Arbeitsmarkt für Asylbewerber:Gebt ihnen Jobs

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Vielleicht ist sie hochqualifiziert - doch nach dem beruflichen Werdegang wird bei Asylbewerbern nicht gefragt. (Foto: dpa)

Asylbewerber dürfen in Deutschland nicht arbeiten. Dabei wollen sie es gerne - und die Wirtschaft sucht dringend Fachkräfte. Experten drängen die neue Bundesregierung zu Reformen.

Von Uwe Ritzer

Anerkennung in Deutschland ist eine ziemlich komplizierte Angelegenheit. Auf der entsprechenden Internetseite finden sich Unmengen von Gesetzen, Vorschriften, Daten, Statistiken, Ansprechpartnern, Ämtern und anderen Anlaufstellen. Deutsche Gründlichkeit bis ins kleinste Detail, präzise und bürokratisch.

Es soll tatsächlich Migranten geben, die sich in dem Wirrwarr aus Regeln und Regelbewahrern zurechtgefunden haben: eine Augenoptikerin aus Finnland etwa, eine Ärztin aus Mali, ein Industriemechaniker aus der Türkei. Stolz werden sie unter dem Link "Erfolgsgeschichten" präsentiert.

So lässt das Surfen über die Homepage anerkennung-in-deutschland.de erahnen, warum viele ausländische Fachkräfte einen weiten Bogen um die Bundesrepublik machen: Das Land präsentiert sich unübersichtlich, umständlich und damit unattraktiv.

EU-Bürger haben es noch leicht, sie können innerhalb der Union Wohnsitz und Arbeitsplatz frei wählen. Aber für "Drittstaatler", so der Fachbegriff, ist die Einwanderung nach Deutschland aus beruflichen Gründen im besten Fall ein mühsamer Hürdenlauf. Und ein Personenkreis bleibt sogar ganz außen vor: Asylbewerber. Das ist politisch so gewollt, könnte sich allerdings in absehbarer Zeit ändern.

Hochqualifiziert und doch kein Job

Denn sobald die neue Bundesregierung im Amt ist, wollen die führenden Experten das Thema in Berlin auf die Tagesordnung bringen. Sowohl in der Bundesagentur für Arbeit (BA) als auch im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) wird laut SZ-Informationen intensiv an Konzepten gearbeitet, wie man qualifizierte Asylbewerber in Arbeit bringen kann. "Die Chancen dafür werden immer besser", sagt ein hoher Bundesbeamter, "die zunehmenden Klagen der Wirtschaft über Fachkräftemangel spielen uns in die Karten."

Fachleute kritisieren seit Jahren vergeblich, dass es für Asylbewerber selbst dann keinen Zugang zum Arbeitsmarkt gibt, wenn sie hoch qualifiziert sind und die Wirtschaft sie gut brauchen könnte. Das Grundgesetz verspricht politisch Verfolgten Asyl, nicht aber denen, die aus wirtschaftlichen Gründen kommen. Behörden und Gerichte fragen daher nicht wirklich nach, was einer beruflich kann.

Manfred Schmidt, Chef des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, will das ändern. Bereits im Sommer sprach er sich bei einer Fachtagung in Nürnberg für eine gezielte Fachkräftesuche unter den hier lebenden Flüchtlingen aus. Man könnte, skizzierte Schmidt einen möglichen Weg, vor dem eigentlichen Asylverfahren in einer Eingangsprüfung klären, ob jemand für den deutschen Arbeitsmarkt geeignet ist. Wenn ja, dann könnte man ihm als Arbeitsmigranten einen Aufenthaltstitel geben - und damit elegant die Prüfung umgehen, ob ihm als politisch Verfolgtem Asyl zusteht oder nicht.

Der Rüffel folgte prompt. Sein Vorgesetzter, Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), pfiff den Bamf-Chef zurück und wischte Schmidts Vorschlag schnell vom Tisch. Schmidt äußert sich seither nicht mehr öffentlich zu dem Thema, und auch die Spitze der in Nürnberg nur wenige Hundert Meter Luftlinie entfernten Bundesagentur für Arbeit (BA) hat sich diesbezüglich ein Schweigegelübde auferlegt. Es soll enden, sobald Angela Merkels neue Regierung ihren Dienst antritt.

Ein erster Schritt, so sagen die Experten, müsste sein, die Qualifikationsstruktur der hier lebenden Flüchtlinge zu erfassen. Man weiß zwar, dass voriges Jahr 77.650 Menschen Asyl in Deutschland beantragten und es 2013 vermutlich mehr als 100.000 sein werden. Man weiß auch von weiteren etwa 90.000 Menschen, die nicht abgeschoben werden dürfen und von denen jeder Zweite bereits länger als sechs Jahre in Deutschland lebt. Was man nicht weiß, ist, was all diese Menschen können.

