Arbeitsmarkt:Lasten in Milliardenhöhe

Die Warnzeichen mehren sich: Bald werden die Arbeitslosenzahlen wieder hochschnellen. Die nächste Bundesregierung wird viele Probleme zu bekämpfen haben.

Thomas Öchsner

3,472 Millionen Arbeitslose im August 2009 - diese Zahl war für die große Koalition in dieser Woche ein Grund, sich einmal ein bisschen zu feiern. Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) lobte sich selbst und erklärte, es sei "das Ergebnis kluger politischer Entscheidungen", dass die verheerendste Wirtschaftskrise der deutschen Nachkriegszeit in der Statistik der Jobvermittler bislang nur geringe Spuren hinterlässt. Die Union wollte dem nicht nachstehen, sie lobte ihrerseits "das kluge Krisenmanagement von Angela Merkel".

Arbeitsmarkt, dpa

Auf dem Arbeitsmarkt dürfte das Schlimmste noch bevorstehen, prognostizieren Experten.

(Foto: Foto: dpa)

Tatsächlich sieht knapp vier Wochen vor der Bundestagswahl die Abschlussbilanz der Koalition nicht ganz so gut aus, vor allem wenn man einen Blick hinter die nackten Zahlen der Statistiker wirft: Auf dem Arbeitsmarkt dürfte das Schlimmste noch bevorstehen. Bei der Betreuung der Langzeitarbeitslosen läuft weiter vieles schief. Und in den Kassen der Arbeitslosenversicherung fehlen bald so viele Milliarden wie nie zuvor.

An einer Zahl ist nicht zu rütteln: Als Merkel im November 2005 die Ära des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder beendete, waren 4,53 Millionen Menschen offiziell als arbeitslos registriert, jetzt sind es gut eine Million weniger. Dieses Job-Wunder hat aber nicht Angela Merkel vollbracht. Von der Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 2,8 Prozent abgesehen, hat die Koalition in vier Jahren fast nichts beschlossen, was dazu beitragen konnte, langfristig mehr Jobs zu schaffen.

Erfolg der rot-grünen Bundesregierung

Scholz hat mehr Vermittler in den Arbeitsagenturen eingestellt. Schwarz-Gelb schaffte die Ich-AG ab. Und die sogenannten arbeitsmarktpolitischen Instrumente wurde neu sortiert. Das war es aber auch schon. Was ausländische Beobachter als deutsche Erfolgsgeschichte auf dem Arbeitsmarkt bewunderten, ist vor allem auf den Aufschwung von 2005 bis ins Jahr 2008 zurückzuführen - und auf die Arbeitsmarktreformen, die die rot-grüne Bundesregierung zuvor durchsetzte.

Welchen Anteil die Reformen an dem deutschen Job-Wunder haben, lässt sich nicht genau beziffern. Joachim Möller, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), ist sich aber sicher, dass sie "der Verhärtung der Langzeitarbeitslosigkeit entgegengewirkt haben". Die Betriebe könnten unattraktive Stellen leichter besetzen. "Die Bewerber waren zu mehr Kompromissen hinsichtlich Lohn und Arbeitsbedingungen bereit", sagt Möller. Arbeiten, egal was, das ist für viele offenbar noch besser, als von Hartz IV leben zu müssen.

Doch Warnzeichen mehren sich: Der Arbeitsmarkt hinkt der Wirtschaft immer gute sechs Monate hinterher, und schon jetzt sind etwa eine halbe Million Menschen mehr arbeitslos als im November 2008. Die Frage ist nun, wie lange das von der Bundesregierung gespannte Sicherheitsnetz noch hält und die Kurzarbeit Massenentlassungen verhindert. Springt die Konjunktur nicht wieder an und bleiben Aufträge weiter aus, hätte die Kurzarbeit den Anstieg der Arbeitslosigkeit nur verzögert. Die Betriebe müssten dann trotzdem in großem Stil Personal abbauen. Ob dieses Horrorszenario eintritt, weiß im Moment niemand.

