Süddeutsche Zeitung

Arbeitnehmerrechte:Ohne Lohn muss niemand arbeiten

Kündigungsfrist, Abfindung, Lohnforderung: Was Mitarbeiter beachten sollten, wenn das Unternehmen Insolvenz anmelden muss.

Sibylle Haas

Wenn Unternehmen in die Insolvenz gehen, sind die Arbeitnehmer oft verunsichert. Sie wissen nicht genau, was auf sie zukommt. Grundsätzlich gilt: Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahren ändert sich das Arbeitsverhältnis zunächst nicht. Der Insolvenzverwalter tritt lediglich an die Stelle des bisherigen Arbeitgebers. Ruth-Ellen Unruh, Fachanwältin für Arbeitsrecht bei der auf Wirtschafts- und Insolvenzrecht spezialisierten Anwaltskanzlei Tiefenbacher, beantwortet die wichtigsten Fragen.

Gibt es besondere Kündigungsfristen während des Insolvenzverfahrens?

Ja. Der Insolvenzverwalter kann Arbeitsverhältnisse mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende kündigen, wenn nicht eine kürzere Frist maßgeblich ist. Längere Kündigungsfristen, etwa aus Tarif- oder Arbeitsverträgen oder aus dem Gesetz, gelten nicht mehr. Beispiel: Der Arbeitnehmer ist seit 20 Jahren bei dem Unternehmen beschäftigt. Der Arbeitgeber hätte daher eine gesetzliche Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Monatsende (Paragraph 622 (2) Bürgerliches Gesetzbuch). Der Insolvenzverwalter kann aber mit der viel kürzeren Frist von drei Monaten kündigen.

Können Arbeitnehmer während des Insolvenzverfahrens aus besonderen Gründen gekündigt werden?

Die Insolvenz ist kein Kündigungsgrund. Der Insolvenzverwalter muss sich in Betrieben mit mehr als zehn Arbeitnehmern an das Kündigungsschutzgesetz halten. Im Fall der Insolvenz ist dies meist eine Kündigung aus betriebsbedingten Gründen, etwa weil der Insolvenzverwalter die Stilllegung des Unternehmens plant. Kündigt er nicht allen Arbeitnehmern muss er die Sozialauswahl beachten. Das bedeutet, dass er etwa Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und das Alter der Beschäftigten bei der Kündigung berücksichtigen muss. Besteht ein Betriebsrat muss er diesen in die Entscheidung einbeziehen.

Gibt es eine Abfindung, wenn es wegen der Insolvenz zur Betriebsstilllegung kommt?

Wenn es einen Betriebsrat gibt, ist auch während der Insolvenz ein Interessenausgleich und Sozialplan möglich. Dies führt dann theoretisch auch zu Abfindungen für die Arbeitnehmer. Das Sozialplanvolumen ist im Insolvenzverfahren aber auf 2,5 Monatsgehälter je Arbeitnehmer begrenzt.

Welchen Rang haben Lohnforderungen im Insolvenzverfahren?

Arbeitnehmer werden wie alle anderen Gläubiger behandelt. Dies bedeutet: Lohnforderungen aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind einfache Insolvenzforderungen. Lohnforderungen, die nach der Insolvenzeröffnung entstehen, sind Masseverbindlichkeiten.

Darf man der Arbeit fernbleiben, wenn kein Lohn mehr gezahlt wird?

Ja, wenn der Arbeitgeber mit der Lohnzahlung erheblich im Rückstand ist. Das sind mindestens 1,5 Bruttomonatsgehälter. Der Arbeitnehmer muss dies aber ankündigen und dem Arbeitgeber eine Frist setzen, um ihm die Gelegenheit zu geben, den Lohn zu zahlen. In der Insolvenz richtet sich der Lohnanspruch gegen den Insolvenzverwalter. Der Insolvenzverwalter kann den Arbeitnehmer aber sofort von der Arbeit freistellen. Dann kann der Arbeitnehmer direkt Arbeitslosengeld beziehen oder eine andere Tätigkeit aufnehmen.

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Ist es sinnvoll, den ausstehenden Lohn einzuklagen?

Dies kann durchaus sinnvoll sein, auch wenn beim insolventen Arbeitgeber vielleicht kein Geld mehr zu holen ist. Durch die Klage wird aber verhindert, dass die Lohnforderung verjährt. Es ist ja möglich, dass sich der Arbeitgeber wirtschaftlich wieder erholt.

Was geschieht mit Betriebsrenten und Pensionsverpflichtungen?

Wenn der Arbeitgeber wegen der Insolvenz die Versorgungszusage nicht mehr erfüllen kann, springt der Pensionssicherungsverein in Köln ein.

Was geschieht mit der "angesparten Arbeitszeit" auf Arbeitszeitkonten?

Liegt keine Insolvenzsicherung vor, hat der Arbeitnehmer nur eine einfache Insolvenzforderung für nicht durch Insolvenzgeld gesicherte Zeiten. Die Insolvenzsicherung fehlt beispielsweise dann, wenn der Arbeitgeber selbst Inhaber des Kontos ist, auf dem das Geld für das Arbeitszeitguthaben liegt.

Wann gibt es Insolvenzgeld?

Für Ansprüche, die in den letzten drei Monaten vor der Insolvenz entstanden sind, bekommen die Arbeitnehmer Insolvenzgeld von der Bundesagentur für Arbeit. Ein Insolvenzereignis kann sein: die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit. Die Arbeitnehmer sollten so früh wie möglich selbst den Antrag bei der Bundesagentur für Arbeit auf Zahlung von Insolvenzgeld stellen. Das Insolvenzgeld müssen sie spätestens zwei Monate nach Beginn der Insolvenz beantragen, sonst verfallen ihre Ansprüche.

Wie hoch ist das Insolvenzgeld?

Das Insolvenzgeld ist eine Lohnersatzleistung der Bundesagentur für Arbeit und soll den durch die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers ausgefallenen Nettolohn der Arbeitnehmer ausgleichen. Für das Insolvenzgeld entrichtet die Bundesagentur für Arbeit automatisch die Beiträge zur Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Das Insolvenzgeld wird durch die Beitragsbemessungsgrenze allerdings "gedeckelt". Diese Grenze liegt in diesem Jahr bei einem Bruttomonatsgehalt von 5400 Euro in Westdeutschland und bei 4550 Euro in Ostdeutschland.

Was ist sonst noch zu beachten?

Wenn der Insolvenzverwalter einen Käufer findet, muss geklärt werden, ob ein Betriebsübergang nach Paragraph 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vorliegt. Dadurch kann der Arbeitnehmer eventuell weiterbeschäftigt werden. Das kann so weit gehen, dass der Arbeitnehmer sogar einen Anspruch auf Wiedereinstellung hat. Außerdem sollten alle Ansprüche, die nicht über das Insolvenzgeld abgedeckt sind, als einfache Insolvenzforderung beim Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Das können beispielsweise der Resturlaub, Zinsen, Urlaubsgeld und das 13. Monatsgehalt sein. Dabei müssen die vom Amtsgericht festgesetzten Termine beachtet werden. Es besteht somit zumindest die kleine Chance, noch einen geringen Betrag zu erhalten.

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SZ vom 26.02.2009/iko/mel
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