Antiquitäten:Schätzchen oder Schrott?

Studenten-WG "Villa Schandfleck" im Stadtteil  Bogenhausen in München, 2013

Den Keller aufräumen und damit Geld verdienen. Davon träumen viele Menschen.

(Foto: Robert Haas)
  • Wer entrümpelt oder einen Haushalt auflöst, muss seine das Gefundene oft billig verkaufen.
  • Was früher noch teuer war, hat heute kaum mehr einen Wert.
  • Das liegt auch an der Wegwerfgesellschaft: Früher wurden Erbstücke oft übernommen. Heute wird eher neu gekauft.

Von Katharina Kutsche 

Sie funktioniert noch, die Musiktruhe. Da ist die linke Hälfte mit dem eingebauten Röhrenradio in Vollstereo inklusive Abstimmanzeigeröhre. Und die rechte Seite mit dem Plattenspieler und dem kleinen Lämpchen mit Zugschalter. Wohl 998 DM dürften die Urgroßeltern Ende der Fünfzigerjahre für die neue Truhe der Marke Graetz, Modell Belcanto 9622, gezahlt haben - zumindest nennen Sammlerwebsites diesen Originalpreis. Doch was damals einen Gegenwert von fünf Monatsgehältern hatte, wird nun auf der Verkaufsplattform Ebay-Kleinanzeigen für 120 bis 150 Euro verscherbelt, einem Achtundzwanzigstel heutiger Gehälter. Was also machen mit dem wuchtigen Teil?

Wer entrümpeln muss, den Haushalt von verstorbenen Verwandten auflöst oder einfach Platz schaffen möchte in der Wohnung, hält nicht nur Dinge in den Händen, die mit schönen Erinnerungen verbunden sind. Es sind auch Möbel- und Schmuckstücke, das Hochzeitsporzellan und allerlei Technisches, alles, was sich Besitzer und Schenkende einst vom Munde abgespart haben und dessen Wert heute so verfallen ist, dass es in der Seele wehtut. Doch wie bei jedem Markt gilt auch hier, dass Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen. Und während frühere Generationen durch Erbstücke ihren Haushalt ergänzten, sind heutige Generationen längst fertig eingerichtet und müssen die Errungenschaften von damals billig losschlagen.

Tradition und Emotion lassen sich nicht in Euro umrechnen. Wer Glück hat, findet in Opas Keller oder Uromas altem Wohnzimmer eine echte Rarität - wer Pech hat, nur Ramsch. Das Problem ist weit verbreitet, das Interesse an altem Zeug aber auch. Im BR etwa läuft seit 1985 die Sendung "Kunst und Krempel", im NDR wird "Lieb & Teuer" ausgestrahlt, und RTL II schickt seit zehn Jahren den "Trödeltrupp" auf Sendung. Spitzenreiter in dieser Kategorie ist die ZDF-Sendung "Bares für Rares", die werktäglich einen Marktanteil von 25 Prozent erzielt und bis zu drei Millionen Zuschauer vor die Glotze lockt. Kandidaten bringen ihr Fund- oder Erbstück ins Studio zu einem Experten, der etwas über den Gegenstand sagt und dann einen Wert schätzt. Entspricht oder übersteigt dieser die Erwartung der Besitzer, dürfen sie vor die Runde der Händler treten und hoffen, dass einer von ihnen zugreift.

Sven Deutschmanek ist einer der ZDF-Experten, der Kunst- und Antiquitätenhändler tritt seit 2014 regelmäßig in der Nachmittagssendung auf. Er sagt, die Marke spielt für den Zeitwert durchaus eine Rolle, etwa wenn das Unternehmen dahinter für besondere Qualität bekannt war. Doch bei Geräten wie der Graetz-Musiktruhe sei das schwierig: "Damals war es High End, das Beste, was man kaufen konnte, technisch voll auf der Höhe. Heute ist das überholt", sagt Deutschmanek. "Klassiker wie der berühmte Eames Chair dagegen sind immer aktuell."

Technik hat es ohnehin schwer, zum Klassiker zu werden - gerade bei den schnellen Neuentwicklungen ist das heute Gekaufte schon morgen wieder veraltet. Einzige Ausnahme: Wenn bei Technologien eine neue Generation anbricht, ein neues Zeitalter gar, so wie der Wechsel von analog zu digital, können das jeweils letzte Modell der alten Generation und das jeweils erste Modell der neuen Zeitrechnung enorme Preise erzielen. Einer der weltweit ersten Personal Computer etwa, der Apple I, 1976 von Steve Wozniak entwickelt, kostete ursprünglich 666,66 Dollar. Heute versteigern Auktionshäuser wie Sotheby's die Originale, von denen es nur 50 Stück gab, für Rekordsummen: 2014 bezahlte ein Museum 905 000 Dollar für einen Apple I.