Folgen der hohen Arbeitslosigkeit

Sicher ist: Spätestens von Oktober an werden die Arbeitslosenzahlen hochschnellen. Das gilt auch dann, wenn die Gerüchte nicht stimmen, wonach es ein Abkommen zwischen Wirtschaft und Politik gibt, Massenentlassungen auf die Zeit nach der Wahl zu verschieben. 2010 dürfte sich die Zahl der Arbeitslosen mit mehr als vier Millionen deshalb wieder auf die Marke zubewegen, die vor dem Abschied Schröders aus dem Kanzleramt die Republik erschütterte.

Die Folge sind große Löcher in der Kasse der Bundesagentur für Arbeit (BA). Auf bis zu 50 Milliarden Euro könnte sich der Schuldenberg der BA bis 2013 türmen. Die neue Regierung muss deshalb entweder den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung wieder deutlich erhöhen. Oder der Finanzminister, der ohnehin auf eine Rekordverschuldung zusteuert, muss mehr Geld aus Steuermitteln für die Arbeitslosen lockermachen. Dies aber sind Themen, die die Regierungsparteien im Wahlkampf lieber klein halten.

Zukunft der Jobcenter ungewiss

Das Milliardenloch bei der Bundesagentur ist nicht die einzige Erblast der Koalition, die sie der neuen Bundesregierung überlässt: Ungeklärt ist nach wie vor die Zukunft der Jobcenter, in denen die BA und kommunale Träger gemeinsam die knapp sieben Millionen Hartz-IV-Empfänger betreuen. Die nächste Regierung muss nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts über eine rechtlich neue Grundlage für die Jobcenter entscheiden. Die formale Neuordnung ist das eine. Viel wichtiger ist jedoch die Frage, ob das Hartz-IV-System wirklich effektiv und gerecht ist. Hier gibt es viele Baustellen, auf denen die Koalition ihre Arbeit nicht zu Ende gebracht hat.

"Fördern und fordern" war die Devise bei Hartz IV. Die Forscher des IAB kritisieren aber, dass die individuelle Betreuung, die für den Vermittlungserfolg so wichtig ist, oft noch nicht ausreichend gelingt. Das gilt gerade für Personen mit besonderen Schwierigkeiten, egal ob dies Alleinerziehende, unter 25-Jährige oder ältere Arbeitslose sind.

Ein anderes Problem sind die inzwischen 6,5 Millionen Niedriglöhner, zu denen auch immer mehr Vollbeschäftigte gehören. Die neue Bundesregierung muss klären, ob dies so bleiben soll, ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn und/oder eine Reform der Hartz-IV-Reform nötig ist. Andere Länder wie Dänemark zeigen, dass eine niedrige Arbeitslosenrate auch ohne Ausbau des Niedriglohnsektors möglich ist. Für große Reformen scheinen in Deutschland derzeit jedoch die Mehrheiten zu fehlen.

Wie die Parteien Arbeitsplätze schaffen wollen

CDU/CSU

Die Union fordert "Arbeit für alle". Um dies zu erreichen, "müssen wir mehr denn je eine Bildungs- und Qualifizierungsoffensive starten", heißt es in dem Regierungsprogramm 2009 - 2013. CDU/CSU verzichten dabei darauf, konkrete Zahlen zu nennen. Die Union ist gegen einen einheitlichen Mindestlohn, weil dies "Aufgabe der Tarifpartner bleibt". Stattdessen sprechen sich CDU/CSU für ein Mindesteinkommen aus, "eine Kombination aus fairen Löhnen und ergänzenden staatlichen Leistungen".

Die Union will aber ein Verbot sittenwidriger Löhne gesetzlich klarstellen, um Lohndumping zu verhindern. Die Minijobs, der Kündigungsschutz und die Bundesagentur für Arbeit sollen erhalten bleiben. Den Freibetrag beim Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger wollen CDU/CSU "wesentlich erhöhen" und selbstgenutzte Immobilien stärker schützen. Die Regeln für den Hinzuverdienst will die Union so ändern, dass dies die Anreize zur Arbeit verstärkt.

