Arbeitslosengeld:Unverheiratete Paare bekommen mehr Rechte

Ein Paar küsst sich bei Sonnenuntergang

Das Gericht sagt: Wenn ein unverheiratetes Paar zusammenziehen will, kann das wichtig genug sein, um auf eine Sperrzeit bei den Leistungen zu verzichten.

(Foto: dpa)
  • Bei der Rechtsprechung sind unverheiratete Paare oft benachteiligt.
  • Jetzt will das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen die Benachteiligung beenden, die unverheiratete Paare bisher beim Arbeitslosengeld hinnehmen müssen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Die nicht eheliche Lebensgemeinschaft, vor einem halben Jahrhundert noch schlecht beleumundet, ist längst im bürgerlichen Leben angekommen. Nur die Rechtsprechung hinkt beim Normalisierungsprozess gelegentlich hinterher. Aber auch dort ist der Fortschritt nicht aufzuhalten: Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen will die Benachteiligung beenden, die unverheiratete Paare bisher beim Arbeitslosengeld hinnehmen müssen.

Es geht um die zwölfwöchige Sperrzeit für das Arbeitslosengeld, die ein Arbeitnehmer abwarten muss, wenn er seinen Job aus freien Stücken gekündigt hat, ohne dafür einen "wichtigen Grund" zu haben. Das Gericht sagt: Wenn ein unverheiratetes Paar zusammenziehen will, kann das wichtig genug sein, um auf eine Sperrzeit bei den Leistungen zu verzichten.

Geklagt hatte eine Verkäuferin aus Lauenburg/Elbe. Die 1955 geborene Frau arbeitete halbtags für 900 Euro brutto und wollte schon längst zu ihrem Lebensgefährten ziehen, einem Hausmeister und Gärtner der 175 Kilometer entfernt in einem Dorf im Kreis Nienburg wohnte. Ihre Bewerbungen blieben jedoch erfolglos. So fuhr sie zwei Mal pro Woche zu ihm, der nach mehreren Operationen an Schulter und Bein arg lädiert war. Im Herbst 2013 wurde ihr das Hin und Her zu viel - sie kündigte und zog zu ihm. Ihr Antrag auf sofortiges Arbeitslosengeld wurde indes abgewiesen - Sperrzeit. Die Familienzusammenführung war dem Amt, mangels Trauschein, nicht wichtig genug.

Die Sperrzeit beim ALG I diene nicht der "Durchsetzung von moralischen Vorstellungen"

Noch in den 80er- und 90er-Jahren war klar, dass Ehepaare bei diesem Thema privilegiert waren. Eine Kündigung wegen eines Umzugs des unverheirateten Partners zur Lebensgefährtin hatte keine Chance auf Arbeitslosengeld vom ersten Tag an. 2002 dann ein erster kleiner Fortschritt: Wer kündigte, um das bereits bestehende Zusammenleben aufrechtzuerhalten - etwa, weil die Partnerin versetzt wurde -, hatte laut Bundessozialgericht einen Anspruch. Wer dagegen die Lebensgemeinschaft erst durch Umzug zum Partner begründen wollte, bekam erst einmal nichts.

Mit dieser merkwürdigen Unterscheidung soll nach dem Willen des Landessozialgerichts Schluss sein. Die Richter gaben der Frau recht. Es sei zudem nicht mehr zeitgemäß, an den Familienstatus anzuknüpfen, weil es nicht um ein Privileg für Ehegatten gehe. Entscheidend sei vielmehr die aktuelle Lebenssituation - für die beispielsweise gesundheitliche Gründe, Wohnungsmarkt oder Schwangerschaft maßgeblich sein könnten. Und in einer solchen Lage steckte die Klägerin im aktuellen Fall. Sie hatte beharrlich nach einem neuen Job gesucht - auch als Putzfrau oder Küchenhilfe -, sie war Woche um Woche zum gesundheitlich angeschlagenen Lebenspartner gefahren - und arbeitete trotzdem lange Zeit weiter. Viel mehr Verantwortungsbewusstsein geht nicht. Die Sperrzeit sei kein Instrument zur "Durchsetzung von gesellschaftspolitischen, religiösen oder moralischen Vorstellungen", sondern diene dem Schutz vor Manipulation der Arbeitslosenversicherung, schreibt das Gericht. (Az: L 7 AL 36/16)

Bleibt abzuwarten, ob sich das Gericht durchsetzt. Es hat die Revision zugelassen; das letzte Wort hat nun das Bundessozialgericht.

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