Arbeitsleben:Hart, aber Alltag

Sie sind keine Manager oder berühmten Politiker, doch was sie jeden Tag in ihrer Arbeit tun, hat großen Einfluss auf den Alltag anderer Menschen. Vier Protokolle über Entscheidungen, Ratschläge und Reue.

Der Polizist

"Die schwerste Entscheidung in meiner Dienstzeit musste ich treffen, als ich gerade zwei Jahre mit der Polizeischule fertig war. Wir wurden zu einer Ruhestörung gerufen, die sich als schwere häusliche Gewalt herausstellte. Der Mann hatte seine Frau verprügelt und ging mit einem Messer auf uns los. Mein Kollege und ich standen mit gezogenen Waffen da, als er sich langsam näherte. Wir entschieden uns beide, zu schießen, sollte er noch zwei Schritte weiter gehen. Es wäre ja nicht anders gegangen, denn wir mussten die Frau schützen, wir mussten uns schützen. Zum Glück kam es dazu nicht.

Ich arbeite in St. Georg, das ist der Stadtteil rund um den Hauptbahnhof, eines der kleinsten Reviere in Hamburg. Aber eines mit einer manchmal auch brisanten Mischung: St. Georg als Anziehungspunkt für Angehörige der Drogenszene, für Randständige, gemischte Kulturen, die aufeinander treffen, was nicht immer ohne Probleme verläuft.

Als Dienstgruppenleiter habe ich Verantwortung für meine Mitarbeiter. Da geht es weniger um Adhoc-Entscheidungen, sondern auch um die internen dienstlichen Belange der Kollegen, wie die persönlichen Karriereplanungen, etwaige Dienststellenwechsel und auch Beurteilungen.

Außerdem entscheide ich draußen im Einsatz, etwa bei einem Raubüberfall, welche Maßnahmen getroffen werden und wer welche Aufgaben übernimmt. Dabei geht es auch immer darum, wie weit ich meine Maßnahmen ausweite. Man will ja den Täter unbedingt fangen, könnte die Diensthunde auf seine Fährte setzen und den Hubschrauber anfordern. Und wir könnten für die Fahndung Züge stoppen oder die Straßen sperren. Das würde das öffentliche Leben erheblich beeinflussen. Ich muss also immer den Einsatzerfolg gegenüber anderen Interessen abwägen.

All diese Entscheidungen zu treffen, fällt mir meistens relativ leicht. Ich bin seit 24 Jahren bei der Polizei, da kennt man seine Möglichkeiten und hat genügend Erfahrung. Klar wird es auch mal stressig, aber dann heißt es, Ruhe zu bewahren und gegebenenfalls Aufgaben zu delegieren." Protokoll: Katharina Kutsche

Die Richterin

"Ich bin bei meinen Entscheidungen an Recht und Gesetz gebunden. Um eine dem Einzelfall gerecht werdende Entscheidung zu treffen, ist mir der persönliche Eindruck der Beteiligten wichtig und das, was sie mir in der Anhörung mitteilen. Ich arbeite derzeit am Familiengericht, um ein Beispiel zu geben: Ich hatte einen Streit zwischen Eltern zu entscheiden, die Frage, bei wem Tochter und Sohn leben sollen. In solchen Momenten entscheide ich mit darüber, wie das Leben eines Kindes weiter verlaufen wird. Da gibt es kein Schwarz oder Weiß, da hadert man auch einmal, ringt mit sich.

Das Jugendamt, dessen Arbeit für mich eine wichtige Hilfe bei der Entscheidung ist, hatte damals eine Empfehlung für einen der beiden ausgesprochen. Ich habe diese Meinung nicht geteilt, weil ich im Gerichtssaal einen anderen Eindruck hatte. Also habe ich versucht, eine breitere Entscheidungsgrundlage zu erhalten, so viel Wissen wie möglich zu bekommen. Am Ende habe ich mich mit meinem Urteil gegen die Empfehlung des Jugendamtes gestellt.

Die Verantwortung kann belastend sein, aber je länger man dabei ist, desto sicherer ist man sich in seinem Urteil. Entscheidungen müssen gut vorbereitet sein. Ich löse zunächst viele kleine Aufgaben, treffe viele kleine Entscheidungen und am Ende steht dann das Urteil. Wobei das eigentlich immer nur die zweitbeste Lösung ist, vielleicht sogar die schlechtere. Erst einmal versuche ich, dass sich die Personen einig werden, ohne dass ich über ihre Köpfe hinweg entscheiden muss. Natürlich kann jede meiner Entscheidungen auch wieder angegriffen werden, zu einem höheren Gericht gehen; aber mit dem Umstand, dass eigene Entscheidungen in Frage gestellt werden, muss man in jedem Beruf klar kommen. Natürlich verfolgt man, wie die Richter am höheren Gericht entscheiden. Ich ärgere mich aber nicht, wenn sie meinem Urteil nicht zustimmen.

Wenn ich jemand wirklich für seine Entscheidungen bewundere, dann sind es die Schiedsrichter eines Fußballspiels. Sie entscheiden so spontan und dann auch noch auf sehr wackliger Grundlage. Wir Richter sind lange nicht so unter Zeitdruck wie die Richter auf dem Spielfeld, wir bestimmen selbst, wann wir einen Fall verhandeln. Wir haben den Vorteil, erforderliche Beweise erheben zu können. Auf unser Bauchgefühl müssen wir uns nicht verlassen. Dieser Begriff hat im Gerichtssaal nichts verloren." Protokoll: Pia Ratzesberger

Der Anästhesist

"Ein Anästhesist ist wie ein lauerndes Krokodil. Bei einer Operation kann sich die Situation des Patienten nach langen stabilen Phasen manchmal sehr schnell ändern, zum Beispiel können der Blutdruck oder die Sauerstoffsättigung im Blut rapide abfallen. Dann muss ich wie ein Krokodil blitzschnell zuschnappen und das korrigieren. Für Dinge, die so schnell geschehen und häufiger vorkommen, habe ich feste Algorithmen, da läuft vieles automatisch ab. Hierbei helfen jahrelange Erfahrung und regelmäßiges Training.