Der Wertverlust ist nachvollziehbar

Eine Regel lässt sich daraus aber nicht ableiten, alte Kameras zum Beispiel haben es heute schwer. Die Agfa Optima, hübsches Design, einfach zu bedienen, kam 1959 als allererste Automatik-Kamera auf den Markt, für 289 DM. Aber wer will schon einen Film in den Apparat fummeln, wenn die Digitalkamera im Smartphone bessere und schnellere Fotos macht? Im Online-Verkauf ist die frühere Agfa-Innovation samt der charakteristischen braunen Ledertasche rund 25 Euro wert.

Der Wertverlust ist nachvollziehbar. Das Design ist nicht mehr zeitgemäß, die Produkte sind zu massiv, und funktional gibt es heute viel bessere Modelle. Andererseits funktionieren viele der alten Stücke immer noch, etwa weil ihr Antrieb mechanisch ist. Und in Zeiten, in denen Technikhersteller ihre Geräte so produzieren, dass sie nach drei Jahren kaputt gehen, Stichwort geplantes Veralten von Produkten, sind die Erbstücke nachhaltiger. "Die Produktwelt war damals nicht so schnelllebig, und vieles wurde wertiger gebaut", sagt Experte Deutschmanek.

Wer dem "heißen Scheiß" von damals nachspürt, stößt nebenbei auf längst vergessene oder aufgelöste Unternehmen. Graetz, Erbauer der Musiktruhe, wurde 1866 unter dem Namen Ehrich & Graetz in Berlin gegründet. Der Familienbetrieb stellte ursprünglich Petroleum- und Gaslampen her und begann erst 1929 damit, Rundfunkgeräte zu bauen. Die Geschichte von Graetz und den einzelnen Baureihen hat Jens Dehne recherchiert, Radio- und Fernsehtechniker aus Planegg. Er sagt, Musiktruhen boomten vor allem in den Fünfzigerjahren, "denn bis der Fernseher kam, war das Radiogerät das Vorzeigestück im Wohnzimmer". Eine Truhe mit Radio- und Phonogerät schmückte den ganzen Raum, machte etwas her. Zum Ende jenes Jahrzehnts erreichte auch Graetz seinen Höhepunkt, hatte 13 Produktionsstandorte mit bis zu 8000 Mitarbeitern. 1961 verkaufte der Enkel des Firmengründers, Erich Graetz, das gesamte Unternehmen an Standard Elektronik Lorenz (SEL).

Der Marktwert und der tatsächlich erzielte Preis können sehr unterschiedlich sein

Alte Marken können durchaus noch mal einen neuen Trend setzen, etwa durch einen Zeitungsbericht, Fotos auf Wohnblogs oder einen Prominenten, der über die gute alte Zeit spricht. Seit einigen Jahren sind beispielsweise Klappzahlenuhren wieder modern, in den Siebzigerjahren der Renner. Die Originale kamen von Firmen wie Telefunken (1903 gegründet, 1967 mit AEG fusioniert, seit 1996 endgültig aufgelöst) und Blaupunkt (1923 gegründet, 2016 aufgelöst) und können im Verkauf durchaus 100 Euro einbringen. "Wir haben eine große Retro- und Vintagewelle in Deutschland, da stellen sich die Leute etwas Altes durchaus in die Wohnung", sagt Deutschmanek.

Für alle alten Dinge gilt: Wenn sie einen wirklich guten Preis bringen sollen, müssen sie im nahezu perfekten Zustand sein. Händler kalkulieren gerade bei technischen Geräten auch ein, dass es schwer wird, Ersatzteile zu beschaffen. Und Experte Deutschmanek betont: "Wir nennen einen Marktwert, keinen Händler-Einkaufswert!" Was er schätzt, wird noch lange nicht gezahlt, Tradition hin oder her. Für die Händler ist dabei auch wichtig, wie groß und schwer der Gegenstand ist, den sie ankaufen. Je wuchtiger er ist, desto schwieriger wird es, ihn zu transportieren, zu lagern und weiterzuverkaufen. Da schneidet die Musiktruhe aus der Belcanto-Serie weniger gut ab: 53 Kilo schwer, rund 1,30 Meter breit, 0,45 Meter tief - das passt nicht in jedes Wohnzimmer und schon gar nicht in den Kofferraum eines Pkw.

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