Apple Watch:Pock-pock, da-da, t-t und br-r-r-R

Lesezeit: 5 Min.

Die Apple Watch ist eine Fernbedienung fürs iPhone - und noch viel mehr. (Foto: dpa-tmn)

Die Apple Watch möchte Körper und Technik miteinander verschmelzen - doch die Symbiose ist noch nicht perfekt. Wie es sich mit einer Smartwatch lebt.

Von Jörg Häntzschel

In sehr naher Zukunft wird uns die Klopfsprache der Apple Watch in Fleisch und Blut übergegangen sein. Stimuliert von der "Taptic Engine" werden sich am Handgelenk neue Nervenenden ausbilden, die uns helfen werden, unterscheiden zu können zwischen pock-pock, da-da-da-da, t-t und br-r-r-R. Dann werden wir wissen, dass das eine "neue Mail" heißt, das andere "Fitnessziel erreicht", das dritte "links abbiegen" und das vierte "Regen in 15 Minuten".

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Bis es so weit ist, stehen der Verschmelzung von Körper und Technik, um die es bei der Watch schließlich geht, unsere Unzulänglichkeiten im Weg. Unsere - und die der Uhr. Sie ist zu groß, doch ihr Bildschirm ist zu klein. In ihren Menüs kann man sich verlaufen wie in einer Hongkonger U-Bahnstation. Und bevor das Handheben den Monitor aus dem Schlaf weckt, vergehen Bruchteile von Sekunden - zu viel Zeit, um nur die Zeit zu erfahren. Ganz zu schweigen von einem Umstand, der im T-Shirt-Land Kalifornien wohl übersehen wurde: Überall, wo nicht ganzjährig Sommer ist, braucht der Uhrenträger die rechte Hand, um an der linken den Ärmel zurückzuschieben. Wo nun die dritte Hand hernehmen, um die Uhr zu bedienen?

Anfangs bleibt unklar, wozu Smartwatches eigentlich gut sind

Doch das Hauptproblem der Apple Watch sind nicht diese Kinderkrankheiten, nicht dieses Fremdeln - beides ist kaum vermeidbar bei einem völlig neuen Gerätetyp. Es ist die auch zwei Wochen nach dem Verkaufsstart nicht beantwortete Frage, wozu die Uhr eigentlich dient. Viele Modelle kosten mehr als das iPhone, doch die Watch kann auf den ersten Blick weniger. Man kann auf ihr keine Mails schreiben, kommt nicht ins Internet, nicht einmal einen Stecker für Kopfhörer gibt es.

Kurztest, Das kann die Apple Watch (Video: Süddeutsche.de, Foto: Bloomberg)

Telefonieren ist möglich, sofern man einen gut trainierten linken Arm hat oder einen Tisch, auf dem man ihn stützen kann, doch nach ein, zwei Versuchen lässt man es bleiben. Das iPhone ist ja ohnehin nicht weit. Wie ein Astronaut beim Weltraumspaziergang darf sich die Apple Watch nie weiter als ein paar Meter von ihrem Mutterschiff iPhone entfernen, mit dem es "gepaart" ist. Das iPhone erledigt für die Watch die meisten Rechenprozesse, es hält auch die Internetverbindung. Reißt der Bluetooth-Link ab, wird die Smart Watch plötzlich sehr dumm.

Das erste neue Apple-Gerät seit fünf Jahren

Die Uhr ist also eine Fernsteuerung des Smartphones - und dessen Miniatur-Trabant. Doch das kann ja nicht alles gewesen sein. Schließlich ist die Apple Watch das erste neue Apple-Gerät seit dem iPad, und das kam vor fünf Jahren heraus. Ein 20-seitiges Opus im New Yorker erzählte kürzlich, welche unendlichen Mühen in die Entwicklung geflossen sind. Vom Studium der Horologie, in das sich Apples Chefdesigner Jony Ive vertiefte, über die Goldvorkommen, die sich Apple gesichert hat, um die bis zu 18 000 Euro teure Edition-Watch herzustellen, bis hin zu Apples Fitness-Labor, das mit seinen Maschinen und Messgeräten jenes der Nasa-Astronauten aussehen lässt wie eine Hotel-Gym.

Doch trotz ihrer merkwürdigen Redundanz könnte die Watch sich kaum stärker vom iPhone unterscheiden. Am deutlichsten ist das an den beiden kleinen Leuchten an der Unterseite zu sehen, die alle paar Minuten Infrarotlicht durch die Haut schicken, um an den Venen die Herzfrequenz zu ertasten. Das iPhone dient mit Kamera, Mail, Messages und Internet zum Austausch mit Welt und Menschen, die Apple Watch zum Austausch mit dem eigenen Körper. Alle elektronischen Fitness-"Bänder" tun das, doch ihre Daten versacken meist in irgendwelchen Speichern. Apple zaubert auf dem iPhone ein komplexes und sofort verständliches Bild daraus, das jede Minute aktualisiert wird.

"74! Sehr guter Ruhepuls"

Sobald dieses Bild sichtbar ist, ein Bild, das bisher höchstens Ärzte kannten - für die Minuten, in denen sie uns untersuchen -, ist das Bewusstsein vom eigenen Körper nicht mehr dasselbe. "74! Sehr guter Ruhepuls!", lobt der aus Amerika eingeflogene PR-Mann von Apple, der mir die Uhr im Rahmen einer kleinen Kommunion anlegt, gleich bei der ersten Messung. Weder weiß ich, was dieser Wert aussagt, noch, ob es lobenswert war oder fahrlässig, dass ich meinen Puls am 1. Mai um 13.15 Uhr auf 207 hochgejagt habe. Seit die Uhr misst, lausche auch ich dem Geklopfe in der Brust. Und es beschleunigt sich ja nicht nur beim Joggen.

