein Konzern ist und somit in der Pflicht, für die geschassten Mitarbeiter zu sorgen.

Das Geld fließt in eine andere Unternehmensgruppe

Und das ist keine einfache rechtliche Frage. Auch wenn man Lutz nüchterner betrachtet als Verdi, ist das System, nach dem Lutz sich strukturiert hat, ziemlich bemerkenswert. 28 XXXL-Möbelhäuser gibt es in Deutschland, die meisten davon im Süden, dazu kommen 25 Mömax- und fünf Sparkauf-Märkte. Sie alle gehören zur BDSK aus Würzburg, die so etwas ist wie der deutsche Teilkonzern. Die BDSK ist Teil der österreichischen RAS Beteiligungsgesellschaft. Und diese steuert zum Umsatz der Lutz-Gruppe mit 1,7 Milliarden Euro den größten Brocken bei.

Bemerkenswert: Die RAS hat keinen einzigen deutschen Mitarbeiter, obwohl in Deutschland etwa 9000 Menschen für Lutz arbeiten. Denn seit etwa vier Jahren gibt es statt eines Konzerns ein kompliziertes Konstrukt aus Hunderten von Gesellschaften. Gemeinsamer Nenner: Die Mitarbeiter sind überall, wo rechtlich möglich, in Service-Gesellschaften ausgelagert. Gesellschaften ohne Vermögen. Umsatz, Immobilien, Rechte - alles, was Geld bringt, gehört zu einem anderen Strang der Gruppe. Alles endet in Wels, jedoch bei unterschiedlichen Teilen der selben Familie: den Seifert-Brüdern Andreas und Richard, deren Mutter Gertraude, die 1945 in Haag am Hausruck den ersten Laden eröffnete. Inzwischen gehören zur Lutz-Gruppe fast 200 Möbelhäuser in ganz Europa, mit 18 500 Mitarbeitern.

Aber wer zahlt für sie, wenn Lutz ein Haus schließt? Verdi sieht die deutsche BDSK mit ihrer österreichischen Mutter in der Pflicht; jenes Unternehmen also, dem es blendend zu gehen scheint. Immerhin konnte man sich 2013 über eine Eigenkapitalrendite von gut 20 Prozent freuen. Doch bei Lutz sieht man das anders. Dafür spricht zumindest ein Schreiben, das Mitte August einen ehemaligen Münchner Arbeitsrichter erreichte und den Streit eskalieren ließ. Der Mann leitet die Einigungsstelle, in der sich Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite endlich auf einen Sozialplan verständigen sollen.

"Absolut keine Verpflichtung rechtlicher Art"

Abgeschickt hat den Brief das "Sekretariat Dr. Andreas Seifert", er selbst und einer seiner hochrangigsten Manager, Roland Werner, haben unterzeichnet - im Namen einer GmbH, der die kleinen Personalgesellschaften unterstehen. Es dürfe "außer Streit sein", dass die Gesellschaften, in denen die Münchner Mitarbeiter angestellt waren, "nicht annähernd in der Lage sein werden", die Summe aufzubringen, die der Leiter der Einigungsstelle als angemessen vorgeschlagen habe, nämlich 2,5 Millionen Euro.

Man sei, "ohne Anerkenntnis einer jeden Rechtspflicht rein freiwillig bereit", für einen gewissen Betrag einzuspringen, "obwohl wir absolut keine Verpflichtung rechtlicher Art sehen", maximal 1,75 Millionen Euro. Diesem "großzügigen Vorschlag" solle man zügig zustimmen, denn: Das Geld fließe nur dann, wenn man sich an diese Höchstgrenze halte, "anderenfalls nicht".

Richter stimmt gegen seinen eigenen Vorschlag

Am Mittwoch traf man sich wieder. Und der ehemalige Richter stimmte nun gegen seinen eigenen 2,5 Millionen-Vorschlag, gemeinsam mit den Lutz-Vertretern. Er schlug vor, sich auf 2,1 Millionen Euro zu verständigen. Abgestimmt wurde darüber nicht mehr, Lutz behauptete jedoch, man hätte diese Summe unterschrieben. Verdi und Betriebsrat stellten einen Befangenheitsantrag gegen den Richter. Dieser habe sich einschüchtern lassen. Sich von den Seiferts die Bedingungen diktieren lassen, auf Kosten der Mitarbeiter, das wolle man keinesfalls, sagt Gewerkschaftssekretär Nagel. Bei künftigen Schließungen könne das teuer werden, fürchtet er.

Verdi und Nagel hätten eine Einigung "mit aller Macht verhindert", argumentiert dagegen Helmut Götz, Mitglied der XXXLutz-Geschäftsleitung. "Dies wäre ein fairer Kompromiss gewesen, mit dem wir unsere rechtliche und moralische Verantwortung als Arbeitgeber in vollem Maße erfüllt hätten." Schließlich hätten die Mitarbeiter noch fünf Monate lang Lohn erhalten.

"Es wäre schön, wenn XXXLutz der Arbeitgeber der Mitarbeiter wäre", sagt Dirk Nagel. Er will, dass sich auch die Politik dieser Thematik annimmt und Firmenkonstrukte wie dieses künftig verbietet. München ist für ihn ein Exempel. Und Lutz ein Beispiel, das keinesfalls Schule machen dürfe.

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SZ vom 25.08.2014
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