Süddeutsche Zeitung

Anschläge in Frankreich:Pariser Terror entsetzt die Wirtschaft

  • Wirtschaftsvertreter und Ökonomen reagieren geschockt auf die Anschläge von Paris - und einige warnen bereits vor den Folgen für die europäische Konjunktur.
  • Vor allem der Tourismus in Paris, ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Hauptstadt, könnte nach den Anschlägen Einbußen erleben.

Von Guido Bohsem und Michael Kuntz

Trauer und Entsetzen, das sind die ersten Reaktionen aus der Wirtschaft auf die Terroranschläge von Paris. "Der Schock sitzt tief", sagte Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). "Unsere Gedanken und Gebete sind in dieser schwierigen Zeit mit dem französischen Volk", teilte Allianz-Chef Oliver Bäte mit. Joe Kaeser, Vorstandsvorsitzender von Siemens, schrieb an die Mitarbeiter: "Die Antwort darauf kann niemals Zurückweichen sein, sondern gemeinsames Zusammenstehen und Verteidigen der Werte, die uns alle vereinen."

Beobachter befürchten Dämpfer für die Wirtschaft

Frankreich ist nicht nur eine der größten Volkswirtschaften in der EU, sondern auch einer der wichtigsten Handelspartner für Deutschland. Es gibt bereits Befürchtungen, dass die Attacken von Paris sich negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken. "Die Terroranschläge von Paris könnten das eh schon angeschlagene Vertrauen von Unternehmen und Konsumenten in Europa schwächen, und damit auch das Wachstum", sagte Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Dies könnte die schleppende wirtschaftliche Erholung Europas weiter verzögern. Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts, wies darauf hin, dass nach dem Terroranschlag auf das New Yorker World Trade Center vom 11. September 2001 die Weltwirtschaft einen erheblichen Dämpfer bekam, was besonders die exportorientierte deutsche Wirtschaft zu spüren bekam. Die Stärke negativer Reaktionen hänge davon ab, ob sich die militärischen Spannungen in der nächsten Zeit weiter verschärfen.

Auch der Chef des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn, sieht die europäische Konjunktur durch den Terrorakt beeinträchtigt. "Die ohnehin bestehende latente Unsicherheit über die wirtschaftliche Zukunft des Euro- Raums wird durch die Anschläge in Paris noch verstärkt", sagte er der SZ. Schon kleine Anlässe genügten derzeit, um Krisensorgen in Griechenland, Portugal oder Italien aufkeimen zu lassen. "Erst recht besteht nach diesem gravierenden Ereignis die Gefahr, dass die Unsicherheit zunimmt. Dies trifft primär die Investitionsbereitschaft, die im Euro-Raum immer noch schwach ist und jetzt nicht besser werden dürfte." Horn empfiehlt ein konzertiertes Vorgehen der Euro-Mitgliedstaaten: "Das Ziel muss dabei sein, die Investitionen auf europäischer Ebene anzuschieben, nicht zuletzt, um die am Ende ihrer Möglichkeiten angelangte Geldpolitik zu unterstützen."

Es gibt auch andere Stimmen. Der Konjunkturexperte des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Stefan Kooths, etwa glaubt nicht an tief greifende Folgen der Anschläge für die Wirtschaft. "Meiner Einschätzung nach werden die jüngsten Terroranschläge die konjunkturelle Dynamik allenfalls geringfügig beeinflussen", sagte der Ökonom am Sonntag. Auch nach den Anschlägen in Paris im Januar habe es keine ausgeprägten Anzeichen für eine konjunkturelle Belastung gegeben, weder in Deutschland noch im übrigen Euro-Raum. "Das kann aber nur eine vorsichtige vorläufige Einschätzung sein."

16 Millionen Touristen jährlich in Paris

Mit Paris ist eines der beliebtesten touristischen Reiseziele weltweit von den Anschlägen betroffen. In die französische Hauptstadt reisen jährlich etwa 16 Millionen ausländische Gäste, etwas weniger als nach London und deutlich mehr als nach Berlin. Frankreich ist seit vielen Jahren das global mit Abstand beliebteste Reiseland, vor den USA und Spanien. Im vorigen Jahr kamen 85 Millionen internationale Touristen in das Land mit 41 Welterbe-Stätten der Unesco.

Sollten die nun nach den Anschlägen Frankreich meiden, könnte das erhebliche wirtschaftliche Folgen haben: Eine Million Franzosen arbeiten im Tourismussektor und erwirtschaften zehn Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Tui Group, der größte Reiseveranstalter in Europa, teilte am Sonntag mit, aus Ländern wie Belgien, Deutschland und den Niederlanden befänden sich derzeit nur wenige Hundert Kunden direkt in Paris oder im Umland, vor allem im Disneyland. "Uns ist bis jetzt nicht bekannt, dass Kunden aufgrund der Ereignisse in Paris zu Schaden gekommen sind", erklärte ein Sprecher in der Tui-Zentrale Hannover. Die 59 deutschen Tui-Kunden seien wohlauf. Viele hätten bereits die Heimreise angetreten, sie waren mit dem eigenen Auto unterwegs. Besorgten Kunden, die demnächst eine Reise nach Paris geplant hatten, stellt Tui individuelle Lösungen in Aussicht: "Wir haben Verständnis für die Sorgen unserer Kunden und werden kulant sein."

Touristenattraktionen wie der Eiffelturm oder Disneyland sind derzeit geschlossen, an Flughäfen und Bahnhöfen wird verstärkt kontrolliert. Fernzüge und Metro fahren nach Plan. Alle Bahnhöfe werden überwacht, ebenso die Häfen und wichtige Straßen wie Autobahnen. Für Reisende bedeuten die verschärften Sicherheitsmaßnahmen, dass sie sich auf verstärkte Kontrollen von Ausweisen und Gepäck einstellen müssen. "Überall auf der Welt gibt es unglückseligerweise dieses Risiko, der Gewalt von Terroristen zu unterliegen", sagte der DRV-Präsident Norbert Fiebig im Sommer nach den Anschläger in Tunesien. Das lasse sich nicht eingrenzen auf Urlaubsgebiete. "Das ist leider eine Tatsache, und ich glaube, an die werden wir uns gewöhnen müssen."

Mitarbeit: Karl-Heinz Büschemann, Caspar Busse, Marc Beise, Thomas Fromm

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2738001
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.11.2015/sry
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.