Apple:Darum muss Irland keine Strafe für Apples Steuertricks zahlen

Plötzlich soll das Land 13 Milliarden Euro an Steuern mehr bekommen - und will das Geld gar nicht. Wie es jetzt im historischen Steuerstreit weitergeht.

Fragen und Antworten von Bastian Brinkmann

Die Apple-Strafe ist eine Rekordsumme, 13 Milliarden Euro muss der iPhone-Konzern in der EU an Steuern nachzahlen. Zinsen kommen noch dazu. Die Europäische Kommission hat entschieden: Apples Steuertricks in Irland sind illegal. Staat und Konzern wollen sich dagegen wehren.

Wie schlimm trifft die Strafe Apple?

13 Milliarden Euro sind sehr viel Geld, auch für Apple. Der Konzern hat im vergangenen Jahr umgerechnet etwa 17 Milliarden Euro an Steuern bezahlt. Doch Apple hat jahrelang so viel Gewinne angehäuft, dass er extrem hohe Reserven hat. Die jüngste Konzernbilanz weist langfristig investierte Wertpapiere in Höhe von 169,8 Milliarden Dollar aus, die das Unternehmen zu Geld machen könnte (PDF), auch wenn dieser Schritt selbst mit Kosten verbunden wäre. Ob Apple die Strafe wegstecken kann, ist für die Aktionäre des Konzerns wohl die wichtigste Frage. Und die Eigentümer reagierten entspannt. Der Kurs der Apple-Aktie gab kaum nach. Apple bleibt bislang trotz der Rekordstrafe der wertvollste Konzern der Welt.

Wie muss Apple die Strafe zahlen?

Wahrscheinlich wird das Unternehmen das Geld als Sicherheit auf einem Treuhandkonto parken müssen, das von einer neutralen Partei verwaltet wird, bis der Rechtsstreit zwischen EU-Kommission und Irland geklärt ist. Das berichtete Apple seinen Aktionären (PDF). Ob 13 Milliarden Euro, weniger oder sogar mehr auf dieses Konto fließen müssen, sei derzeit noch unklar.

Warum muss Irland keine Strafe zahlen?

Politisch ist die Regierung in Dublin für die Steuertricks verantwortlich, die die EU-Kommission nun für illegal erklärt hat. Allerdings fällt der Fall unter das Beihilferecht. Das regelt, wann Regierungen Firmen helfen können und wann nicht. Die Europäische Kommission kontrolliert, ob dabei die Spielregeln eingehalten werden. Ein fiktives Beispiel: Wenn der französische Staat einem einheimischen Autokonzern helfen will, darf er ihm nicht einfach ein Forschungslabor auf Kosten der Steuerzahler schenken. Dann hätte der französische Konzern einen unfairen Vorteil den deutschen Konzernen gegenüber, die ihre Forschung selbst finanzieren und erarbeiten müssen. Diese Staatszahlungen heißen Beihilfe. Sie können unter Umständen aber auch gerechtfertigt sein, etwa wenn ein Staat dabei helfen möchte, Arbeitsplätze in einer armen Region zu fördern.

Eine unerlaubte Beihilfe kann auch vorliegen, wenn eine Regierung auf Zahlungen verzichtet, die ein Konzern eigentlich leisten muss. Genau dieser Fall liegt bei Apple aus Sicht der EU-Kommission vor. Hat ein Konzern zu Unrecht Geld von einer Regierung bekommen, muss diese es zurückzahlen. Hat ein Staat - wie nun Irland - auf Zahlungen verzichtet, muss der Konzern eben nachzahlen. So will es das Beihilferecht, das die Mitgliedsstaaten der EU beschlossen haben. Deswegen gibt es keine Strafe für Irland.

Jeder Ire könnte jetzt fünf iPhones bekommen

Wie viel Geld ist das für Irland?

Richtig viel. Der irische Staat nahm im Jahr 2015 Steuern in Höhe von 70,6 Milliarden Euro ein. Zusätzliche 13 Milliarden Euro wären also ein Steuerplus von fast 20 Prozent. Die Irish Times zitiert einen nicht namentlich genannten Minister, den die Höhe der Summe überrascht hat. Ein paar hundert Millionen seien kein Problem, soll er gesagt und einen typisch irisch-katholischen Fluch nachgeschoben haben. "Aber 13 Milliarden Euro? Jesus..."

Kommen da nicht noch Zinsen dazu?

Genau. Ihre Höhe schätzt der irische Ökonom Seamus Coffey auf fünf Milliarden Euro, indem er irisches Steuerrecht anlegt. Damit läge die Gesamtsumme sogar bei 18 Milliarden Euro.

Was macht Irland mit dem Geld?

Der irische Finanzminister möchte die Milliarden gar nicht. Er will das irische Steuersystem verteidigen, das Schlupflöcher für internationale Konzerne vorsieht. Die Milliardenstrafe für Apple könnte ausländische Investoren abschrecken, fürchtet Dublin. Ob Irland wirklich gegen die Entscheidung der EU-Kommission vor Gericht geht, muss das Kabinett entscheiden.

