Arbeitsmarkt:Dran bleiben

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Das Arbeitsministerium gründet eine Denkfabrik, um dem Wandel der Arbeitswelt zu begegnen. SPD-Minister Heil will die Digitalisierung nicht der Union überlassen.

Von Henrike Roßbach, Berlin

Die Wohnung putzen lassen, das Lachs-Avocado-Menü im Sushi-Laden bestellen, einen Maler für den Flur beauftragen - all das ist heute nur einen Klick entfernt. Das ist praktisch, wirft aber auch Fragen auf. Zum Beispiel, wer eigentlich der Arbeitgeber der Putzfrau ist, die ihre Dienste über eine Online-Plattform anbietet. Oder ob das Arbeitsschutzgesetz auch für den Kurierradler gilt. Ebenfalls auf dem Markt: Click- und Crowdworking-Plattformen, über die online abzuwickelnde Aufträge vergeben werden, von stupiden Klick-Jobs gegen Cent-Beträge bis zu komplexen IT-, Design- oder Beratungstätigkeiten.

Die Arbeitsmarktpolitik hinkt solchen Entwicklungen bislang hinterher. "Wir müssen einfach schneller werden", gibt Björn Böhning zu, als Staatssekretär im Arbeitsministerium von Minister Hubertus Heil (SPD) fürs Digitale zuständig. Er verweist darauf, dass Daten und Studien, mit denen sie arbeiteten, heute oft bis zu zwei Jahre alt seien. Die aufzubereiten reiche nicht mehr angesichts der rasanten Veränderungen. "Wir müssen deshalb strategisch nach vorne schauen."

Das Arbeitsministerium versucht das nun mit einer neuen, für ein solches Haus eher untypischen Einrichtung: einer hausinternen Denkfabrik. Die erinnert schon vom Erscheinungsbild her (Lounge-Möbel! Kühlschrank auf Rollen! Monitore für Echtzeitdaten!) eher an ein Start-up als an einen Verwaltungsapparat, wo noch Akten auf Rollwagen durch die Gänge geschoben und E-Mails ausgedruckt werden.

"Alles ein bisschen anders aufgestellt, als man das klassischerweise machen würde", sagt Böhning über die Denkfabrik, die am Donnerstag mit Party-Tamtam eröffnet wird. Klassisch wäre gewesen, ein paar Referate zusammenzulegen. Stattdessen sollen nun zwölf Mitarbeiter - Volkswirte, Politologen, Juristen, Natur- und Geisteswissenschaftler - in einer eigenen Einheit zur Zukunft der Arbeit forschen, frei denken und das Haus beraten. Etwa dazu, wie sich künstliche Intelligenz in der Arbeitswelt auswirken wird. Nur in der Gestalt von Computern? Oder in der sichtbarer Roboterkollegen? Drei Millionen Euro im Jahr sind als Budget vorgesehen, plus die zwölf Stellen. Vorbilder seien Inhouse-Beratungen von Firmen wie Microsoft oder VW, sagt Böhning. "Das soll nicht die Feuilleton-Abteilung des Ministeriums werden", Ziel seien "klare Politik-Vorschläge".

Dass die Veränderung der Arbeitswelt kein gefühltes, sondern ein messbares Phänomen ist, zeigt auch eine noch unveröffentlichte, vom Arbeitsministerium geförderte Studie. Demnach arbeiteten hierzulande an einem Stichtag im April schon 4,8 Prozent aller über 18-Jährigen auf einer "Gig-, Click- oder Crowdplattform", vereinfacht gesagt einem digitalen Marktplatz. Eine Vorgängerstudie hatte noch weniger als ein Prozent Plattformarbeiter ermittelt. Der neuen Erhebung nach wurden 70 Prozent der Plattformarbeiter bezahlt; der Rest war nur für Gutscheine oder Rabatte aktiv. Nach Angaben des Arbeitsministeriums sind Crowdworker eher jung, alleinstehend, männlich und gut ausgebildet, ein Drittel arbeitet mehr als 30 Stunden in der Woche. 40 Prozent verdienten mehr als 1000 Euro in der Woche, ein Drittel aber auch weniger als 100 Euro.

Wenn das Arbeitsressort nun aufrüstet in Sachen Digitalisierung, hat das auch mit der Machtbalance innerhalb der großen Koalition zu tun. Noch kann man den Eindruck bekommen, die Ministerien für Wirtschaft, Bildung und Infrastruktur machten das mit der Digitalisierung unter sich aus; plus Staatsministerin Dorothee Bär und Kanzleramtschef Helge Braun. Das aber kann Arbeitsminister Heil nicht gefallen, schon allein deshalb, weil all diese Häuser und Posten in Unionshand sind. "Digitalisierung" taucht nicht umsonst 93 Mal im Koalitionsvertrag auf; das Thema ist auf der politischen Agenda eins mit Ausrufezeichen - auch wenn Wort und Tat bislang in einem grotesken Missverhältnis stehen.

Heils Denkfabrik darf man daher getrost als Wortmeldung im Sinne von "Nicht ohne uns!" verstehen. Zusätzlich startet er dieses Wochenende seinen "Zukunftsdialog" mit Bürgerforen zur Zukunft der Arbeit und des Sozialstaats in vier Städten. Erste Station: Essen im Ruhrgebiet, einem Epizentrum des Strukturwandels.

Angst müssten die Beschäftigten nicht haben vor der Digitalisierung und der Zukunft, sagt Böhning. "Allerdings wird sich die Arbeitswelt verändern. Deshalb werden viele Beschäftigte sich umorientieren und neue Fähigkeiten aneignen müssen." Die Entwicklung sei "brachialer und vor allem rasanter als bei der Erfindung der Dampfmaschine". Sie sähen deshalb durchaus politischen Handlungsbedarf. Etwa wenn es darum gehe, dass bis 2030 rund 1,5 Millionen Menschen weiterqualifiziert werden müssten, weil es ihre Tätigkeiten dann möglicherweise nicht mehr geben werde. Er sei kürzlich in Singapur gewesen, sagt Böhning. Dort habe die Regierung einen Viertelprozentpunkt der Lohnsumme von den Unternehmen verwendet, um damit Erwerbstätigenkonten zur Weiterbildung zu finanzieren.

So etwas ginge über die jüngste Qualifizierungsoffensive des Ministeriums, die gerade vom Kabinett beschlossen wurde, deutlich hinaus. Auch beim Thema Plattform-Regulierung steht das Ressort am Anfang. Ideen zur sozialen Absicherung von Plattformarbeitern aber gibt es. Böhning erinnert an das System der Künstlersozialkasse, das Vorbild sein könnte. "Wenn ich die Akzeptanz der Beschäftigten für die Digitalisierung der Beschäftigten gewinnen will, muss ich ihnen auch Rechte geben", sagt er. Das Denken, dass der Staat bei der Weiterbildung keine Rolle spielen soll, hält er jedenfalls für eine "falsch verstandene Form der Weiterbildungspolitik".

© SZ vom 10.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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