Arbeitsamt-Affäre:Jagoda steht massiv unter Druck

Im Zusammenhang mit der kritisierten Praxis bei den Arbeitsvermittlungen ist ein Rücktritt des Behördenchefs nicht ausgeschlossen.

Oliver Schumacher

(SZ vom 07.02.02) - In der Arbeitsamt-Affäre steht der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit (BA), Bernhard Jagoda, massiv unter Druck. Ein Rücktritt des Behördenchefs wurde in der Hauptstadt nicht ausgeschlossen. Jagoda lehnte einen solchen Schritt vorerst aber ab.

Arbeitsamt-Affäre: In der Arbeitsamt-Affäre muss sich Behördenchef Bernhard Jagoda auch an die eigene Nase fassen.

In der Arbeitsamt-Affäre muss sich Behördenchef Bernhard Jagoda auch an die eigene Nase fassen.

Am Mittwochabend wollte der Vorstand der Bundesanstalt über die vom Bundesrechnungshof kritisierte Praxis bei den Arbeitsvermittlungen beraten. Vertreter der Arbeitsverwaltung räumten bereits Fehler ein. Die Arbeitslosen-Zahl stieg im Januar gegenüber Dezember um 326.400 auf 4,29 Millionen. Der Höchststand wird erst für den Februar erwartet.

Auch andere Bereiche werden überprüft

Die massive Kritik an der Arbeitsverwaltung hat die rot-grüne Regierungsspitze aufgeschreckt. Bundeskanzler Gerhard Gerhard Schröder und Arbeitsminister Walter Riester (beide SPD) drängten auf Aufklärung der Vorwürfe. Die Bundesanstalt müsse zügig Klarheit schaffen, sagte Riester in Berlin. Am Donnerstag will der Minister mit führenden Vertretern von Arbeitgebern und Gewerkschaften beraten.

Die Sozialpartner spielen in der selbstverwalteten Bundesanstalt eine maßgebliche Rolle. Die Kritik an der Nürnberger Behörde ist für Riester Anlass, auch andere Bereiche der Arbeitsverwaltung "sehr kritisch" zu prüfen. Er nannte als Beispiele die staatlich geförderten Arbeitsförderungsmaßnahmen und Programme zur Qualifizierung. Riester ließ erkennen, dass private Arbeitsvermittler mehr Rückendeckung von der Regierung erhalten. Er möchte einen "effizienten Wettbewerb bei der Arbeitsvermittlung". Bisher setzt Rot-Grün vor allem auf die Bundesanstalt.

Kapitän im Sturm

Zur Person Jagodas sagte Riester, dieser "hat sehr gute Arbeit geleistet und genießt mein Vertrauen". Der Minister ging zugleich jedoch auf Distanz. Wenn die endgültigen Untersuchungsergebnisse vorlägen, gelte es neu zu entscheiden.Der BA-Präsident lehnte einen Rücktritt vorerst ab. "Der Kapitän geht nicht von der Brücke, wenn Sturm ist", sagte Jagoda.

Erst wenn sich die Vorwürfe des Rechnungshofs als richtig erwiesen, würde er Konsequenzen ziehen. Allerdings gehe er nicht davon aus, dass sich die jetzt veröffentlichten Zahlen bestätigten. Jagoda wies daraufhin, dass der Rechnungshof Vermittlung anders definiere als seine Behörde.

Nicht existierende Vermittlungserfolge

Die amtlichen Kontrolleure hatten fünf repräsentative Ämter überprüft und festgestellt, dass bis zu 70 Prozent der verbuchten Vermittlungserfolge gar keine waren. Der Vizepräsident der Behörde, Heinrich Alt, räumte bereits mögliche Fehler bei der Dokumentation ein. Selbstkritische Stimmen waren auch aus dem nordrhein-westfälischen Landesarbeitsamt zu hören. "Der Fehler liegt bei uns", sagte der Sprecher der Behörde, Werner Marquis. In der Statistik sei zwar die Vermittlung eines Arbeitslosen erfasst worden, jedoch nicht die offene Stelle. Zu den überprüften Arbeitsämtern zählte die Behörde in Dortmund.

In allen Parteien wurde der Ruf laut, das System zu verbessern. Die grüne Arbeitsmarktexpertin Thea Dückert fordert, mehr Aufgaben an private Jobvermittler zu übertragen. Ihr Fraktionskollege Oswald Metzger verlangt, in die Arbeitsverwaltung endlich "frische Luft" reinzulassen. SPD-Fraktionschef Peter Struck sagte, es könne nicht hingenommen werden, dass Vermittlungserfolge erfunden würden. Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) sieht eine "desaströse Niederlage" für den Kanzler. CSU-Generalsekretär Thomas Goppel legte Riester indirekt den Rücktritt nahe.

Kabinett beschließt Kombilohn

Ganz im Zeichen der Bundestagswahl stand auch der Parteienstreit über den erneuten Anstieg der Arbeitslosigkeit. Wie Jagoda in Nürnberg mitteilte, erreichte die Zahl der Arbeitslosen im Januar mit 4,29 Millionen den höchsten Stand seit zwei Jahren. Der Höhepunkt in diesem Winter sei aber wohl noch nicht erreicht. Es sei nicht ausgeschlossen, dass es im Februar noch eine "marginale Erhöhung" gebe. Gegenüber Dezember waren 326.000 Menschen zusätzlich ohne Job. Im Vergleich zum Vorjahresmonat waren es 197.000 mehr. Vor allem im Westen nahm die Arbeitslosigkeit weiter zu.

Als kurzfristige Maßnahme beschloss das Kabinett, das Mainzer Kombilohn-Modell bundesweit auszudehnen. Für die Opposition reicht das nicht aus. CSU-Chef Edmund Stoiber sagte in Neubrandenburg bei seinem ersten Besuch als Unions-Kanzlerkandidat in Ostdeutschland, Schröder habe in der Arbeitsmarktpolitik versagt. CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer warf dem Kanzler vor, die Probleme nicht in den Griff zu bekommen.

FDP-Vize Rainer Brüderle kritisierte, Rot-Grün habe die verhärteten Strukturen am Arbeitsmarkt weiter zementiert. Das Regierungslagers widersprach und wiesen darauf hin, am Ende der Ära Kohl sei die Arbeitslosigkeit weitaus höher gewesen. Rot-Grün setzt jetzt auf einen raschen Aufschwung. Ökonomen sind jedoch skeptisch. Der Wirtschaftsweise Horst Siebert sagte, die erwartet moderate Konjunkturbelebung werde die Arbeitslosigkeit kaum abbauen.

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