Im Land läuft aber schon die Debatte, was Irland mit den überraschenden Mehreinnahmen machen könnte. Ein Kolumnist der Irish Times schlägt vor, mit dem Geld die Kinderarmut in Irland abzuschaffen. Das Land könnte der Zeitung zufolge von dem Geld auch 20 neue Kinderkrankenhäuser bauen. Das Klatschportal Business Insider schlägt scherzhaft vor, das Geld dafür zu benutzen, jedem Iren fünf iPhones zu schenken. Die Rechnung ginge aber nur auf, wenn alle Iren auch jeweils fünf Handyverträge abschließen würden.

Andere Länder bekommen also nichts von den 13 Milliarden Euro?

Das muss nicht sein. Falls andere Staaten mehr Steuern von Apple eintreiben, verringert das den Betrag, der an Irland gehen soll, teilt die Kommission mit. Dublin würde also weniger Geld bekommen, wenn andere Staaten nun Nachzahlungen fordern. Das können EU-Länder wie Deutschland sein oder auch die USA. Genau das fordert der ehemalige US-Abgeordnete Carl Levin. Er ist bekannt, weil er als Senator einmal Konzernchef Tim Cook öffentlich verhört hat. Levin warf Apple vor, in den USA zu wenig Steuern zu zahlen. Die amerikanische Steuerbehörde habe versagt, sagt Levin nun. Europa versuche, dieses Vakuum zu füllen. "Schande über Apple, Schande über die Steuerbehörde", sagte Levin. Das US-Finanzministerium äußerte sich hingegen ganz anders. Es kritisierte die Entscheidung der EU-Kommission.

So attackiert Apple nun die EU-Kommission

Wie verteidigt sich Apple?

Ziemlich schnippisch - aber es geht schließlich selbst für Apple um relativ viel Geld. Firmenchef Tim Cook hat einen offenen Brief veröffentlicht. Die Botschaft: Apple habe Irland so viel Gutes getan. Der Konzern habe schon 1980 in eine Region investiert, die "unter hoher Arbeitslosigkeit und extrem niedrigen Investitionen gelitten hatte". Dazu zeigt Cook ein Bild von seinem Vorgänger, dem legendären Apple-Gründer Steve Jobs, der eine neue Fabrik in Cork besucht. Überschrieben ist der Brief: "Eine Botschaft an die Apple-Gemeinde in Europa". In der Sache will der Konzern hart bleiben. Apple werde sich juristisch wehren, kündigt Cook an. "Wir sind zuversichtlich, dass die Entscheidung der EU-Kommission aufgehoben wird", schreibt er.

Sein Finanzvorstand Luca Maestri griff die EU-Kommission an. Apple zahlte der Kommission zufolge zuletzt nur 0,005 Steuern auf seine europäischen Gewinne. "Wenn mein Steuersatz auf 0,005 Prozent sinken würde, hätte ich das Gefühl, dass ich einen zweiten Blick auf meinen Steuerbescheid werfen sollte", sagte die zuständige EU-Kommissarin Margrethe Vestager. "Das ist eine völlig erfundene Zahl", erwidert Apples Finanzchef Maestri. "Das kann man nicht anders sagen."

Apple lehnt die Sicht der EU-Kommission ab, dass gewisse Gewinne in Irland steuerpflichtig gewesen wären - daher der Streit. Der Konzern verweist darauf, dass er im Jahr 2014 nach eigenen Angaben 400 Millionen Dollar Steuern in Irland gezahlt habe. Damals schwankten die Währungskurse stark, aber umgerechnet mit 1,30 Dollar je Euro entspricht das etwas mehr als 300 Millionen Euro. Das wären ungefähr 0,5 Prozent der gesamten irischen Steuereinnahmen in dem Jahr. "Wir gehören zu den größten Steuerzahlern des Landes, wahrscheinlich sind wie sogar der größte", sagt Maestri. Wenn Unternehmen betonen wollen, wie viel Steuern sie zahlen, rechnen sie in der Regel auch Lohnsteuern und andere Abgaben ein, damit die gezahlte Summe höher wirkt. Die EU-Kommission bezieht sich allein auf die Körperschaftsteuer, die auf die Gewinne des Konzerns fällig wird. Auch das erklärt die widersprüchlichen Angaben.

Überprüfen lässt sich der Zahlen-Dissens nicht wirklich. Die spannenden Daten fallen unter das Steuergeheimnis und sind nicht öffentlich. Die schriftlichen Ermittlungsergebnisse der EU-Kommission könnten einige Punkte klären. Sie umfassen 130 Seiten und werden voraussichtlich in ein paar Monaten veröffentlicht. Auch dann werden jedoch gewisse Geschäftsdaten geschwärzt bleiben.

Was würde vor Gericht mit dem Fall passieren?

Da es so einen Fall noch nie gab, ist der Ausgang völlig offen. Der Europäische Gerichtshof kann die Entscheidung für nichtig erklären - oder die Summe höher oder niedriger ansetzen. Es kann auch zu einem komplett anderen Ergebnis kommen. Sicher ist, dass sich die gesellschaftliche Einstellung zu Steuertricks von Konzernen in den vergangenen Jahrzehnten stark geändert hat. Noch den Achtzigerjahren galten Steueroasen als hipp, Steuerhinterziehung als Kavaliersdelikt. Das änderte sich nur langsam. Mittlerweile ist es aber ein weitgehender politischer Konsens, dass Steuerflucht bekämpft werden muss. Das ist beispielsweise eins der Ziele der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20).

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