Arbeitsalltag:Tote Tiere sind unser Job

  • In einigen Berufen oder Hobbys haben Menschen freiwillig mit toten Tieren zu tun.
  • Eine Jägerin, eine Kürschnerin und ein Präparator erzählen, warum sie ihre Arbeit wichtig finden.

Von Gianna Niewel, Pia Ratzesberger und Jessy Asmus

Die Jägerin

Schwerpunkt Tiere Jägerin 2

Bernadette Liese jagt, weil sie wissen will, welches Fleisch sie isst.

(Foto: Gianna Niewel)

Am Anfang ist die Liste und die Liste ist lang. Akribisch arbeitet sich Bernadette Liese durch die Argumente, sie spricht von geschlampten Bolzenschüsse, panischem Quieken, Fleisch zu Schleuderpreisen. Nie verhaspelt sie sich dabei oder stockt. Man merkt: Es ist nicht das erste Mal, dass die 31-Jährige gegen Massentierhaltung wettert und für eine bewusste Ernährung streitet.

Bernadette Liese ist Jägerin. Sie sitzt im Wohnzimmer ihres Reihenhauses nahe Stuttgart. An der Wand hängt ein Geweih vom Rothirsch, eins vom Dammhirsch, neben der Couch wachen ihre zwei Hunde, hüftgroß, braun-weißes Fell. Bewusste Ernährung, das heißt für die junge Jägerin nicht, auf Fleisch zu verzichten. Es heißt, genau zu wissen, wo es herkommt.

Mehr als 369 000 Erwachsene haben in Deutschland den Jagdschein, der Frauenanteil liegt bei etwa zehn Prozent, Tendenz steigend. "Viele schreckt es ab, dass das Jagen immer noch so negativ besetzt ist", sagt sie. Und da klafft für Liese der Widerspruch. Die meisten Deutschen sind nicht bereit, auf Schnitzel und Schinken zu verzichten. Einerseits. Andererseits verdrängen sie, dass Kalb und Schwein auch getötet werden mussten. Und vor allem: unter welchen Umständen sie leben mussten. Dass die Tiere vielleicht mit Antibiotika gemästet, in einen Laster gepfercht und kilometerweit durchs Land gekarrt wurden. Abends beim Grillen wird darüber weniger gesprochen.

Wohl aber würden ihr, der Jägerin, Vorwürfe gemacht, sagt Liese. Wie sie das nur könne, Tiere töten? Bedacht sagt sie dann Sätze wie diese: "Die zwei bis drei Rehe, die ich im Jahr schieße, haben bis zuletzt artgerecht im Wald gelebt. Es fiel ein Schuss und sie waren tot." Oft merke sie dann, wie beim Gegenüber die Gedanken ratterten. "Eigentlich hast du recht", das hätten bald ihre Eltern gesagt, die Freundinnen und ein paar Bekannte. Ihren Mann musste sie nicht überzeugen, der jagt seit Jahren selbst.

Mit dem Jagdschein kam die Unabhängigkeit

Durch ihn kam sie auf die Idee, selbst den Jagdschein zu machen. Und mit dem Jagdschein kam die Unabhängigkeit, denn seit sie ihr Fleisch selbst schießt, muss sie nicht mehr nach Bio-Siegeln schauen oder dem Metzger vertrauen. Noch im Wald entnimmt Liese dem toten Tier die Innereien, Magen und Darm. In der Wildkammer - geflieste Räume, Kühlung, kontaktlose Wasserhähne - waschen sie und ihr Mann das Tier. Dann schneiden sie Kopf und Läufe ab, das Tier muss gehäutet werden, Filets und Keulen abgetrennt. "Weil das Zeit und Arbeit kostet, lernt man Respekt. Man wertschätzt das Produkt automatisch", sagt Liese. Das gereifte Fleisch von Reh oder Wildschweine frieren sie am Stück ein, verarbeiten es zu Würsten oder trocknen ihren eigenen Schinken. Man dürfe nicht denken, dass sich bei ihnen in der Pfanne die Steaks stapeln: "Wir essen nicht mehr Fleisch als andere. Aber dafür sicherlich bewusster", sagt sie.

