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Arbeitsmarkt - Wiesbaden:Arbeitsmarkt: Ukraine-Flüchtlinge spielen kaum eine Rolle

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Frankfurt/Main (dpa/lhe) - Mitten im Gewimmel des Frankfurter Hauptbahnhofs sitzen Oksana Tryndiuk und Zhanna Sirchenko im Beratungszentrum der Deutschen Bahn für ukrainische Flüchtlinge, vor ihnen Mikrofone von Radio- und Fernsehsendern. Gewohnt sind sie eine solche Aufmerksamkeit nicht, die 29-jährige Tryndiuk arbeitete im Marketing, die zehn Jahre ältere Sirchenko in der Finanzabteilung eines großen Bauunternehmens. Doch das war vor dem Krieg. Beide Akademikerinnen sind von Kiew ins Rhein-Main-Gebiet geflüchtet, seit Anfang März sind sie hier - und wollen nun bei der Deutschen Bahn arbeiten. "Ich habe durch die sozialen Medien von dem Projekt erfahren", erzählt Tryndiuk.

Damit meint sie das extra Jobprogramm der Deutschen Bahn AG gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit, bei dem sich geflüchtete Menschen in drei Beratungszentren zunächst einmal über den deutschen Arbeitsmarkt informieren können. Bislang wurden nach Angaben von Bahn und Agentur 1700 entsprechende Gespräche geführt, darunter 300 im Frankfurter Hauptbahnhof. Zudem werden den Menschen Orientierungskurse mit integriertem Sprachkurs angeboten.

Denn die Geflüchteten sind wie Tryndiuk und Sirchenko zwar oft beruflich hoch qualifiziert, wie Bahn-Personalvorstand Martin Seiler erklärt. "Das Problem sind die Sprachkenntnisse." In den Kursen büffeln die Menschen aus der Ukraine deshalb jeden Tag bis zu sieben Stunden lang deutsche Vokabeln und Grammatik, auch Tryndiuk und Sirchenko sind dabei. "Ich bin dankbar für diese Möglichkeit", übersetzt ein Dolmetscher die Wort Sirchenkos.

Anschließend werden die beiden Ukrainerinnen, die auch nach Kriegsende in Deutschland bleiben wollen, für die Deutsche Bahn arbeiten. In welcher Position das sein wird, steht noch nicht fest. Laut Seiler werden Flüchtlinge etwa als Dolmetscher oder Ingenieure eingestellt. Bislang gibt es 30 entsprechende Arbeitsverträge. Gemessen am Bedarf der Deutschen Bahn an neuen Arbeitskräften fallen die Ukrainer allerdings kaum ins Gewicht, das Unternehmen sucht Tausende neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Auch generell spielen die Flüchtlinge aus der Ukraine auf dem hessischen Arbeitsmarkt keine große Rolle. Die hauptsächlichen Hürden sind fehlende Sprachkenntnisse und Kinderbetreuungsplätze, wie der Chef der Regionaldirektion der Arbeitsagentur, Frank Martin, erklärt. Das bestätigt der Hessische Industrie- und Handelskammertag (HIHK) in Wiesbaden. Bei den Flüchtlingen handle es sich oft um Frauen mit Kindern, die zudem perspektivisch in ihre Heimat zurückkehren wollten und deshalb erst einmal zurückhaltend bei der Aufnahme einer Tätigkeit seien, sagt ein Sprecher. Deshalb hätten bisher relativ wenige Geflüchtete aus der Ukraine eine Arbeit in Hessen angenommen. 

Dabei seien die behördlichen Hürden für die Arbeitsaufnahme überschaubar. Man hoffe, im Verlauf dieses Jahres die Geflüchteten in den Arbeitsmarkt integrieren zu können, was angesichts der oft guten Ausbildung der Menschen relativ leicht falle. Dabei seien die Berufsbilder, in denen die Menschen in der Ukraine gearbeitet hätten, ganz gemischt - von der Kosmetikerin über IT-Mitarbeiter bis hin zum Akademiker.

Dass sich mit Hilfe der Ukrainerinnen und Ukrainer der Fachkräftemangel in Deutschland beheben lasse, glaube man aber nicht, sagt der Sprecher - und das könne auch nicht das Ziel sein. Vor allem müsse es darum gehen, den Menschen Sicherheit und Schutz vor dem Krieg zu bieten. Für den Fachkräftemangel sei in erster Linie der demografische Wandel verantwortlich, der sich nur mit Maßnahmen wie der Aktivierung aller Arbeitskräfte, Stärkung der Ausbildung und zielgerichteter, qualifizierter Zuwanderung mildern oder beheben lasse.

Ähnlich sieht es das Gastgewerbe. Auf Basis von Branchenumfragen in Hessen und individuellen Rückmeldungen geht der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes Dehoga Hessen, Julius Wagner, davon aus, dass bereits in rund 1000 Gastronomiebetrieben im Bundesland ukrainische Geflüchtete tätig sind. Das entspreche einem Anteil von etwa 14 Prozent der relevanten Unternehmen der Branche in Hessen. "Dabei handelt es sich um Aushilfen durch Minijobs, aber auch Teil- und Vollzeitbeschäftigte", sagt Wagner. Der enorme Fachkräftebedarf in der Branche lasse sich dadurch aber nicht beheben.

© dpa-infocom, dpa:220701-99-869988/4

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