Anreise zu Protestveranstaltung:Bahn wegen Rabatten für Abtreibungsgegner in der Kritik

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Im September wollen christliche Gruppierungen mit einem "Marsch für das Leben" gegen Abtreibungen demonstrieren - und erhalten für die Anreise vergünstigte Tickets der Deutschen Bahn. Das empört nicht nur erklärte Feministinnen. Auf der Facebook-Seite des Konzerns und auf Twitter häufen sich die Beschwerden.

Hannah Beitzer

Sie stellen Abtreibungen in eine Reihe mit Euthanasie und protestieren gegen eine "Legalisierung der Selektion von Menschen mit Behinderung durch PID und Schwangeren-Bluttest": Jedes Jahr demonstrieren mehrere hundert zumeist christliche Abtreibungsgegner in Berlin mit einem "Marsch für das Leben" gegen Schwangerschaftsabbrüche und Präimplantationsdiagnostik. Ihnen mangelt es nicht an prominenten Unterstützern: 2011 sendete die CSU-Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär ebenso ein Grußwort wie diverse hochrangige Geistliche.

Mit der Bahn billiger zur Anti-Abtreibungs-Demonstration. (Foto: dapd)

Und noch ein Kooperationspartner ist auf der Webseite der Veranstaltung aufgeführt: die Deutsche Bahn. "Wir freuen uns, Ihnen in Kooperation mit der Deutschen Bahn für Ihre Anreise zum Marsch für das Leben 2012 und den Begleitveranstaltungen eine weitere bequeme und umweltfreundliche Reisemöglichkeit anbieten zu können", steht dort. Am Ende der Seite wünschen der Veranstalter, der Bundesverband Lebensrecht und die Deutsche Bahn, gemeinsam eine gute Anreise.

Das stößt nun einigen Bahnfahrern bitter auf. "Ey Deutsche Bahn, wieso unterstützt ihr extreme Abtreibungsgegner_innen?", fragt Magda Albrecht auf dem bekannten Blog Maedchenmannschaft.net. Ziel der Demonstrationen sei es, "Ab­treibungen zu kriminalisieren und die Selbst­bestimmungs­rechte von Frauen ein­zuschränken". Die Feministin weist auf Studien hin, wonach ein Verbot von Abtreibung nicht zu niedrigeren Abtreibungszahlen führe - wohl aber zu einer höheren Anzahl illegal durchgeführter und daher gesundheitsgefährdender Schwangerschaftsabbrüche. Wie zahlreiche andere Nutzer beschwerte sich Albrecht auf Twitter - und erhielt die Antwort, dass die Bahn den Inhalt der Veranstaltung nicht bewerte, sondern lediglich Fahrkarten zur Verfügung stelle.

Kritiker konnte der Konzern damit nicht beruhigen, im Gegenteil: Albrecht formulierte ein Statement, das seitdem dutzendfach auf der Facebook-Seite des Konzerns gepostet wurde: "Ich kritisiere, dass die Deutsche Bahn extreme Abtreibungs­gegner_innen von 'Marsch für das Leben' (marsch-fuer-das-leben.de) Bahn-Tickets mit 'Sonderpreis' zur Verfügung stellt und eine Demonstration gegen Abtreibungs­rechte damit (zumindest indirekt) unterstützt", heißt es dort. Und: "Ich wünsche außerdem, dass in Zukunft geprüft wird, wer ein Veranstaltungs­ticket von der Deutschen Bahn zur Verfügung gestellt bekommt." Ver­günstigte Preise wünsche sie sich "für Menschen, die auf feministische Demos fahren und für Abtreibungs­rechte kämpfen".

Die Bahn reagierte ihrerseits mit einem Statement - das Angebot stehe prinzipiell jeder Großveranstaltung zur Verfügung: "Das ist ein völlig normales Angebot, denn die DB gibt damit in keiner Weise eine inhaltliche Stellungnahme oder Wertung zu den Zielen der Veranstaltungen ab und tritt auch weder als Sponsor noch als Unterstützer dieser Aktion auf." Doch die Diskussion reißt nicht ab: Was ist zum Beispiel mit Aufmärschen der NPD? "Für Veranstaltungen, bei denen die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage gestellt wird (etwa Aktionen von rechtsextremen Parteien), bieten wir selbstverständlich kein Ticket an", schreibt die Bahn hierzu.

Ein Sprecher des Konzerns sagte der SZ, es gelte hierbei der Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Bahn dürfe und wolle Veranstaltungen nicht inhaltlich bewerten, wenn diese im demokratischen Spektrum stattfänden. Tatsächlich ist das Spektrum der Veranstaltungen, die Ticketvergünstigungen erhalten, weit: Beispielsweise die Teilnehmer des Christopher Street Day reisen auch zu Sonderkonditionen an. Trotzdem könne nicht jede Veranstaltung vergünstigte Tickets erhalten. "Wir prüfen jeden Einzelfall", heißt es vom Konzern. Man orientiere sich bei politischen Veranstaltungen auch an den Berichten des Verfassungsschutzes - weswegen zum Beispiel rechtsradikale Demonstrationen keine vergünstigten Tickets erhielten.

Wohl aber der Marsch für das Leben. Der Bahnsprecher verweist unter anderem auf jene Mitglieder des Bundestags und Bischöfe, die an die Demonstranten Grußworte entsenden. Mitveranstalter der Aktion ist die Junge Union, ebenso die Unions-Gruppe "Christdemokraten für das Leben".

Magda Albrecht sieht das anders: "Es ist schade, was heute alles unter 'Demokratie' und 'freiheitlich' subsumiert wird, in diesem Fall Homophobie und ein Angriff auf die Selbstbestimmungsrechte von Frauen." Der Marsch für das Leben setze sich für Diskriminierung ein und werde von "rechten, christlich-fundamentalistischen Abtreibungsgegnern und -gegnerinnen" organisiert und besucht. "Es ist sehr wohl eine Unterstützung seitens der Deutschen Bahn, wenn sie den selbsternannten 'Lebensschützern' Tickets zu einem bestimmten Preis zur Verfügung stellen. Ich wüsste nicht, wie ein Unternehmen einer Veranstaltung erst verbilligte Tickets gewährt und dann behauptet, sie unterstütze die Veranstaltung nicht", schreibt sie in einem weiteren Blogeintrag.

Auch auf Facebook und Twitter verstummt die Kritik nicht. "Warum in aller Welt ist denn Sexismus weniger schlimm als Rassismus?" fragt eine Userin. Ein anderer Nutzer reüssiert: "Entweder ist die Aktion unreflektiert und gehört abgeschafft, oder die Bahn unterstützt die Ansichten und das geht auch nicht."

Doch dort finden sich inzwischen auch User, die die Bahn in Schutz nehmen. "Wer bitte soll denn solch eine 'Kritik' ernstnehmen, deren Inhalt sich auf 'Also, politisch/ethisch/moralisch Andersdenkende sollt ihr bitteschön NICHT unterstützen - sondern nur die, die meiner eigenen Ansicht sind!' reduzieren lässt?", schreibt einer. "Von diesem Marsch hätte wohl kaum jemand gewusst oder Kenntnis genommen. So machen die Gegner der Abtreibungsgegner die beste Werbung dafür", findet ein anderer.

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