Liese, blonde Haare, Silberschmuck, traut man auf den ersten Blick kaum zu, dass sie in Jagdmontur über sumpfigen Waldboden stapft. Doch der Eindruck täuscht. Stolz erzählt sie davon, wie sie für den Jagdschein Brutzeiten, Jagdrecht und Tierseuchen gelernt hat. Dass sie zur Übung auch auf rollende Keramikteller geschossen hat und wie streng darauf geachtet wurde, dass sie gewissenhaft mit dem Gewehr umgeht.

Eine sorgsame Ausbildung ist das eine. Bleibt trotz allem nicht ein komisches Gefühl, wenn man das erste Mal eben nicht mehr auf eine Zielscheibe schießt? "Ja. Doch." Pause. "Ich treffe in dem Moment die Entscheidung, ein Leben zu beenden." Eine Entscheidung, die sie jedesmal aufs Neue berühre.

15 bis 20 Stunden wartet sie im Schnitt auf ihrem Hochsitz, ehe sie den Abzug drückt. Im vergangenen Jahr waren es drei Rehe und ein Hase. "Ich sitze auch des Sitzens willen", sagt sie. Manchmal lese sie. Manchmal genieße sie einfach die Ruhe. Jagen, das bedeute, bewusst die Natur zu erleben; zu überlegen, wie man das Ökosystem Wald schützen und die Artenvielfalt erhalten könne. Weil es immer wenier Rebhühner gibt, lege sie als Jägerin auch Brachen an, damit die Hühner Insekten finden. Und ja, im Zweifel bejage sie auch die Fressfeinde, etwa Füchse, Dachse, Wildschweine. Und wenn die weniger werden, profitiere nicht nur das Rebhuhn. Sondern auch der Kiebitz.

Von Gianna Niewel

Wer Pelz trägt, ist ein Mörder?

Man muss mit der Natur leben, sagt Constanze Saam. Nicht von ihr. Der Satz könnte seltsam klingen in einem Atelier voller toter Tiere, voller Felle und herabhängender Pfoten. Doch wer einen Nachmittag in Saams Werkstatt in München verbringt, der versteht ein bisschen besser, was Saam damit sagen will. Die 53-Jährige ist Kürschnermeisterin. Jeden Tag verarbeitet sie mit ihrer Pelzmaschine Fellstücke zu Kleidung. Tote Tiere sind für Saam Alltag.

Dicht an dicht liegen die abgezogenen Häute der Karakul-Schafe auf der Arbeitsplatte. Die Meisterin kauft die Felle in ganzen Packen. Nur bei genauem Hinsehen kann man die Schnauzen noch erkennen. Saam stellt den Fuß aufs Maschinenpedal und justiert die Nadel. Die Maschine surrt. Kein Haar darf beim Nähen zwischen die Naht geraten.

Nach vielen Stunden wird dort ein Pelzmantel liegen, der dem Adel in früheren Jahrhunderten als Zeichen von Reichtum diente - und heute verpönt ist. Vor allem in westlichen Ländern ist Pelz für viele zu einem Synonym für unüberlegten Konsum geworden. Bilder, auf denen sich Massen gehäuteter Tieren zu blutroten Bergen stapeln, haben sich bei vielen ins Gedächtnis eingebrannt. Kampagnen von Tierschutzorganisationen wie Peta, besonders präsent seit den 1990er Jahren, haben nicht nur in Deutschland Wirkung gezeigt.

