Die Bundesregierung darf bestimmte Arbeitnehmer nicht einfach vom geplanten Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro ausnehmen. Dies kann gegen den Grundsatz im Grundgesetz verstoßen, alle Menschen gleich zu behandeln.
Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen demnach vor allem beim Ausschluss von Rentnern und Studenten vom Mindestlohn, wie ihn Unionspolitiker fordern.
In dem Gutachten, das die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen, Brigitte Pothmer, in Auftrag gegeben hatte, heißt es: Der allgemein verbindliche Mindestlohn sei eine Schutzvorschrift für Arbeitnehmer. Ausnahmen davon könnten "eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung darstellen, wenn die in Rede stehende Personengruppe zu den Arbeitnehmern zu zählen ist und sich von der allgemeinen Gruppe nicht so wesentlich unterscheidet, dass eine unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt wäre". Dies gelte prinzipiell auch für Saisonarbeiter, Rentner oder Studenten mit Arbeitsvertrag.
Untergrenze "systematisch unterlaufen"
Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) hatte gesagt, ein Rentner, der sich etwas dazuverdient, müsste nicht den Mindestlohn-Regeln unterliegen. CSU-Chef Horst Seehofer hatte dies als "nicht abwegig" bezeichnet. Ähnlich hatte sich CDU-Vize Julia Klöckner geäußert. Diese Zubrot-Formel wird in dem Gutachten jedoch als besonders problematisch angesehen: Der soziale Status und die Tatsache, dass es womöglich um einen Zuverdienst gehe, könne noch keine Abweichung vom Gleichheitsgrundsatz begründen.
Mit der Zubrot-Formel der Union "könnte auch jeder erwerbstätigen Frau mit gut verdienendem Ehepartner der Mindestlohn vorenthalten werden - und umgekehrt", sagte Grünen-Politikerin Pothmer.
Große Gruppen von den 8,50 Euro auszuschließen, berge die Gefahr, dass die Untergrenze "systematisch unterlaufen und ein neues Niedriglohnheer unterhalb des Mindestlohns gebildet wird". Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hatte sich bereits gegen Ausnahmen gewandt. Diese fordern Wirtschaftsverbände auch für Langzeitarbeitslose, Taxifahrer oder Jugendliche.
Rechtlich unproblematisch sind laut dem Bundestags-Gutachten Ausnahmen bei ehrenamtlich Tätigen, Auszubildenden oder Praktikanten in der Ausbildung, weil es sich hierbei nicht um Arbeitnehmer handelt. Dass für diese Gruppen der Mindestlohn nicht gelten soll, ist in der Koalition mittlerweile unumstritten. Bei Saisonarbeitern sind laut Koalitionsvertrag ebenfalls Sonderregeln angedacht, was zumindest nach dem Gutachten juristisch schwieriger umzusetzen sein dürfte.
Mindestlohn nach Alter gestaffelt?
In dem Papier wird auch darauf hingewiesen, dass Ausnahmen bei Jugendlichen und jungen Arbeitnehmern gerechtfertigt sein könnten, um "falsche Anreize zu vermeiden. Jugendliche sollten mit der Aussicht auf eine Entlohnung nach Mindestlohn nicht verleitet werden, auf eine Berufsausbildung zu verzichten."
Viele EU-Staaten wie die Niederlande oder Großbritannien haben daher für diese nach Alter gestaffelte Mindestlöhne eingeführt.