Süddeutsche Zeitung

Gleichberechtigung:Das Problem ist die Arbeitsverteilung im Kapitalismus

Männer übernehmen keinen gerechten Anteil der Arbeit in Haus und Familie. Und Firmen diskriminieren Frauen nach wie vor, sodass sie jetzt auch noch zu Verliererinnen der Digitalisierung werden könnten.

Kommentar von Meredith Haaf

Angenommen, der Global Gender Gap Report wird veröffentlicht und alle sind gleich: Frauen verdienen genauso viel wie Männer, sie stellen die Hälfte des Führungspersonals in der Wirtschaft und der Abgeordneten in den Parlamenten. Es zeigen sich keine nennenswerten Unterschiede bei der Arbeitsbelastung in Haushalt und Familie. Wäre es nicht schön, das neue Jahrzehnt auf diesem Stand zu beginnen?

Schön wäre das, aber mit der Realität hat es nichts zu tun. Die Autorinnen und Autoren des Gleichstellungsreports 2019, den das Weltwirtschaftsforum nun veröffentlicht, haben berechnet, dass es noch mal ein Jahrhundert dauernd wird, bis Frauen weltweit gleichberechtigt sein könnten. Die deutschen Frauen müssten sogar mehr als 250 Jahre warten, wenn alles im bisherigen Tempo vorangeht. Noch langsamer sind die Menschen nur darin, die Zerstörung des Planeten aufzuhalten.

Allerdings wäre es deutlich einfacher, für soziale Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern zu sorgen als die Erderwärmung zu begrenzen. Das sieht man am echten Fortschritt, der im vergangenen Jahrzehnt gemacht wurde, weltweit und auch hierzulande. Sowohl der Zugang zu Medizin und Bildung als auch die politische Repräsentation von Frauen hat sich deutlich verbessert. Sie sind in diesen Bereichen nahe an der Gleichstellung.

Die Wirtschaft ist das Problem - und die Arbeitsverteilung im Kapitalismus. Hier steht Deutschland im internationalen Vergleich besonders schlecht da. Obwohl Frauen die Hälfte der Arbeitskräfte stellen, sind sie in Führungspositionen und höheren Gehaltsklassen unterrepräsentiert.

Dafür gibt es zwei wichtige Gründe: Zum einen übernehmen in keinem Land der Welt Männer den gerechten Anteil der Arbeit in Haus und Familie. In Deutschland machen sie 60 Prozent weniger davon als Frauen. Das bedeutet: Frauen arbeiten insgesamt viel mehr, verdienen aber weniger und haben weniger Einfluss auf die Wirtschaft. Das trifft vor allem zu, wenn sie Kinder haben. Diese Art der Arbeitsverteilung mag oft bequemer sein. Aber solange die Arbeit in den Familien nicht gerechter aufgeteilt wird, solange also nicht mehr Väter und Partner ihre Verantwortung zu Hause in körperliche Präsenz umsetzen, bleiben die Möglichkeiten ihrer Partnerinnen - und laut Prognose auch ihrer Töchter - begrenzt.

Digitalunternehmen beschäftigen kaum Frauen

Zum anderen diskriminieren Arbeitgeber und Unternehmen Frauen nach wie vor. Frauen werden nicht im selben Ausmaß befördert. Und, das betont das Weltwirtschaftsforum: Derzeit drohen sie, zu Digitalisierungsverliererinnen zu werden. In den neuen Wirtschaftszweigen sind sie extrem unterrepräsentiert. Das hat System, wie die Sozialwissenschaftlerin Caroline Criado Perez in einer neuen Studie zeigt, die im Januar veröffentlicht wird. Digitalunternehmen beschäftigen kaum Frauen, Start-up-Investoren geben ihnen seltener Geld, und datenbasierte Dienste arbeiten in aller Regel, ohne Geschlechterdifferenzen zu berücksichtigen. Die neue Generation der Digitalunternehmer bevorzugt Mitarbeiter, die aussehen wie sie: Jung, dynamisch, männlich. Es findet eine Unsichtbarmachung der Frau in der Digitalwirtschaft statt.

In einer gerechten Gesellschaft ist die Arbeit gerecht verteilt, und deren Früchte sind es auch. Dies zu erreichen ist nicht nur die Aufgabe von Politik oder Frauen - sondern auch von denen, die bislang an ihren bequemen Rollenbildern und althergebrachten Vorlieben festhalten.

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