Anonymous vs. Scientology:Wie eine Verschwörungstheorie den Anonymous-Shop zerstörte

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Der Vorwurf wog schwer: Scientology benutze einen T-Shirt Shop im Namen von Anonymous Berlin, um Adressen von Aktivisten zu sammeln. Das Twitter-Gerücht bestätigte sich nicht - nun ist der Shop trotzdem offline. Protokoll einer Recherche.

Johannes Kuhn

Der Spreadshirt-Shop von Anonymous Berlin, als er noch online war. (Foto: Screenshot Spreadshirt)

Es war eines dieser Gerüchte, die nicht wahrer werden, wenn sie mehrmals retweetet werden: Die Church of Scientology nutze im Namen von Anonymous einen Online-Kleidershop, um die Adressen von Aktivisten abzufischen, hieß es heute Morgen ungezählte Male bei Twitter.

Der Hintergrund: Anonymous-Aktivisten bekämpfen die Sekte bereits seit Jahren. Anfang 2008 brachten Mitglieder des Hacker-Kollektivs nicht nur mehrmals Webseiten und Telefonhotlines zum Zusammenbruch, sondern auch Tausende Aktivisten auf die Straße, um gegen Scientology zu protestieren. Auf einer von Anonymous betriebenen Seite können sich Scientology-Aussteiger in eine Liste eintragen, um über ihre Erfahrungen zu berichten.

Der Vorwurf gegen Scientology kam auf, weil sich offenbar jemand genauer die Adresse im Impressum des Spreadshirt-Shops "Anonymous Berlin" angesehen hatte. In der Otto-Suhr-Allee 30-34 in Berlin, so lässt sich leicht herausfinden, residiert eigentlich Scientology. Da als Kontakt nur eine E-Mail-Adresse angegeben war, lautet die passende Verschwörungstheorie also: Scientology hat Motive für Anonymous-T-Shirts designen lassen, um diese via Spreadshirt zu verkaufen und so nichtsahnende Aktivisten in eine Gegner-Kartei einsortieren zu können.

Nun mag man bezweifeln, dass a) Scientology bei einem solchen Nepp seine Postadresse angeben würde und b) Anonymous-Shirtdesigner besonders viel Wert auf ein korrektes Impressum legen würden. Wir haben dennoch nachgefragt:

[] Spreadshirt teilte uns telefonisch mit, dass man über die Plattform überhaupt keine Adressdaten sammeln könne. Das Ende jeder Verschwörungstheorie im Wortlaut: "Die Partner sehen von ihren Kunden nur sehr wenige Angaben, maximal die Postleitzahl und das bestellte Produkt", sagte eine Sprecherin gegenüber dem Kollegen Michi König. Der fragliche Shop bestehe seit 2008, die Adresse sei vermutlich nachträglich geändert worden. Der Rechtschreibfehler in der Adresse ("Alle" statt "Allee") deute auf eine Falschangabe hin. "Wir vermuten nicht, dass Scientology dahinter steckt. Andernfalls hätten wir natürlich gehandelt."

[] Scientology erklärte uns - nachdem zunächst einige Mails der Berliner Pressesprecherin im Süddeutsche.de-Spamfilter gelandet waren: Die Organisation stecke nicht hinter dem Shop, es handele sich wohl um einem Scherz von Anonymous Berlin, das der Dame aber bereits häufiger übel mitgespielt haben sollen. "Anonyme Bestellungen unter meinem Namen mit Anschrift der Scientology Kirche Berlin e.V., irgendwelche Rechnungen für Artikel, die ich nie erhalten habe, Scherzartikel, aber auch Sachbeschädigungen gehören in das übliche Repertoire von Anonymous in Berlin", heißt es in der E-Mail. Man werde nun die Sache durch einen Anwalt prüfen lassen, sehe die "spezielle Angelegenheit" jedoch "eher sportlich".

[] Am Nachmittag meldete sich auch noch "Censor" bei uns, der Mensch, dessen Googlemail-Adresse im Impressum des Shops von Anonymous Berlin hinterlegt war. Er sei eher ein Mitglied von Anonymous ("aber sie wissen ja wahrscheinlich schon, dass es sowas wie 'Mitglieder' bei uns nicht gibt"), schrieb er in einer E-Mail und erklärte gleich die Adressangelegenheit: "Die Adresse der Scientology-Zentrale wurde damals gewählt, weil man irgendeine Adresse ja angeben muss, und keiner von uns große Lust drauf hatte seine private zu verwenden. Verständlicherweise", heißt es. "Der Shop wurde damals (2008) eigentlich nur eingerichtet, damit wir uns ein paar Shirts machen können, nicht damit er großartig von 'Außenstehenden' benutzt wird."

Zunächst wurde "Censor" im Laufe des heutigen Tages von Spreadshirt aufgefordert, eine valide Adresse einzugeben, dann nahm die Firma den Shop von Anonymous Berlin komplett vom Netz. Und das alles wegen eines falschen Gerüchts, das wir nachprüfen wollten.

Nun haben wir ein schlechtes Gewissen, aber eine neue Spur. In der E-Mail der geplagten Scientology-Sprecherin heißt es nämlich zu Spreadshirt: "Das 'AG' bei der ebenfalls angegebenen Firma 'sprd.net AG' in Leipzig lässt erahnen, dass auch diese Firma nicht existiert. Geprüft habe ich das allerdings nicht."

Ein Unternehmen, das in Medienberichten über Jahre hinweg als erfolgreiches deutsches Startup porträtiert wurde, gibt also es womöglich überhaupt nicht? Die Geschichte hat definitiv Aufmacher-Potential. Wir bleiben dran, versprochen.

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