Arbeitslosengeld I:Bonus für Zwangsversicherte

Jürgen Rüttgers will Ältere in der Arbeitslosenversicherung besser absichern. Das ist nicht so absurd wie SPD-Arbeitsminister Müntefering jetzt tut. Es geht immerhin um die Verfassungsmäßigkeit.

Paul Katzenberger

Verkehrte Welt: Mit seinem Vorstoß für eine bessere Absicherung älterer Arbeitnehmer in der Arbeitslosenversicherung scheint CDU-Vize Jürgen Rüttgers die SPD links zu überholen. Entsprechend schrill fiel darauf hin die Reaktion von SPD-Vizekanzler Franz Müntefering aus, der den Koalitionspartner CDU in der Bild am Sonntag schon im äußersten linken Spektrum verortete - bei Oskar Lafontaine und Gregor Gysi.

Arbeitslosengeld I: Rheinländisch-westfälische Wortgefechte: Jürgen Rüttgers (links) und Franz Müntefering.

Rheinländisch-westfälische Wortgefechte: Jürgen Rüttgers (links) und Franz Müntefering.

(Foto: Foto: dpa)

Die zwischenzeitliche Ruhe des geglückten Geldverteilgipfels vom Freitag währte also nur kurz. Stattdessen steht jetzt ein deftiger Populismusvorwurf im Raum.

Was bedauerlicherweise auf der Strecke bleibt, ist die Sache selbst.

Bis tief in die SPD hinein

Dabei hätte das Anliegen von Jürgen Rüttgers eine ruhigere und sachlichere Debatte verdient. Das lässt sich allein schon daran erkennen, dass sich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident breiten Zuspruchs sicher sein kann, und zwar über die eigenen Parteigrenzen hinaus bis tief in Münteferings SPD hinein.

Verwunderlich ist das nicht. Schließlich thematisiert Rüttgers mit seinem Vorstoß den vermutlich wundesten Punkt der Hartz-IV-Reform: Es hat schlicht Enteignungscharakter, wenn Arbeitnehmer, die über Jahrzehnte hinweg namhafte Beträge in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, nach nur einem Jahr auf Subsistenz-Niveau, genannt Hartz IV, abrutschen.

Kein Ansparplan

Dieser empörende Sachverhalt wurde zuletzt zwar gerne klein geredet - zuletzt etwa bei Sabine Christiansen am Sonntag. Da argumentierte der Unternehmer und Vorsitzende des Club of Rome Deutschland, Max Schön, die Arbeitslosenversicherung sei schließlich kein Ansparplan, sondern eben eine Versicherung.

Das klingt zunächst zwar einleuchtend, dennoch unterliegt Schön mit seiner Sichtweise einem entscheidenen Denkfehler. Eine Versicherung mit lausigen Leistungen kann schließlich jederzeit gekündigt werden - das soziale Zwangssystem "Arbeitslosenversicherung" hingegen nicht.

Bonus für Zwangsversicherte

Jede private Versicherung, die ihre Leistungen in Hartz-IV-Manier kürzen würde, müsste mit einem gewaltigen Aderlass bei ihrer Kundendatei rechnen. Da dem Zwangsversicherten dieser Weg aber nicht offen steht, hat der Staat nach Auffassung des Bundessozialgerichtes dafür zu sorgen, dass die Versicherten für ihre Einzahlungen eine entsprechende Auszahlung erhalten.

Erspartes Geld

Ob diese Beitragsäquivalenz mit Hartz IV noch gewährleistet ist, darf bezweifelt werden. Schließlich hätten die meisten Arbeitnehmer, die ihre Beiträge zur Arbeitslosenversicherung nicht mehr nach Nürnberg überweisen, sondern auf ein Sparkonto legen würden, bereits nach etwa vier bis fünf Jahren denselben Schutz, wie ihn die jetzt gültige Arbeitslosenversicherung bietet. Wer zehn oder zwanzig Jahre durchgehend beschäftigt ist, wird also um eine ordentliche Summe ersparten Geldes gebracht.

Der Richter am Bundessozialgericht, Wolfgang Spellbrink, hatte diese Kalkulation im Kopf, als er noch vor der Einführung von Hartz IV sogar die Verfassungsmäßigkeit des Reformwerks in Frage stellte. Spellbrink argumentierte damals, dass sich ein soziales Zwangs-Sicherungssytem deligitimiere, das deutlich weniger leiste, als der Bürger bei privater Vorsorge erzielen könnte. Dieses System verletze die im Grundgesetz festgeschriebenen Persönlichkeitsrechte, da die allgemeine Handlungsfreiheit verletzt werde, ohne dass es eine adäquate Gegenleistung gebe.

Jahrzehnte mit hohen Beiträgen

Der damaligen Kernforderung Spellbrinks (Absenkung der Beiträge) kommt die Regierung inzwischen zwar nach. Doch älteren Arbeitnehmern mit langen Einzahlungszeiten wird das im Falle einer späten Arbeitslosigkeit in der Erwerbsbiographie vergleichsweise wenig nützen: Jahrzehnten mit hohen Beiträgen bis zu 6,5 Prozent steht ein nur noch kurzer Zeitraum mit der geringeren Belastung von jetzt 4,2 Prozent gegenüber.

So absurd wie Arbeitsminister Müntefering und SPD-Chef Kurt Beck jetzt tun, ist der Rüttgers-Vorstoß also nicht. Es geht immerhin um die Verfassungsmäßigkeit.

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