Inzwischen ist es höchste Zeit: Wenn EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström an diesem Montag in Brüssel vor die Presse tritt, wird sie ein lange erwartetes Dokument präsentieren: den ersten Antikorruptionsbericht der Kommission überhaupt. Eigentlich hätte er schon vor Monaten vorgestellt werden sollen. Doch aus Gründen, über die in Brüssel viel spekuliert wird und bei denen die Regierungen offenkundig eine wesentliche Rolle spielten, verzögerte sich die Veröffentlichung immer wieder.
Noch im Oktober scharten sich, wie aus einem Ratsprotokoll hervorgeht, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, "mehrere" Länder hinter Italiens Regierung, die sich über den Bericht und dessen "Methodologie" beschwerte. Nun wird Malmström ein ernüchterndes Bild zeichnen - insbesondere was die Wahrnehmung von Korruption betrifft, die nach Expertenschätzungen Kosten von mehr als 100 Milliarden Euro jährlich verursacht. Laut einer repräsentativen Umfrage sind 76 Prozent aller Europäer davon überzeugt, dass in ihrem jeweiligen Heimatland Korruption "weit verbreitet" ist. In zehn von 28 Ländern der Europäischen Union liegt diese Marke laut Eurobarometer sogar jenseits der 90 Prozent.
Mit 59 Prozent ist Deutschland von derart besorgniserregenden Werten weit entfernt. Mehr noch: Malmströms Beamte bescheinigen Deutschland, zu den Ländern zu gehören, die im Kampf gegen die Korruption die besten Resultate erzielt haben. Dabei stützen sie sich sowohl auf ältere Überprüfungen durch spezialisierte Organisationen und Gremien wie Greco oder Transparency International, aber auch auf eigene Gutachten und Einschätzungen von unabhängigen Experten in den jeweiligen Mitgliedsländern. Der Verbesserungsbedarf, den die Kommission von Deutschland erwartet, ist gleichwohl groß.
Dem "Drehtürphänomen" ein Ende bereiten
Dabei geht es vor allem um Regelungsfragen. Gelobt wird zwar die Fülle an Verhaltenskodizes, Schwerpunktstaatsanwaltschaften, Präventionsmaßnahmen, "Compliance"-Abteilungen in Unternehmen, das "Vieraugenprinzip" bei der Auftragsvergabe, das auf vielen staatlichen Ebenen fest eingerichtet sei. Moniert wird dagegen, dass die Strafen für Korruptionsfälle von gewählten Amtsträgern viel zu lasch seien.
Kritisch gesehen wird auch, dass keine klaren Regeln für die Kontakte zwischen Lobbyisten und Amtsträgern existieren. Die Namen Roland Pofalla oder Eckart von Klaeden werden zwar nicht erwähnt - beide CDU-Politiker wollen direkt in die Wirtschaft wechseln. Aber die Kommission mahnt eindringlich Maßnahmen an, um dem "Drehtürphänomen" ein Ende zu bereiten, sprich dem allzu reibungslosen Übergang von Spitzenpolitikern oder -beamten in die Privatwirtschaft.
Auch die Korruption in der Privatwirtschaft wird thematisiert. So seien "weitere Schritte" wünschenswert, um kleine und mittlere Unternehmen für die Problematik der Auslandsbestechung zu sensibilisieren. Ausdrücklich erwähnt wird auch der Pharma- und Gesundheitsbereich. "Beispielsweise verstoßen freiberuflich tätige Ärzte, die Geschenke oder Geldzuwendungen von der Pharmaindustrie annehmen, nicht gegen die Bestechlichkeitsvorschriften", heißt es in dem knapp zehnseitigen Kapitel über Deutschland.
Umstritten war der Bericht unter den Mitgliedsstaaten auch, weil die Kommission sich in viele Bereiche vorwagen muss, für die sie eigentlich keine Kompetenzen hat. Auch deshalb konzentrierte sich die Kommission vor allem auf die Auftragsvergabe. Dagegen fehlt überraschenderweise der Abschnitt über die EU-Institutionen, den Malmström noch im Frühjahr 2013 in einer Rede angekündigt hatte. Ein Sprecher erklärte, die Idee sei "sehr rasch" verworfen worden, weil es "sehr schwierig geworden wäre, aus dem Stand eine wirklich objektive Selbsteinschätzung abzugeben". Ergänzend ist zu hören, dass ja schon das Parlament Kontrollfunktionen wahrnimmt. Andererseits existierte angeblich ein fertiger Entwurf des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung OLAF. Bei Transparency International (TI) wundert man sich. "Wir hätten gedacht, das Vertrauen in OLAFs Unabhängigkeit wäre größer", sagte Carl Dolan, der Leiter des Brüsseler TI-Büros.