Ich arbeite als Kinderanästhesist in einer großen Universitätsklinik. Wenn ein Säugling mit einer lebensbedrohlichen Fehlbildung wie zum Beispiel des Herzens zur Welt kommt und dringend operiert werden muss oder wenn ein Kleinkind nach einem Unfall eine Operation braucht, stehe ich mit am OP-Tisch, bin für die Narkose verantwortlich und dafür, dass Kinder auch komplizierte Eingriffe überleben. Ich habe immer den Kopf des Kindes vor mir, rechts von mir Bildschirme mit den wichtigsten Daten, der Chirurg arbeitet durch einen Vorhang von mir getrennt. Ich muss alles gleichzeitig im Blick haben und schauen, was auf der anderen Seite des Vorhangs passiert, um vorausschauend zu arbeiten. Viele Komplikationen lassen sich verhindern, wenn man sie früh erkennt.

Arbeitsleben: Illustration: Sead Mujic

Illustration: Sead Mujic

Wenn Kinder in lebensbedrohliche Situationen geraten, können schnell Fehler passieren. Ich habe sicher auch schon Fehler gemacht. Ich bin dankbar, dass bislang kein Patient durch mein Handeln ernsthaft zu Schaden gekommen ist. Mir ist aber bewusst: Das ist in unserem Beruf einprogrammiert, mir wird das wahrscheinlich einmal im Leben widerfahren. Dabei hilft mir mein Glaube; ich glaube daran, dass jemand anderes unsere Lebensspanne hier auf Erden vorgibt. Diese Entscheidung obliegt nicht immer uns, und ich habe auch häufig Kinder erlebt, die sich von schwerster Krankheit unerwartet erholt haben und denen ich dabei helfen konnte. Ich habe aber auch bereits einige Kinder sterben sehen. Es hilft, dass schwierige Entscheidungen immer im Team getroffen werden. Bei einer Reanimation, wenn man an einen Punkt gekommen ist, an dem man dem Patienten nicht mehr helfen kann, entscheiden wir immer mit allen anwesenden Teammitgliedern gemeinsam. Dann ist es für alle leichter zu tragen." Protokoll: Jan Willmroth

Die Leitstellenmitarbeiterin

"Erst kürzlich musste es wieder schnell gehen. Früh morgens bekam ich den Notruf aus einer U-Bahn, dass ein Fahrgast nicht ansprechbar ist. In einem solchen Fall rufe ich grundsätzlich den Rettungsdienst und schicke einen Kollegen vor Ort. Manchmal bekomme ich unklare Informationen über den Gesundheitszustand der Fahrgäste. In solchen Situationen muss ich innerhalb von wenigen Sekunden eine Entscheidung treffen: Schicke ich erst mal nur einen Mitarbeiter vor oder rufe ich den Rettungsdienst, auch auf die Gefahr hin, dass er umsonst kommt? Im Zweifel gehe ich auf Nummer sicher.

Ich arbeite seit 13 Jahren in der Leitstelle. Ich war die erste Verkehrsmeisterin für die U-Bahn. Hier läuft alles zusammen, hier müssen wir auf die großen und kleinen Dinge reagieren, die Tag für Tag in der U-Bahn passieren: Wenn ein Zug eine Störung hat, wäge ich ab, ob er direkt vor Ort wieder in Gang gebracht werden kann oder in die Werkstatt gebracht werden muss. Wenn ein Kind im Trubel verloren geht, muss ich schnell Hilfe organisieren. Oder, wenn jemand plötzlich ins Gleis springt, weil sein Handy hineingefallen ist, muss ich sicherstellen, dass der nächste Zug rechtzeitig stoppt. Es ist unverständlich, auf welche Ideen die Fahrgäste manchmal kommen. Über Notruf kann uns jeder ansprechen und ein Kollege holt das Handy gesichert aus dem Gleis.

In meinem Beruf trage ich eine große Verantwortung. Wenn wir eine Störung haben, muss ich abschätzen, ob wir diese binnen Minuten beheben können oder ob es länger dauert. Ich muss schnell entscheiden, wie es für die Fahrgäste weitergeht, ob wir beispielsweise beide Fahrtrichtungen über ein Gleis abwickeln. Hier in Nürnberg haben wir auch vollautomatisierte, fahrerlose Züge. Auf den Strecken, wo sie fahren, muss ich besonders viele Entscheidungen alleine treffen, weil ich mich nicht mit einem Fahrer austauschen kann. Unsere Sicherheitssysteme helfen mir dabei.

Ich mag den Adrenalinfaktor an meiner Arbeit und habe kein Problem damit, für meine Entscheidungen gerade zu stehen. Keine Frage, langsam und unaufmerksam darf man in meinem Beruf nicht sein. Aber ich bin es gewohnt, möglichst ruhig und gelassen zu bleiben und besonnen zu handeln. Als erste Frau in der Leitstelle, die für die U-Bahn zuständig ist, habe ich bewiesen, dass wir Frauen das auch können." Protokoll: Felicitas Wilke

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