Anleihemarkt:"Anleger zahlen für die Gesundbetung der Märkte"

Zwangsverkäufe, Tiefzinspolitik der Europäischen Zentralbank und Währungsrisiken: Wie sich die Aussicht auf eine sanfte Zinswende auf Anleihen auswirkt - und was das für Privatleute bedeutet.

Von Simone Boehringer

Es kehrt Ruhe ein am Anleihemarkt. Ferien. Pause. Auch die Europäische Zentralbank reduziert im August normalerweise ihre auf 60 Milliarden Euro monatlich begrenzten Aufkäufe an Zinstiteln, mangels Masse. Viele neue Schuldenpapiere gibt es erst wieder ab September.

Es ist eine trügerische Ruhe, die vor dem nächsten Ansturm. Denn nie war der internationale Schuldenberg größer als heute, er beträgt nach Berechnungen des Weltverbands der Banken rund 200 Billionen Dollar, bald das Dreifache dessen, was in allen Ländern zusammengenommen weltweit im Jahr erwirtschaftet wird - und er wächst. Die größte Gruppe der Schuldenmacher sind die Staaten. Und die nutzen das global sehr niedrige Leitzinsniveau, um ihre teils hoch defizitären Haushalte möglichst günstig zu finanzieren.

Allein in der Euro-Zone stehen für den Herbst Neuemissionen von rund 300 Milliarden Euro an, wie die Commerzbank errechnet hat. Das meiste Geld benötigen Italien, rund 90 Milliarden Euro, Frankreich mit 70 Milliarden und die Bundesrepublik mit 67 Milliarden Euro. Sie sind die größten Anleihe-Herausgeber in Euroland. Auslaufende Schuldentitel müssen ersetzt werden, bei einigen neue Kredite aufgenommen werden. In dieser Größenordnung kommt es auf jeden hundertstel Prozentpunkt an, vor allem für die wirtschaftlich gebeutelten Länder in der Euro-Zone.

Die von der Europäischen Zentralbank (EZB) jüngst ganz sanft angekündigte Zinswende hat einige nervös gemacht, denn viele Staatshaushalte können höhere Zinslasten kaum tragen. "Der Schuldendienst würde jeden Staatshaushalt sprengen", sagt Eberhardt Unger, Chefökonom bei Fairesearch. "Allein Italien müsste für jeden Prozentpunkt mehr Zinskupon auf ihren Titeln rund 23 Milliarden Euro mehr Schuldzinsen bezahlen", hat Robert Halver ausgerechnet, Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Baader-Bank.

Die Tiefzinspolitik der EZB habe den Euro-Ländern Zinsausgaben von einer Billion Euro erspar

Dieses massive Schuldenproblem war ja in der Krise der Auslöser für die historische Tiefzinspolitik der EZB. Der Bundesbank zufolge haben die europäischen Währungshüter damit den Euro-Staaten seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 Zinsausgaben von fast einer Billion Euro erspart. Das Kaufprogramm der EZB soll es potenziellen Gläubigern leichter machen, die Niedrigzinstitel zu erwerben; sie können sie dann an die Notenbank weiterverkaufen. "2015 und 2016 war die EZB oft der einzige Investor, an den man verkaufen konnte, inzwischen hat sich der Markt gedreht", berichtet Michael Leister, leitender Zinsstratege bei der Commerzbank. Auch aus Asien und von internationalen Versicherern und Banken gebe es mittlerweile Interesse.

Tatsächlich entspannt sich die Lage seit den Präsidentschaftswahlen in Frankreich. Mit dem Sieg des gemäßigten Emmanuel Macron war klar, dass die Euro-Zone zusammenbleibt. Von der Bundestagswahl im September seien keine vergleichbar starken Marktsignale zu erwarten, "der Ausgang ist absehbar, das beruhigt die Märkte", erklärt Leister. Zumindest bis Frühjahr 2018 ist also ein "Weiter so" möglich, zumindest für die großen Emittenten von Staatsanleihen. Dann wählen die Italiener, und mit der Fünf-Sterne-Bewegung hat eine Partei der Euro-Skeptiker große Chancen. Aber was bedeutet diese Erkenntnis für die Anleger, die nicht Zentralbank heißen? Lohnt es sich irgendwann, wieder mehr Geld in Anleihen zu investieren?

Für Privatleute und Einzelinvestoren gibt es deshalb nicht viel zu verdienen

Die Antwort lautet, wie so oft, es kommt darauf an. Für viele Versicherungen, Pensionskassen und alle Anleger, die in ihren Statuten vorgeschrieben haben, dass sie in (Staats-)Anleihen investieren müssen, sind schon kleine Renditesprünge, wie jüngst nach den zaghaften Zinswende-Ankündigungen der EZB, ein Grund, zu besseren Konditionen nachzukaufen. Das heißt aber auch: Sobald zum Beispiel die zehnjährige Bundesanleihe ein paar Prozentpunkte mehr Rendite bringt als sonst, decken sich die Profis ein. Das wiederum bedeutet, dass die Kurse wieder steigen und die Renditen entsprechend sinken.

Für Privatleute gibt es deshalb "auf die nächsten Monate nicht viel zu verdienen", meint Elmar Völker, Zinsexperte der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). "Die Anleger zahlen für die Gesundbetung der Märkte durch die EZB", spitzt Halver von der Baader-Bank zu.

Ähnliches gilt auch für Unternehmensanleihen. Seit Beginn der Interventionspolitik durch die Zentralbank an den Märkten vor fünf Jahren sind die Renditen für weniger riskante Firmenanleihen (mit Ratingnoten von AAA bis BBB) von 4,5 auf weniger als ein Prozent gesunken. Seit einem Jahr nun agiert die EZB auch in diesem Segment und kauft Titel auf, was auch dort die Kurse stützt und die Renditen für Investoren niedrig hält. "Die EZB drängt Anleger in die riskanteren Anlagesegmente", sagt Völker.

Was bleibt also? Auskömmliche Renditen am Anleihemarkt gibt es am ehesten noch bei Fremdwährungsanleihen, etwa US-Staatsanleihen. Die dortige Zentralbank Federal Reserve hat die Zinswende bereits 2016 eingeleitet. Entsprechend bieten zehnjährige Treasuries, wie sie heißen, weit mehr als zwei Prozent Rendite. Zu beachten ist hier allerdings das Währungsrisiko: Steigt der US-Dollar, haben Anleger aus dem Euro-Raum einen Währungsgewinn. Fällt der Dollar zum Euro weiter, verlieren die Papiere, in Euro gemessen, an Wert.

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