Die billigen Pelze könne niemand wollen

Wer Pelz trägt, ist ein Mörder? Von wegen, sagt Saam und streicht über das marmoriert wirkende Fell. Für sie gehört das Töten von Tieren zu einem Leben im Einklang mit der Natur. Billige Pelze aus Asien, klar, die könne niemand wollen. Schlechte Qualität, ungewisse Herkunft, unnötiges Leid für die Tiere. Doch abseits der Massenaufzucht für die Pelzindustrie gebe es schließlich auch die Tiere in der nächsten Umgebung. Saam zieht eine Schublade auf, holt eine Info-Broschüre einer Naturschutzorganisation für das Münchner Umland heraus: Der Rotfuchs? Nicht bedroht. Der Iltis? Nicht bedroht. Der Steinmarder? Nicht bedroht. Es ist klar, was Saam damit sagen will: Keine Gefahr. Jäger haben in ihren Wäldern schließlich schon immer Füchse oder Wild erschossen, wenn es zu viele wurden und sie den Bäumen und den Sträuchern schadeten, sagt die Kürschnerin. Die Felle dieser getöteten Tiere wolle sie lieber verwerten als dass sie weggeworfen werden sollten. Aus den nahen Wäldern bezieht Saam zum Beispiel die Felle von Füchsen.

Die meisten ihrer Arbeiten sind aber ohnehin Reparaturen alter Pelze. Die Kleiderstange an der linken Wand des Ateliers ist voll von langen, schweren Mänteln, die nach Vergangenheit aussehen. An der Wand schräg gegenüber dann die Gegenwart: Pelz, verarbeitet mit Baumwolle oder Leder. "Die früheren Kürschnermeister hätten da die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen", sagt Saam und lacht. Sie selbst trägt Jeans und einen hellen Pullover, ihre Finger zieren Silberringe. Künstliche Materialien, also zum Beispiel Stoffe aus Acrylfasern, verwendet Saam keine - und trägt sie auch nicht. Ein umsichtiger Umgang mit der Natur und ihren Produkten, das sei ihr Ziel.

Pelz als nachhaltiges Produkt?

Eine romantische Vorstellung? Nein, so würde sie es nicht nennen, sagt Saam. Sie weiß, dass die Bestände begrenzt sind. Dass ein totes Tier im Zweifelsfall entweder für einen Mantel verwendet wird - oder für den Teller. Spätestens, als sie einmal mit einem Metzger an der Theke diskutierte, wurde ihr das klar: "Ich meinte damals zu ihm, ein wenig scherzhaft, wir beide, wir verstehen uns doch - wir arbeiten an der gleichen Sache. Er entgegnete nur: Nein, wir sind Konkurrenten."

Doch diese Konkurrenz ist kein allzu großes Problem, findet Saam. Zum einen, weil es durchaus auch Tiere gebe, bei denen man gleichzeitig Fleisch und Fell verwerten könne - zum Beispiel beim Lamm. Zum anderen sei Pelz ein solch haltbares und teures Material, dass man als bewusster Konsument im Zweifelsfall sowieso nur ein paar Mal im Leben einen kaufe. "Nicht wie bei der billig gefertigten Kleidung minderer Qualität, mit der ich mich jede Saison komplett neu einkleide, weil die alten Sachen nichts mehr taugen", sagt Saam.

Das Fell passe ihrer Meinung nach deshalb sehr wohl in die heutige Zeit. In der vor allem junge, gut situierte Menschen sich der Nachhaltigkeit verschreiben - oder sich zumindest gerne damit rühmen. "Die meisten von denen wissen doch nicht einmal mehr, was es im Wald für Tiere gibt", sagt sie ein wenig spöttisch. Sie dagegen habe das alles spätestens während der Ausbildung gelernt: die Tierarten und deren Bestände, die Fortpflanzung, die Nahrung. Denn wer Tiere verarbeite - der muss sie auch kennen. Fuß aufs Maschinenpedal. Nadel im Anschlag. Die Maschine surrt.

Von Pia Ratzesberger

Vom Bullen landen Haut und Skelett im Museum

Dieter Schön - Museum Mensch und Natur

Dieter Schön präpariert Tiere, die später im Museum ausgestellt werden.

