Kriftel/Alsfeld/Kassel (dpa/lhe) - In Gesellschaft arbeiten, Meetings abhalten, netzwerken - Coworking erfreut sich auch in Hessen wachsender Beliebtheit. Nachdem sich entsprechende Angebote in großen Städten wie Frankfurt oder Wiesbaden schon länger etabliert haben, ziehen auch ländliche Regionen eine wachsende Zahl solcher Gemeinschaftsbüros an. Das könnte auch dabei helfen, den Pendelverkehr zu begrenzen und Leerstand auf dem Land zu vermeiden.
Doreen Walther beispielsweise hat erst Mitte März ihr Coworking@A66 in Kriftel (Main-Taunus-Kreis) eröffnet - und spielt bereits mit dem Gedanken, ihre Angebote zu erweitern. Auf 145 Quadratmetern finden ihre Kunden in einem Großraumbüro etwa sieben bis acht Arbeitsplätze - an Fix- oder Flexdesks, je nachdem, ob sie einen festen Platz wünschen oder nicht. Wer gerne die Tür hinter sich zu machen möchte, kann ein „Private Office“ buchen - bei Bedarf auch für längere Zeiträume. Hinzu kommt ein Besprechungsraum mit Konferenztechnik. Zu Walthers Kunden gehören Kleinstunternehmen, eine Freelancerin und zwei Unternehmer, die ihre Firmensitze im Coworking@A66 ansiedeln wollen. Auch eine Hausverwaltung und eine Lerngruppe von Abiturienten nutzten die Räume schon. Das Angebot spreche zudem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an, die im Homeoffice sind, aber nicht täglich alleine zu Hause arbeiten und sich dennoch weite Anfahrten zu ihrer Firma ersparen wollen, sagt Walther.
Wohnortnah arbeiten, um Wege zu sparen
Darauf zielt auch ein Projekt ab, an dem neben der Universität Kassel auch mehrere Landkreise und die Genossenschaft CoWorkLand beteiligt sind, ein Zusammenschluss von Menschen, die Gemeinschaftsbüros im ländlichen Raum gründen und betreiben wollen. Nach mehreren Satellitenbüros in Nord- und Mittelhessen eröffnete nun auch im nordhessischen Wolfhagen ein weiterer Coworking Space unter dem Namen „Dorfschreyberey“ in einer alten Schule. Zwölf Arbeitsplätze stehen dort zur Verfügung, ausgestattet mit modernem Büro-Equipment und schnellem Internet. Während einer viermonatigen Testphase können Interessenten dort in Abstimmung mit ihren Arbeitgebern kostenfrei arbeiten. Das spare Zeit, Geld und Ressourcen, schone das Klima und ermögliche die Vernetzung mit anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, heißt es von den Initiatoren.
Falls sich das Angebot bewährt, sollen die Gemeinschaftsbüros dauerhaft bestehen bleiben. Kombiniert werden sie mit Angeboten für Car- und Bikesharing. „Wer nicht täglich zu einem weiter entfernt liegenden Arbeitsort pendeln muss, kann mit Carsharing oft auf den eigenen Wagen verzichten“, erklärt Projektleiter Carsten Sommer von der Universität Kassel. Er leitet das Projekt und wird es wissenschaftlich auswerten. „Wir wollen herausfinden, ob und wie viel Verkehr man durch solch ein Angebot einsparen kann“, erklärt er.
Neues Leben für alte Häuser
Mancherorts bringen die flexibel nutzbaren Gemeinschaftsbüros auch neues Leben in alte Gemäuer - so etwa im Alten Postamt in Alsfeld, wo Geschäftsführer Torsten Schneider einen Coworking Space betreibt. Die Räumlichkeiten würden in der Regel von Unternehmen für ihre Mitarbeitenden gebucht, um Arbeitsspitzen abzudecken, Meetings oder Team-Building-Veranstaltungen abzuhalten, sagt Schneider. Mit seiner Firma Next Level Erlebnisse im gleichen Gebäude bietet er dafür auch passende Events. Manche Klienten legten auf der Durchreise einen Stopp in dem zwar ländlich, aber nah zur Autobahn und zentral in Deutschland liegenden Alsfeld ein. Andere hätten einen Zweitwohnsitz im Grünen im Vogelsberg und benötigten dort gelegentlich einen gut ausgestatteten Arbeitsplatz.
Einen alten Anziehungspunkt im Heilbad Bad Soden-Salmünster erwecken Joachim Schmidt und Maike Ovens derzeit zu neuem Leben. Jahrzehntelang war in dem alten Fachwerkhaus mit Anbau, das sie derzeit restaurieren und teils neu bauen, das Dorfgasthaus „Zur Hoffnung“ mit Metzgerei untergebracht, nun wird daraus „Das Wolf“ - ein Domizil mit modernen Coworking-, Seminar- und Veranstaltungsräumen für berufliche, aber auch kulturelle Veranstaltungen. Dank des großen Einzugsgebiets zwischen Frankfurt und Fulda sieht das Paar großes Potenzial - von Menschen, denen vielleicht im Homeoffice alleine die Decke auf den Kopf fällt und die sich einen etwas geselligeren Arbeitsplatz wünschen bis hin zu Firmen, die hier Team-Events abhalten wollen oder Pakete aus Arbeiten, Wandern und Wellnessangeboten für Mitarbeitende buchen möchten. Bad Soden-Salmünsters Bürgermeister Dominik Brasch (parteilos) hofft, dass „Das Wolf“ auch neue Ansiedlungen in die Kleinstadt zieht, die wie viele im Bundesland mit Ladenschließungen und Leerstand zu kämpfen hat. „Wir freuen uns über mutige, junge und aktive Unternehmer, die sich für unsere Innenstadt entscheiden.“
Auch deutschlandweit mehr Gemeinschaftsbüros auf dem Land
Auch nach Daten des Bundesverbandes Coworking Spaces nehmen die Angebote in ländlichen Regionen zu. Demnach stieg die Zahl der Städte und Gemeinden mit solchen Gemeinschaftsbüros seit 2020 um mehr als 70 Prozent auf 572 Ende Februar dieses Jahres. Die größten Zuwächse habe es in den vergangenen drei Jahren in eher ländlich strukturierten Bundesländern wie Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Brandenburg und Rheinland-Pfalz gegeben, hieß es. Auch mit Blick auf den Verkehr werde diese Form des dezentralen Arbeitens immer wichtiger, erklärt Tobias Kollewe, Präsident des Bundesverbandes Coworking Spaces. „Beschäftigte wollen weniger unproduktive Zeit mit dem Pendeln verbringen - sie erwarten von den Unternehmen einen Arbeitsplatz, der näher an ihrem Wohnort liegt.“
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