Süddeutsche Zeitung

Aquakultur:Warum Raubfische zu Vegetariern werden sollen

  • In den USA ernährt der erste kommerzielle Fischzüchter seine Forellen rein vegetarisch.
  • Die Tendenz zum Fischfutter mit immer weniger Fischmehl steigt.
  • Aquakulturen werden eine Schlüsselrolle bei der Ernährung der rasant wachsenden Weltbevölkerung zugeschrieben.

Von Jakob Schulz

Das Fleisch sei fest, der Geschmack angenehm süß, von dem einer wilden Forelle fast nicht zu unterscheiden: Das US-Unternehmen Two X Sea ist überzeugt von der Qualität seiner Zuchtforellen. Die "McFarland Springs Trout" lebt inmitten von Nadelwäldern in einem eiskalten Fluss im Norden Kaliforniens. Regelmäßig werfen die Chefs Kenny Belov und Bill Foss Futter in den aufgestauten Fluss. Die Besonderheit: Die Pellets sind komplett pflanzlich; sie bestehen aus Soja, Leinsamen, Pistazien und Algen. Damit, so die Gründer, ist Two X Sea der erste kommerzielle US-Fischzüchter, der fleischfressende Forellen rein vegetarisch ernährt.

Schon heute stammt jeder zweite weltweit verzehrte Fisch aus Aquakulturen. Tendenz stark steigend, heißt es bei der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Zuchtfischen wird eine Schlüsselrolle bei der Ernährung der rasant wachsenden Weltbevölkerung zugeschrieben. Die meisten Raubfische wie Forellen oder Lachse bekommen in Aquakulturen bis heute Futter, das Fischprodukte enthält. Fischmehl und -öl liefern den Zuchtfischen zwar wichtige Proteine und Fettsäuren, werden aber aus eigens im Meer gefangenen Futterfischen hergestellt. Das stellt Fischzüchter zunehmend vor Probleme: "Die Menge an produziertem Fischmehl und -öl ist seit 30 Jahren relativ stabil", sagt Carsten Schulz, Professor für Marine Aquakultur an der Universität Kiel. Angesichts steigender Nachfrage durch immer mehr Fischfarmen weltweit haben sich die Preise für Fischmehl und -öl in der vergangenen Dekade vervierfacht, hat Schulz beobachtet.

Die Idee, Raubfische zu Vegetariern zu machen, ist nicht neu. Schon in den 1990er-Jahren zeigten Studien, dass auch fleischfressende Fische pflanzlich ernährt werden können. Kommerziell genutzt wurden die Erkenntnisse aber nicht. Angesichts steigender Preise ändert sich das.

Schon heute verwenden Züchter deutlich weniger tierische Zusätze

"Früher hat man zu viel Fischmehl ins Futter getan, was einer Verschwendung von Ressourcen gleichkommt", sagt Florian Nagel vom Fischfutterproduzenten Aller Aqua. Heute verwenden Hersteller deutlich weniger tierische Zusätze marinen Ursprungs. Sie konzentrieren sich darauf, Futtermittel zu entwickeln, die die Bedürfnisse jeder Fischart in jeder Lebensphase möglichst genau treffen.

Two X Sea reduzierte in einem ersten Schritt den Anteil von Fischöl im Forellenfutter auf drei Prozent. Üblich sind heute fünf bis zehn Prozent tierische Zusätze. Mit der komplett vegetarischen Ernährung der Fische ging das Unternehmen schließlich einen großen Schritt weiter als der Rest der Branche.

In der Natur ernähren sich Kleinfische von Algen, die Fettsäuren enthalten. Raubfische fressen diese Kleinfische und nehmen so Omega-3-Fettsäuren auf. Das wertvolle Fischöl in seinen Futterpellets ersetzt Two X Sea laut eigenen Angaben nun komplett durch aus Algen gewonnene Fettsäuren. Die Fischzüchter haben quasi den Kleinfisch als Mittelsmann ausgeschaltet. "Wir waren getrieben von der Hoffnung, Fische züchten zu können, ohne dabei die Zukunft unserer Ozeane zu zerstören", sagt Gründer Kenny Belov.

Rezepte in der Schublade

Mit Blick auf Deutschland gehen Branchenbeobachter davon aus, dass noch kein Fischzüchter seine Raubfische rein vegetarisch ernährt. Schon jetzt wird eine überwiegend vegetarische Ernährung bei vielen Raubfischen wie zum Beispiel Forellen und Lachsen praktiziert, sagt Aquakultur-Professor Carsten Schulz. Alternativen zu fischhaltigem Futter werden durch die Preisentwicklung attraktiver. "Ich gehe davon aus, dass wir in naher Zukunft bei fischmehlfreier Ernährung landen", sagt Schulz.

Raubfische komplett pflanzlich zu ernähren, sei allerdings anspruchsvoll, sagt Bert Wecker, der beim Aquakultur-Anlagenbauer Neomar arbeitet. Je weniger tierische Zusätze im Futter sind, desto komplexer müssen die Mischungen sein. Bestand Fischfutter früher aus drei Zutaten, seien es heute schon mal zehn oder mehr. Auch wenn deutsche Züchter ihren Fischen heute noch fischhaltige Pellets vorwerfen, ist Wecker überzeugt: "Die großen Hersteller haben sicherlich alle schon Rezepte für vegetarisches Fischfutter in der Schublade und warten darauf, dass die pflanzlichen Zutaten günstiger werden als tierische Zusätze."

Die rein vegetarische Diät für die Forellen von Two X Sea ist heute noch vergleichsweise teuer. Ein Pfund Veggie-Futter kostet doppelt so viel wie herkömmliches. Entsprechend teurer sind die Forellen von McFarland Springs. Neben dem guten Geschmack wirbt das Unternehmen deshalb auch mit einem Omega-3-Gehalt, der sogar den von Wildlachs übertreffen soll. Insgesamt liefert Two X Sea, das auch einen Fischkutter betreibt, jährlich etwa 100 Tonnen Fisch aus, meist an Restaurants in San Francisco.

Anbauflächen für die Algen sind die nächste Herausforderung

Futter-Experte Florian Nagel von Aller Aqua hält es für unwahrscheinlich, dass bald Scharen von Fischzüchtern ihre Forellen zu Vegetariern umerziehen. Dennoch ist er überzeugt, dass Algen als Ressource zur Ernährung von Fischen definitiv an Bedeutung gewinnen werden. "Die nötigen Anbauflächen für die Algen stellen dann die nächste Herausforderung dar", sagt er.

Hinzu kommt in seinen Augen, dass rein pflanzliche Futtermittel nicht zwingend nachhaltiger seien als reguläre moderne Futtermischungen, die alle verfügbaren Rohstoffe ausnutzen, inklusive tierischer Produkte. "Wenn ein Fischzüchter aber diese Philosophie vertritt, ist eine zunehmend vegetarische Ernährung in kleinerem Maßstab sicher möglich", sagt Nagel.

Dass das Geschäftsmodell Veggie-Forelle eine wirtschaftliche Zukunft hat, beweist das kalifornische Unternehmen Two X Sea mit seiner "McFarland Springs Trout" - wenn auch nur in überschaubarem Umfang. Die Chefs Kenny Belov und Bill Foss denken allerdings schon weiter: Neben dem rein pflanzlichen Futter für die nordkalifornischen Forellen haben die Fischzüchter schon elf weitere Sorten vegetarisches Fischfutter entwickelt.

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Quelle:
SZ vom 28.12.2015
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