Arbeitsmarkt:Flüchtlinge als Start-up-Unternehmer

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Viele Flüchtlinge hatten früher eigene Unternehmen - etwa ein Restaurant, wie hier im syrischen Damaskus. (Foto: Itar-Tass/Imago)

Viele Migranten waren in ihrer Heimat selbständig. In Deutschland jedoch sind die Hürden für Gründer hoch. So bleibt ein großes Potenzial ungenützt.

Von Louisa Schmidt, Berlin

Kubba ist eines von Salma Alarmachis Spezialgerichten. Die eierförmigen Klöße aus Bulgur und Hackfleisch hat die 50-Jährige schon damals in Damaskus gerne zubereitet. In der syrischen Hauptstadt hat sie ihr kleines Maklerbüro geleitet und nebenher auch jede Woche für Arme und Waisen gekocht. Was in ihrer Heimat nur ein Ehrenamt war, soll nun ihre Zukunft sein. Die Syrerin hat gerade ihren eigenen Catering-Service gegründet.

Alarmachi wollte nicht warten, bis ihr die Arbeitsagentur einen Job anbieten kann. Die meisten Flüchtlinge müssten bis 2017 warten, bis sie in Jobs vermittelt werden können, schätzt Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). Alarmachi hat der Politik einen Weg aufgezeigt, wie die Integration schneller funktionieren kann: über Selbständigkeit.

"Das Potenzial ist riesig", sagt Jan Pörksen, Geschäftsführer für Existenzgründung bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin. Sind hierzulande nur knapp elf Prozent selbständig, sind es etwa in Syrien 34, in Iran sogar 39. Unternehmer aus dem Ausland seien ein Jobmotor für Deutschland - zu dem Ergebnis kam die Bertelsmann Stiftung im August in einer Studie. Sie gingen ihre Gründungen auch offensiver an als Deutsche. Könnte das auch für Flüchtlinge gelten?

Pörksen und sein Kollege Maik Leonhardt wollten es genauer wissen und befragten 84 geflüchtete Personen. Sie alle hatten vorher an einem Start-up-Kurs der IHK teilgenommen. Das Ergebnis: Die meisten wollen schnell loslegen und ihr Geschäft gründen, am liebsten schon innerhalb eines Jahres. Doch vor allem die Finanzierung und die deutsche Sprache hielten sie noch davon ab, sich selbständig zu machen, gaben sie an. Die Geflüchteten tun sich auch schwer, weil sie nicht wissen, wie der deutsche Markt funktioniert.

Zumindest die Sprache ist für Salma Alarmachi kein Problem mehr. Die dreifache Mutter ist vor über drei Jahren in Deutschland angekommen. Fast jeden Tag hat sie seitdem Deutsch gelernt. Mit ihrem Mix aus Deutsch und Englisch kann sie sich gut verständigen, auch E-Mails schreiben ist kein Problem. Ihr Traum ist es, ein syrisches Restaurant zu eröffnen. Ein Ort der Kultur, an dem es gesundes syrisches Essen gibt, auch veganes - nicht so wie in all den kleinen Fast-Food-Läden in Berlin. Doch der Traum zerschellte schnell: Ein eigenes Ladenlokal konnte sie sich einfach nicht leisten. Also gründete sie vor zwei Monaten kurzerhand "Jasmin Catering" und hat inzwischen schon einige Kunden. Für jeden Auftrag muss sie extra Helfer suchen und eine Küche mieten. Die Kundenakquise ist wichtig, damit sie sich irgendwann eine eigene Küche leisten kann.

Die erste Finanzierung ist für viele Migranten die größte Hürde

Für die Gründung hat sich Alarmachi 1000 Euro von einem deutschen Freund geliehen. Damit steht sie exemplarisch für viele Flüchtlinge. Denn die Startfinanzierung ist für viele die größte Hürde, sich selbständig zu machen. Auf Kredite von einer Bank haben anerkannte Flüchtlinge keine Chance, da sie nur befristet in Deutschland bleiben dürfen. Das schreckt die Banken ab. "Selbst bei Mikrokrediten, die eine Laufzeit von drei oder weniger Jahren haben, sieht es schlecht aus", sagt Maik Leonhardt. Die Förderbank in Nordrhein-Westfalen war im März die erste, die ihr Angebot von Mikrokrediten auch auf in Deutschland lebende anerkannte Flüchtlinge ausgedehnt hat. Für viele bleibt jedoch nur der Weg, den auch Alarmachi eingeschlagen hat: Sich Geld von Bekannten zu leihen. "Flüchtlinge haben uns immer wieder gefragt, was sie beachten müssen, wenn sie Geld von Freunden oder der Familie für ihr Geschäft bekommen, auch aus dem Ausland", bestätigt Leonhardt.

Eine weitere Option ist der Gründungszuschuss der Arbeitsagentur. Dafür muss ein Business-Plan vorliegen, in der Regel auf Deutsch. "Allein dieser Schritt ist selbst mit einer guten Idee schwierig und für kaum einen Geflüchteten ohne Unterstützung zu bewerkstelligen", sagt Jan Pörksen. Seit Jahresbeginn bis Mai haben nur 150 Flüchtlinge aus den acht Hauptasylländern die Jobcenter überzeugt und die Förderung bekommen. Salma gehörte nicht dazu: Ihr Sachbearbeiter lehnte den Plan ab. "Als ich meinen Catering-Service angemeldet habe, hat mir das Jobcenter direkt Leistungen gestrichen", sagt sie.

Restaurants oder auch ein Catering-Service, das sind nahe liegende Geschäftsmodelle für Migranten. Als Alarmachi in einem Flüchtlingsheim übersetzte, traf sie viele Frauen, die Arabisch sprachen, aber nicht schreiben oder lesen konnten. "Wie sollen sie jemals einen Job finden?", fragte sich die Syrerin. "Aber kochen konnten sie alle." Deshalb kann sie sich vorstellen, dass die Frauen ihr helfen könnten - später, wenn sie sich eigene Angestellte leisten kann.

Auch in den Kursen der IHK interessierten sich besonders viele für das Gastgewerbe, genauso für Handel und Dienstleistungen. In diesen Branchen sind Migranten überdurchschnittlich häufig vertreten, zeigt auch die Bertelsmann-Studie. "Diese Wirtschaftsbereiche haben auch immer noch einen hohen Bedarf an Arbeitskräften", so ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit.

Doch damit sich etwas bewegt, muss einiges passieren. Ein erster Schritt könnte ein Pilotprojekt in Berlin und Brandenburg sein: Unternehmer sollen Flüchtlinge dort ab Anfang kommenden Jahres in ihren Betrieben hospitieren lassen, ihnen bei der eigenen Gründung helfen, ihnen als Nachfolger das Unternehmen überlassen oder gemeinsam eine neue Firma aufbauen. Innerhalb von zwei Jahren wolle man so mehrere Hundert Flüchtlinge erreichen, heißt es aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Andere Bundesländer hätten bereits Interesse bekundet. Es liefen auch Gespräche zwischen dem Ministerium, Landesbanken und der KfW, wie Flüchtlinge eine eigene Firma finanzieren könnten. Konkrete Pläne gebe es aber noch nicht.

Nach einem Jahr will Salma Alarmachi mit ihrer Firma so weit sein, dass sie nicht mehr auf das Jobcenter angewiesen ist. Und wenn sie das nicht schafft? "Dann werde ich wieder in den Deutschkurs zurückkehren", sagt sie. Aber noch glaube sie daran, dass den Leuten ihr Essen schmeckt.

© SZ vom 17.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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