Auf der Holzbank hinter seinem Häuschen sitzt Holger Klukas am liebsten. Von hier aus beobachtet der Bürgermeister mit dem Fernglas die Kraniche, die fast jedes Jahr unten in der morastigen Senke brüten. Hier ertappt sich Klukas manchmal bei dem Gedanken, wie fein ein Wintergarten aussehen würde, wenn er genug Erspartes dafür hätte. Und hier würde er im Sommer auch die Lokalzeitung mit den Nachrichten aus dem Landkreis und den Dörfern lesen, für deren Wohlergehen er verantwortlich ist. Aber für ein Abo reicht das Geld auch nicht. Der ehrenamtliche Bürgermeister von Gallin-Kuppentin in Mecklenburg-Vorpommern ist seit 1998 ohne feste Stelle und lebt wie seine Frau von Hartz IV.
"Wir hatten ein Leben vor Hartz IV", sagt er auf seiner Lieblingsbank. Das aber ist lange her.
Klukas, 61, ist Diplom-Ingenieur. Nach seinem Studium hat er für ein Möbelwerk den Einkauf gemanagt, bis nach der Wende das Unternehmen pleiteging. Der Neueigentümer machte sich mit den Maschinen aus dem Staub. "Ich war der letzte, der dort das Licht ausmachte", sagt er. Seitdem ging für Klukas nicht mehr viel.
Eine klassische Arbeitslosen-Karriere
Er hat etliche Bewerbungen geschrieben und einen Gabelstaplerschein gemacht, einen Logistik-Lehrgang und Computerkurse besucht, als ABM-Kraft Touristen Kraniche gezeigt, da und dort mal für ein paar Monate gejobbt. Eine klassische Arbeitslosen-Karriere. Und als er zur Jahrtausendwende einen unbefristeten Job schon fast sicher hatte, war er zu ehrlich: Er erzählte seinem zukünftigen Arbeitgeber von seinem Schlaganfall ein Jahr zuvor, dann wollte der ihn nicht mehr haben. "Ich habe keinen Fuß mehr auf die Matte gekriegt. Ich war denen einfach zu alt", sagt Klukas.
Damit hat sich der bärtige Mecklenburger längst abgefunden. Doch als Bürgermeister ist er so etwas wie ein Rebell. Klukas wehrt sich dagegen, dass er nur einen Teil seiner Aufwandsentschädigung für sein Ehrenamt behalten darf und der Rest mit dem Hartz-IV-Regelsatz verrechnet wird. "Wenn ich eine Arbeit hätte, könnte ich das Geld behalten. So erzeugt man eine Zwei-Klassen-Gesellschaft unter den ehrenamtlichen Bürgermeistern."
Die Hartz-IV-Bürgermeister sind ein ostdeutsches Phänomen, nicht zuletzt, weil dort in einigen Landstrichen die Arbeitslosigkeit auch 25 Jahre nach der deutschen Einheit hoch geblieben ist. Wie viele es gibt, ist nicht bekannt. Klukas kennt zumindest zwei weitere Hartz-IV-Kollegen im Landkreis Ludwigslust-Parchim, zu dem auch seine Gemeinde gehört. "Von denen redet aber keiner darüber, vielleicht, weil sie sich schämen", sagt er.