SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz macht eine klare Ansage: In Deutschland, sagt er, gebe es zu viele junge Menschen, die nur befristete Arbeitsverträge hätten. "Das kann nicht unser Angebot für die Jugend sein." Schulz will deshalb den Arbeitgebern die Möglichkeit nehmen, Arbeitsverträge ohne sachlichen Grund zu befristen. Seine Parteikollegin, Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, sieht dies auch so. Schon vor mehr als zwei Jahren sagte sie: "Sachgrundlose Befristungen gehören abgeschafft."
Nur: Was würde das bringen, diesen Teil der früheren rot-grünen Arbeitsmarktreformen ebenfalls zurückzunehmen? Gäbe es dann weniger befristete Stellen? Arbeitsmarktforscher sind skeptisch. Hinzu kommt: Der Anteil der befristeten Stellen ist zuletzt sogar gesunken. Dies zeigt eine neue Berechnung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.
SPD-Kanzlerkandiat:Schulz hackt die Agenda 2010 entzwei
Es ist viel vom Schulz-Wunder die Rede, um die gestiegenen SPD-Umfragewerte zu erklären. Aber Zahlen sind trügerisch. Schulz muss den Glauben daran wecken, dass seine Partei für die kleinen Leute kämpft.
40 Prozent der befristet Eingestellten wurden 2015 übernommen
Das Nürnberger IAB, das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit, befragt Jahr für Jahr 16 000 Betriebe und rechnet die Angaben hoch. Daraus ergibt sich, dass der Anteil der befristeten Stellen seit 2011/12 leicht rückläufig ist. Damals waren ohne Auszubildende 8,4 Prozent der Arbeitsverträge befristet. 2015 waren nur mehr 8,0 Prozent der Verträge zeitlich begrenzt.
Etwas besser sieht es auch bei den Neueinstellungen aus. 2009, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, musste sich fast jeder Zweite (47 Prozent), der einen neuen Job ergatterte, mit einem Vertrag auf Zeit begnügen. 2015 traf dies noch auf 42 Prozent der Neueingestellten zu. IAB-Forscher Christian Hohendanner will hier jedoch noch nicht von einer "Trendumkehr" sprechen. Dafür hätten in den vergangenen fünf Jahren die Zahlen zu sehr geschwankt. Zu erkennen sei aber, dass es "keinen weiteren Anstieg mehr gab".
Deutlich sichtbarer sind die Folgen des Jobbooms bei den Übernahmen. 2015 wurden nach Angaben des IAB bereits 40 Prozent der befristet Eingestellten unbefristet übernommen. 2009 konnten sich nur 30 Prozent darüber freuen. Dies deutet darauf hin, dass die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer besser geworden ist. Sie können leichter als früher auf einen unbefristeten Vertrag pochen.
Sachgrundlose Befristung als "verlängerte Probezeit"
IAB-Experte Hohendanner hat allerdings große Zweifel, ob ein Verbot von grundlosen Befristungen wirklich wirkt. Derzeit können Unternehmen Mitarbeiter ohne Angaben von Gründen für bis zu zwei Jahren befristet anstellen. Dieses Instrument ist nach den Erkenntnissen des Instituts bei den Arbeitgebern zunehmend beliebter geworden, nicht nur weil diese so rechtlich auf der sicheren Seite sind. "Die sachgrundlose Befristung wird gerne als verlängerte Probezeit genutzt", sagt der Wissenschaftler. Dafür deuteten empirische Analysen daraufhin, dass die Chancen, übernommen zu werden, höher seien als bei einer begründeten Befristung.
Hohendanner hält es jedoch für "naiv zu glauben, dass Betriebe wegen des Wegfalls dieses Instruments automatisch mehr Beschäftigte gleich dauerhaft anstellen". Vielmehr könnten Arbeitgeber dann mehr Leiharbeiter einsetzen, Arbeitsbereiche auslagern oder Personal frei auf Honorarbasis beschäftigen.
Der IAB-Forscher weist darauf hin, dass Befristungen häufig etwas damit zu tun hätten, "dass Geld für Personal nur für einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung steht". Dies gelte gerade für den öffentlichen Dienst, in dem befristete Beschäftigung stärker verbreitet sei als in der Privatwirtschaft oder wie im Wissenschaftssektor sogar der Normalfall sei. "Sachgrundlose Befristungen abzuschaffen, ändert daran zunächst einmal nichts", sagt er. Grundsätzlich habe Schulz aber recht. Es sei wünschenswert, die Zahl befristeter Verträge zu verringern, weil ein fehlender fester Job junge Menschen von der Familienplanung abhalten könne.
Bleiben Schulz und Nahles bei ihren Plänen, müssen sie mit dem Protest der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) rechnen. Die pocht auf den Erhalt der sachgrundlos befristeten Jobs: Sie ermöglichten Betrieben, in Krisen Jobs zu erhalten oder in weniger sicheren Zeiten vorsichtig Stellen aufzubauen, heißt es bei der BDA.