Süddeutsche Zeitung

Arbeit für Flüchtlinge:"Jetzt kommt mein Leben"

Menschen, die um Chancen kämpfen: Die Kanzlerin besucht eine Schule, in der Geflüchtete Programmieren lernen.

Von Renate Meinhof, Berlin

Am Anfang ist das Wort. Und das Wort heißt: fuchsteufelswild. Im Grunde liegt "fuchsteufelswild" natürlich vollkommen quer zu alldem, worum es hier geht. Denn in dieser Schule in Berlins Mitte lernen geflüchtete junge Menschen das Programmieren. Es geht um Start-up-Firmen, um die IT-Branche, der viele Zehntausende Fachkräfte fehlen, und ums sogenannte Netzwerken geht es, aber Rami Rihawi, der aus Aleppo stammt und jetzt rechts von Angela Merkel auf dem kleinen Podium steht, mag dieses Wort "fuchsteufelswild" nun einmal, mag seinen Klang, und so wirft er es unbekümmert immer wieder in den Raum, wie zum Beweis, dass er, Rami Rihawi, alles erreichen kann, nicht nur mit seinem guten Deutsch.

Und das wird er sicher auch, alles erreichen. Er ist 22 Jahre alt und seit zwei Jahren im Land. "Das ist ein schönes deutsches Wort", sagt Angela Merkel, "mit fuchsteufelswild kommen Sie mit Sicherheit weit."

Dies ist ein Vormittag, an dem man nicht nur viel über die Probleme junger technikbegeisterter Frauen und Männer erfährt, die im großen Strom der Flüchtlinge nach Deutschland kamen, und die hier leben und arbeiten wollen. Es ist auch eine Stunde, in der die Kanzlerin viel von ihrer Haltung zur Integration und deren Chancen für die Wirtschaft zeigt - und auch viel von sich selbst, von ihrem Pragmatismus, ihrer Beharrlichkeit, ihrer Geschichte.

"Ich habe ja Physik in der DDR studiert", sagt sie etwas später in der Diskussionsrunde, als es um die Unterschiede geht, wie Frauen und wie Männer an Aufgaben herangehen. "Die Jungs haben immer gleich angefangen", sagt sie, "ich hab' erst noch dagesessen und nachgedacht, und dann waren alle Geräte schon besetzt." Kurze Pause. "Ich kam so aber auch zum Erfolg."

Merkels Besuch in der "Redi School of Digital Integration" ist auch so etwas wie eine kleine Demonstration. Sie will zeigen, dass sie mit ihrer Zuwanderungspolitik richtig liegt, dass es also klappt mit ihrem "Wir schaffen das!", dass es Erfolge gibt. Große Teile ihrer eigenen Partei aber sehen eher die Fehler, die gemacht wurden und werden, seitdem Hunderttausende ins Land kamen. Hier, in den hellen, weitläufigen Räumen am Nordbahnhof kann Angela Merkel nahezu baden in Sympathie und Wohlklang. Hier sind ja die Menschen, die anpacken und die zuerst die Chancen der Zuwanderung sehen wollen - und nicht die Gefahren, die Zweifel, die Angst.

Die Redi School ist eine gemeinnützige Schule, die von vielen Sponsoren aus der Wirtschaft finanziert wird. Die Idee stammt von Anne Kjaer Riechert. Sie ist die Direktorin. Geflüchtete werden hier von ehrenamtlichen Programmierern aus IT-Unternehmen und Start-ups unterrichtet, kostenlos. 135 Studenten sind es jetzt. Menschen, die aus Afghanistan kamen, aus Syrien, Irak und Eritrea. Wer die Kurse absolviert hat, soll schnell in einen Beruf einsteigen, und vielen, heißt es, gelinge das auch, weil sie schon im Unterricht Kontakte zu Arbeitgebern knüpfen können.

Der Fuchsteufelswild-Mann Rami Rihawi ist schon sehr gut gelandet. Andere hoffen, dass sie überhaupt in Deutschland bleiben dürfen; wie der Iraker Mohammed Abdulkareem, der schon in Bagdad Programmierer war und sich zum Ziel gesetzt hat, Hilfen für Stotterer zu entwickeln. Heraus aus der "Flüchtlingsblase" wollen sie alle.

Heba Abd Raboo und ihre Schwester haben es schon geschafft, haben eine kleine Wohnung in Tegel bezogen, und wenn sie von ihrer Heimat Ägypten reden, dann klingt es, als sprächen sie von einem sehr fernen Land. Einem Land, in dem sie als Frauen jedenfalls keine Chance hatten, in der IT-Branche eine Arbeit zu finden. "Immer ist der Mann zuerst dran", sagt Heba Abd Raboo, "aber jetzt kommt mein Leben." Und da ist man auch schon bei dem Thema, das Angela Merkels Nachmittagsprogramm bestimmen wird: das W-20-Treffen, bei dem es auch darum geht, wie es endlich gelingen kann, dass mehr Frauen Unternehmerinnen werden. Heba Abd Raboo lächelt. Auch so ein Thema zum Fuchsteufelswildwerden.

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Quelle:
SZ vom 26.04.2017
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