Süddeutsche Zeitung

Anti-Acta-Demonstration in Berlin:Noch nicht ad acta gelegt

Lesezeit: 3 Min.

Gegen totale Überwachung, gegen die Musikindustrie, für Filesharing: Die Motive der Demonstranten bei der Anti-Acta-Demonstration in Berlin sind diffus. Einig sind sie sich jedoch in einem: Der Druck auf die Politik muss aufrechterhalten werden, damit das umstrittene Abkommen am Ende nicht doch noch unterzeichnet wird.

Jasmin Off, Berlin

"Yeah, genau", schreit Jakob und zieht sich die blaue Strickmütze ein bisschen tiefer ins Gesicht,"raus aus Actanistan." Freundin Jutta klatscht in dicken Handschuhen Beifall und schenkt sich aus der Thermoskanne Tee nach. Eine Hand schlingt sich um die wärmende Tasse, die andere hält ein graues Pappschild in die Höhe. "Gegen Acta, für die Freiheit" steht dort in roter Farbe in schiefen Buchstaben zu lesen.

In über 50 Städten waren für diesen Samstag Anti-Acta-Demonstrationen angekündigt, auch am Alexanderplatz in der Hauptstadt haben sich Tausende versammelt. Sie sind wie Jutta gegen das geplante internationale Abkommen, das Produktpiraterie eindämmen und Urheberrechtsverletzungen schärfer ahnden will. Würde das Abkommen in Kraft treten, könnten auch Filesharern empfindliche Strafen drohen. "Im Grunde geht es doch nur darum, uns den Mund zu verbieten", sagt Jakob und ist mit dieser Meinung hier nicht alleine.

Viele der Demonstranten sehen Acta als Angriff auf das Recht auf freie Meinungsäußerung und auf ihre Kreativität. Viele hier schneiden gerne Schnipsel aus Filmen oder Musikvideos zusammen um dadurch neuen kreativen Inhalt zu schaffen. "Wir fordern ein Recht auf Remixes" betont Netzaktivist Markus Beckedahl übers Mikrofon und die Menge jubelt. "Kreativität ist doch eines der Dinge, die user generated content ausmachen, das darf nicht verloren gehen."

Dann übernimmt ein Acta-Gegner das Wort, der sich als Vertreter der Gegenseite ausgibt, um sie dadurch lächerlich zu machen. Als "Lobbyist Hans-Peter Schleicher" tut er so, als plädiere er im Dienste der Film- und Musikindustrie für Acta: "Ihr denkt ihr könnt uns überlisten, ihr digitalen Maoisten" schreit er ins Mikrofon.

Doch den Gag der Veranstalter versteht nicht jeder. "Ich hasse dich, weil du gegen das Internet bist" zickt ein junges Mädchen verächtlich in Richtung vermeintlicher Lobbyist. Der nimmt's gelassen und spielt seine Rolle: "Immerhin habe ich als Lobbyist mehr Geld als du." "Ich hab auch Geld, von meiner Oma geerbt, und dafür immerhin nicht das Internet kaputt gemacht" schnaubt das Mädchen zurück. Dann setzt sich der Tross in Bewegung durch die Stadt.

Nicht alle, die hier mitlaufen, verstehen worum es bei Acta genau geht, aber genau das ist auch Teil der Kritik: Das Abkommen wurde nicht öffentlich ausgehandelt, der genaue Text ist bis jetzt unbekannt. Eines aber wissen hier alle: Dass Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in dieser Woche Bedenken angemeldet hat. Deutschland wird Acta vorerst nicht unterzeichnen.

Doch von der Demonstration abgehalten hat das viele scheinbar nicht. Sie stoßen sich an dem kleinen Wort "vorerst", wollen den Druck aufrechterhalten: "Wenn jetzt keiner mehr dagegen auf die Straße geht, dann ist das Interesse weg und still heimlich wird dann doch noch ratifiziert" ist etwa Martin überzeugt. Heute hier sein zu müssen, steht für ihn außer Frage: "Das betrifft doch unsere persönlichen Rechte, da müssen wir doch drauf aufmerksam machen" meint Martin, "das ist unsere demokratische Pflicht."

Und nicht nur der Anschein, dass nur vorläufig nicht unterschrieben wird, stört die Demonstranten, die sich bei Eiseskälte zur wummernden Techno-Musik aus dem Lautsprecher durch die Berliner Straßen schieben. Auch der Satz, Acta werde nicht ratifiziert, damit "Diskussionsbedarf ausgeräumt werden könne" stößt bei vielen auf Ablehnung. "Wir müssen doch die Diskussion nicht ausräumen, ganz im Gegenteil: Wir müssen die Diskussion offen zulassen", fordert etwa Nadine und zieht sich wieder ihre Guy Fawkes-Maske ins Gesicht, Hinter ihr verstecken sich hier viele, sie ist das Symbol der Occupy-Bewegung und der Netzaktivisten von Anonymous.

10.000 Menschen - so die Angabe der Veranstalter sind gekommen, die Polizei geht von 6000 Demonstranten aus. Vorbild für viele in Berlin ist die Anti-Acta-Bewegung in Polen, dort waren in den vergangenen Wochen immer wieder Tausende gegen das Abkommen auf die Straße gegangen. Polens Premier Ronald Tusk hatte daraufhin die Ratifizierung von Acta verweigert. "Die Bilder aus Polen haben uns definitiv sehr motiviert, heute hier dabei zu sein", sagt auch Demonstrant Torben, "das war sehr bewegend."

Er und sein Kumpel Basti sehen die Diskussion um eine Neuausrichtung des Urheberrechts differenziert: "Jeder soll für seine Arbeit Geld bekommen, das ist ja vollkommen in Ordnung. Aber die Musikindustrie erwirtschaftet ihr Geld mittlerweile auch über Kanäle wir YouTube, manche späteren Stars werden darüber erst bekannt", ist Basti überzeugt. "Es sollte die Freiheit eines jeden Künstlers sein, sein Material hier verbreiten zu können."

Mit-Demonstrant Moritz vertritt eine andere Sichtweise: "Ein Künstler, der seine Arbeit nur wegen des Geldes macht, ist ohnehin kein richtiger Künstler. Um die Mainstream-Industrie tut's mir nicht leid, wenn file-sharing ein bisschen deren Gewinn schmälert." Solch radikale Ansichten hört man hier oft. Vielen Jugendlichen geht es vor allem darum, auch weiterhin Inhalte im Netz kostenlos und frei zugänglich zu erhalten und diese weiterverbreiten zu dürfen. Und sie sind gegen die Speicherung ihrer Daten.

Diskutiert wird im Rahmen von Acta auch, inwiefern Provider von Internetseiten für die Urheberrechtsverletzungen ihrer User haftbar gemacht werden können. Entziehen könnte sich dieser Verantwortung nur, wer den Datenverkehr der Seiten-Besucher genau überwacht. "Ich habe Bedenken, dass bald Zustände totaler Überwachung herrschen", sagt etwa Schülerin Sandra. Sie möchte einfach nur eines: Weiterhin kostenlos im Netz die Folgen ihrer Lieblingsserie herunterladen können: "Sabrina - total verhext."

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