(Foto: Jessy Asmus/ SZ.de)

Mit dem Kopf fängt alles an. Um den kümmert sich Dieter Schön als erstes, wenn er für das Museum Mensch und Natur in München ein Tier präpariert. Wie zum Beispiel bei diesen großen Bullen, der noch immer auf Rollen in seiner Werkstatt steht, seit Schön ihn im vergangenen Jahr bearbeitet hat. 1400 Kilogramm wog das Tier lebend, nun sind es immer noch 200 Kilogramm. Wenn der Kopf modelliert ist, ist schon mal ein Teil der Arbeit erledigt. Das ist wichtig, denn die Erstellung eines Präparates kann sich hinziehen. Schön fertigt es alleine. Er sagt: "Gestalterische Arbeit muss man alleine machen".

Allein die Präparation des Bullen erstreckt sich über drei Monate. Und bevor der Bulle im schlachtreifen Alter getötet wurde, hatte der Präparator bereits Hunderte Bilder von dem lebenden Tier gemacht. Mit Hilfe dieser Bilder und 30 Maßen, die er von dem Tier nimmt nahm, erstellt er zunächst ein Kleinmodell, das ihm bei der Arbeit als Vorlage dient. Denn vom Bullen selbst landen am Ende nur Haut und Skelett im Museum.

Deshalb muss er sich mit dem lebenden Tier auseinandersetzen. Um zu wissen, wie es am Ende einmal dastehen soll. "Er war eine außergewöhnliche Persönlichkeit", sagt Schön.

Dieter Schön - Museum Mensch und Natur

Von der Skizze zum Ausstellungsobjekt: die Arbeit eines wissenschaftlichen Präparators.

(Foto: Jessy Asmus/ SZ.de)

Das Originalmodell erstellt er "mit allen Venen, Muskeln und Falten, die mir wichtig sind". Die Details werden mit Ton aufgearbeitet. Anschließend wird vom Originalmodell ein Negativ erstellt und ein Plastikkörper gegossen, auf den das Fell des Tieres aufgenäht wird. "Die Haut über das Modell zu ziehen - das wäre für mich nicht nötig", sagt Schön. Aber wenn dann die Leute im Museum die Präparate oft fotografieren, "fühlt es sich schon toll an."

Einmal eine Giraffe präparieren

Als Schulkind verbrachte er seine Ferien oft bei seinem Onkel, einem leidenschaftlichen Jäger. Da hingen viele Präparate an den Wänden. Die haben Schön geprägt. Spätestens als er sein erstes präpariertes Eichhörnchen geschenkt bekam, stand sein Berufswunsch fest.

Der Tod von Tieren ist für ihn etwas Normales. Acht Jahre lang hat er selbst gejagt. Das sei zwar eine archaische Tätigkeit, aber auch eine vernünftige, findet Schön: Wenn man Fleischesser sei, sei dies der beste Weg, um an das Lebensmittel zu kommen.

Früher seien die Tiere aufwändig inszeniert worden. In einem Waldstück beispielsweise, mit Reh und Hirsch, heute seien die Ausstellungen reduzierter. Der Bulle wird als Nutztier präsentiert, zusammen mit Schwein und Huhn. "Das sind die Bilder, die im Kopf bleiben - und genau das ist es, was wir wollen." Schön findet seine Arbeit wichtig: Schließlich seien die Ausstellungen in Naturkundemuseen deswegen so anschaulich, weil Präparationen einen genauen Eindruck davon geben, wie bestimmte Tiere aussehen.

Hat er noch einen Traum? Oh ja: Wegen der schieren Größe würde er gerne eine Giraffe, ein Nashorn oder einen Elefanten präparieren. Daran hat er zwar schon mitgearbeitet. Aber: "Gestalterische Arbeiten muss man alleine machen."

Von Jessy Asmus

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