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Werden wir mit der Apple Watch in Zukunft den Grad unserer Verliebtheit messen, die Intensität von Geschlechtsverkehr, die Dramatik eines Ehekrachs? Das dämlichste Gimmick der Watch, die Möglichkeit, der oder dem Liebsten ein im eigenen Rhythmus schlagendes Bild seines Herzens zu schicken, ist nicht zufällig gewählt: Kommunikation mithilfe der Apple Watch ist Kommunikation von Körper zu Körper. Das in Echtzeit klopfende Herz ist das Selfie des biometrischen Zeitalters.

Und die Uhr misst ja nicht nur. Sie fordert Konsequenzen. Wer eine Stunde lang nur im Stuhl hing, den ermahnt sie, brr-brr: "Zeit aufzustehen!" Wer genügend Schritte gegangen, genügend Stockwerke hinauf- oder hinabgelaufen ist, wer sich nicht nur bewegt hat, sondern trainiert, der wird abends mit einem seltsamen Stern belohnt, einer digitalen Bastelarbeit, mit der sich die Uhr wohl die inaktiven Zeiten des Trägers vertreibt. Die App "Cue" geht noch weiter. Wie eine strenge Gouvernante befiehlt sie je nach Verhalten: "Trinke Wasser!", "Streck dich!", "Atme tief durch!", "Achte auf deine Haltung!"

Wie es bald weitergehen wird, verrät die endlose Liste von Parametern, die in der Health-App des iPhones angelegt ist. Elektrodermale Aktivität und BMI, Blutzucker und Körpertemperatur. Mit den richtigen Zusatzgeräten wird sich all das hier mühelos einspeisen lassen.

Die Utopie des Selbstmanagements ist nicht neu

Dieser permanente ärztliche Blick auf den eigenen Körper ist neu. Doch die Utopie des Selbstmanagements ist es nicht. Die ersten Armbanduhren hatten keinen anderen Zweck, als das eigene Leben an Zeitvorgaben anzupassen, in Fahrpläne und Erfordernisse kapitalistischer Ökonomie einzutakten. Nun wird die Kontrolle automatisiert, von der Person auf den Körper ausgeweitet, und von der Quantität auf die Qualität. Es genügt nicht mehr, acht Stunden zu arbeiten, man muss sich dabei auch achtmal vom Schreibtisch erheben. Es genügt nicht, irgendwie Sport zu treiben, die Messwerte müssen stimmen.

Die permanente Überwachung gelingt natürlich nur, wenn die Uhr immer fest am Handgelenk sitzt. Sie modisch herumschlackern zu lassen, geschweige denn sie auszuziehen, würde die Qualität der Daten ruinieren. Mit allerlei Tricks sorgt die Uhr auch dafür, dass dies nicht passiert. Das Dreieck aus Apple Watch, iPhone und User muss dauerhaft geschlossen sein. Außer nachts, wenn die Uhr neben dem Träger auf ihrem kleinen, gewölbten Induktionsbett liegt und sich regeniert.

Die Watch kann bei der digitalen Entwöhnung helfen

Doch dieser invasiven und nötigenden Seite der Apple Watch steht eine sanfte gegenüber, deren paradoxe Aufgabe es ist, das Digitale im Alltag zurückzudrängen: Sie soll Korrektiv sein zu den sozialen Schäden, die das Smartphone angerichtet hat. "Wir sind permanent verbunden mit Technologie", erklärte eben Kevin Lynch, einer der maßgeblichen Designer, in Wired die Idee hinter der Watch. "Die Leute schauen pausenlos auf ihre Screens. Wie können wir ihnen das Gefühl von Vernetztheit auf eine etwas menschlichere Weise geben? Wie können wir ihnen helfen, mehr im Augenblick zu sein, wenn sie mit einem anderen Menschen zusammen sind?" Nicht mit weniger Technologie natürlich, sondern mit noch mehr und noch avancierterer Technologie.

Alle, die bisher pausenlos den Zwang verspürten, ihr iPhone zu befingern, die Mails zu checken und sich dabei die nächste Dosis Dopamin zu holen; alle, die dafür ihr Buch weglegten, ihr Gespräch unterbrachen und sich mit Händen und Blick zum 721. Mal dem Telefon zuwendeten, denen kann die Watch tatsächlich bei der digitalen Entwöhnung helfen. Mit ihren haptischen Signalen hat die Uhr die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine auf einen eigenen Nebenkanal verlegt. Dort läuft sie zwar noch enger ab, dafür kommt es nicht ständig zu Konflikten mit wichtigeren Aktivitäten. Paradoxer psychologischer Effekt: Solange man nur mit sanftem Geklöppel von den eingehenden E-Mails erfährt, hält sich die Neugier auf deren Inhalt in Grenzen.

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Die Datenfresserin und Einpeitscherin und der Achtsamkeits-Coach, der seine Präsenz bis zum Verschwinden minimiert - sie arbeiten natürlich Hand in Hand. Apple war klug genug zu erkennen, dass das Smartphone in den wenigen Jahren seiner Existenz zu etwas Ähnlichem geworden ist wie das Auto in einem Jahrhundert: einem tumben Störer. Wenn die Technologie eine Zukunft haben soll, muss sie mit dem Körper verwachsen, muss überall sein und nirgends. Die Apple Watch ist ein erster Schritt dorthin.

© SZ vom 06.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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