"Da dürfte vom Analphabeten bis zum Akademiker alles dabei sein", vermutet ein Experte der Bundesagentur für Arbeit. Es gibt scheinbar keine amtlichen Statistiken oder Untersuchungen, bislang hat sich einfach niemand darum gekümmert.

Verschüttetes Potenzial

Bildungsexperten aus der Wirtschaft, wie die Nürnberger IHK-Vize-Hauptgeschäftsführerin Ursula Poller, halten diese Ignoranz für einen Fehler. "Ich bin überzeugt, dass es unter diesen Menschen Potenzial gibt, über das man ernsthaft diskutieren muss, weil es für die Wirtschaft interessant wäre", sagt sie.

"Es wäre gut, wenn man die Fähigkeiten derjenigen, die etwas können, auch nutzen könnte", sagt Heike Klembt-Kriegel. Sie ist Chefin der Fosa, einer in Nürnberg angesiedelten Einrichtung, die für 77 der 80 deutschen IHKs ausländische Berufsabschlüsse von Migranten auf die Gleichwertigkeit zu den entsprechenden deutschen Abschlüssen hin überprüft.

Fachkräftemangel als Chance für Asylbewerber

Der Druck auf die politisch Verantwortlichen in Sachen Asylbewerber wächst allein deshalb, weil angesichts des demografischen Wandels die Fachkräftelücke immer größer wird. Studien von McKinsey und Prognos schätzen, dass bereits 2020 zwei und 2030 sogar fünf Millionen Fachkräfte fehlen werden.

Diese Lücke auch mit Asylbewerbern und Geduldeten zu füllen, wird nicht nur wegen der politischen Emotionen beim Thema Asyl nicht einfach. "Es müssten da viele zusammenarbeiten", sagt ein BA-Experte, "Bund, Länder, Kommunen, Ämter, Arbeitsagenturen."

Die Berliner Ausländerrechtsexpertin Esther Weizsäcker plädiert für eine umfassende Lösung: "Die Öffnung des Arbeitsmarktes für Asylbewerber muss einher gehen mit der Erweiterung legaler Zuwanderungsmöglichkeiten." Der lebensgefährliche Weg über inoffizielle Routen wie das Mittelmeer dürfe nicht die einzige realistische Chance für Migranten sein, nach Deutschland zu kommen. "Sonst werden Migranten in die Hände von Schleppern getrieben", warnt Weizsäcker.

Von ebenso umfassenden wie einfachen Lösungen ist man im deutschen Ausländerrecht aber generell weit entfernt. Es splittet sich in eine Vielzahl von Gesetzen, Verordnungen und Bestimmungen auf. Ein schwer durchschaubares Flickwerk, in dem es von Fristen, Regeln und Ausnahmen von den Regeln nur so wimmelt. Sie erlauben den Betroffenen je nach ihrem Aufenthaltsstatus mal mehr, mal weniger und häufig gar keine Arbeit.

Das betrifft nicht nur Asylbewerber, sondern es schreckt auch alle anderen Drittstaatler ab, die von außerhalb der EU nach Deutschland zum Arbeiten kommen wollen. Als am 1. April 2012 das "Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen" in Kraft trat, hofften viele auf einen Durchbruch.

Bis zu 300.000 Drittstaatler könnten in der Folge bei der Fosa die Anerkennung ihrer aus der Heimat mitgebrachten Berufsausbildungen beantragen, hieß es. Tatsächlich gingen in den ersten 18 Monaten ganze 3300 Anträge ein.

In 2300 Fällen bescheinigte Fosa die volle oder zumindest weitgehende Gleichwertigkeit der Abschlüsse. Doch auch wer einen positiven Bescheid aus Nürnberg erhält, hat deshalb noch lange kein Aufenthalts- und Arbeitsrecht hierzulande. Chancen hat nur, wer in einem von der BA ständig neu aufgelisteten Mangelberuf qualifiziert ist. Mechatroniker zum Beispiel, Elektroniker, Alten- oder Krankenpfleger.

So viel Umständlichkeit macht ausländischen Fachkräften prinzipiell wenig Lust auf Deutschland. "Wir haben ein gewaltiges Imageproblem", sagt ein ranghoher Arbeitsmarktexperte. "Deutschland gilt in der Welt als Land der Abschottung." Ein Umstand, an dem auch der Blick ins Internet so schnell nichts ändert.

© SZ vom 07.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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