SPD

SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier will bis zu vier Millionen neue Arbeitsplätze in den nächsten zehn Jahren schaffen. Die neuen Jobs sollen unter anderem durch den Ausbau von erneuerbaren Energien, der Umwelttechnik, der Gesundheitswirtschaft und anderen Dienstleistungen entstehen. In ihrem Wahlprogramm spricht sich die SPD für einen Mindestlohn von 7,50 Euro die Stunde aus. Die Sozialdemokraten wollen "die Ausweitung unsicherer Beschäftigungsverhältnisse eindämmen", die Minijobs auf 15 Wochenstunden begrenzen und Leiharbeiter rechtlich besser absichern. Die SPD verspricht, die Hartz-IV-Regelsätze regelmäßig zu prüfen und gegebenenfalls eine "bedarfsgerechte Erhöhung" durchzusetzen. Ein konkreter Betrag wird nicht genannt. Beim Schonvermögen will die Partei Langzeitarbeitslose besserstellen: "Vermögen, das der privaten Altersvorsorge dient, wird nicht auf das Arbeitslosengeld angerechnet."

Grüne

Die Grünen wollen in den nächsten vier Jahren eine Million neue Arbeitsplätze schaffen. Der Ausbau der erneuerbaren Energien, neue Schienen- und Energienetze, ein besserer öffentlicher Nahverkehr bringe neue Arbeit. Die Partei gibt für dieses Programm keine konkrete Summe an. Finanziert werden soll der "Green New Deal" aber unter anderem durch eine einmalige Vermögensabgabe, einen höheren Spitzensteuersatz und höhere Steuern auf große Erbschaften. Die Grünen sprechen sich dafür aus, die Hartz-IV-Regelsätze für Erwachsene auf 420 Euro anzuheben. Der gesetzliche Mindestlohn soll 7,50 Euro je Stunde betragen. Für alle Einkommen bis 2000 Euro sollen die Sozialversicherungsbeiträge langsam und stufenlos steigen, um Geringverdiener zu entlasten. Minijobs sollen wegfallen. Die Partei will Leiharbeiter besserstellen. "Sie müssen vom ersten Tag an wie die Stammbelegschaft bezahlt und behandelt werden", so die Grünen.

FDP

Die FDP will alle steuerfinanzierten Sozialleistungen in einem Bürgergeld zusammenfassen. Für einen Alleinstehenden ohne Kinder soll es im Durchschnitt 662 Euro pro Monat betragen. Dieser Betrag entspreche den Durchschnittsausgaben für Grundleistung, Unterkunft und Heizung eines Hartz-IV-Empfängers. Die Liberalen wollen die Aufnahme einer eigenen Erwerbstätigkeit stärker fördern. Verdient ein Arbeitsloser sich etwas hinzu, soll deshalb mehr als bisher anrechnungsfrei bleiben. eshalb sollen auch die Einkommensgrenzen für Minijobs ohne Abgaben für Arbeitnehmer von 400 auf 600 Euro steigen.Das Schonvermögen für private oder betriebliche Altersvorsorge will die FDP auf 750 Euro je Lebensjahr verdreifachen. Die Liberalen lehnen Mindestlöhne ab. Der Kündigungsschutz soll erst für Betriebe mit 20 Mitarbeitern und nach zwei Jahren Beschäftigung gelten. Die FDP will die Bundesagentur für Arbeit auflösen. Die Aufgaben der Arbeitsagenturen und Jobcenter sollen die Kommunen übernehmen, weil diese "bürgerfreundlicher" arbeiteten.

Die Linken

Die Linken wollen zwei Millionen neue Arbeitsplätze schaffen. Jährlich 100 Milliarden Euro an öffentlichen Investitionen sollen deshalb in Bildung, Gesundheit, Klimaschutz und Verkehr fließen. Vorgesehen ist zusätzlich ein "Zukunftsfonds, der mit 100 Milliarden Euro ausgestattet ist". Dieser soll Unternehmen zur Verfügung stehen, "die sich in Produkten und Verfahren sozial und ökologisch weiterentwickeln wollen". Finanzieren wollen die Linken das Programm auch durch höhere Steuern auf "hohe Einkommen, hohe Erbschaften und Konzerngewinne" sowie eine Millionärssteuer. Die Linke fordert ein Verbot von Massenentlassungen "bei Unternehmen, die nicht insolvenzgefährdet sind", eine paritätische Mitbestimmung in Betrieben ab 100 Beschäftigten und zehn Euro Mindestlohn pro Stunde. Außerdem verlangt die Partei, die Regelsätze für Hartz- IV-Empfänger auf 500 Euro anzuheben. Langfristig ist die Linke für eine Abschaffung von Hartz IV.

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