Anleihekäufe der EZB:Das große Experiment

Anleihekäufe der EZB: Die EZB hält als Institution den Euro zusammen - und wird deshalb zunehmend politisiert.

Die EZB hält als Institution den Euro zusammen - und wird deshalb zunehmend politisiert.

(Foto: Boris Roessler/dpa)

Die Europäische Zentralbank will 1,1 Billionen Euro in den Markt pumpen, um die Wirtschaft zu retten. Doch kann das überhaupt klappen - und wenn ja, zu welchem Preis? Zwei Szenarien.

Von Nikolaus Piper und Markus Zydra

Es ist ein historisches Ereignis: Die Europäische Zentralbank (EZB) und die nationalen Notenbanken der Euro-Zone haben am Montag mit dem Ankauf von Staatsanleihen begonnen. Bis September 2016 möchte die EZB 1,1 Billionen Euro in das Finanzsystem schleusen.

Diese Maßnahme gilt als riskantes Experiment: Im besten Fall kommt Europas Wirtschaft so wieder in Fahrt. Im schlimmsten Fall gewöhnt sich der Finanzsektor an das billige Geld - und erschwert der EZB damit die Beendigung der Rettungsaktion.

Ein Händler sagte am Montag, deutsche, französische und belgische Bonds seien an die entsprechenden nationalen Notenbanken verkauft worden. Das Programm sieht Anleihen-Käufe im Volumen von rund 60 Milliarden Euro im Monat vor. Die Ankäufe durch die EZB entfalten bereits Wirkung: Italien und Spanien erhalten so günstig Staatskredit wie noch nie zuvor in ihrer Geschichte.

Zwei Szenarien, wie es weitergehen könnte.

Wenn alles glattgeht...

Auf die Lehrbücher kann man sich in diesen Zeiten nicht mehr verlassen, denn wenn es nach dem ginge, was die ökonomische Theorie sagt, müsste Europas Wirtschaft schon längst boomen. Schließlich hat die Europäische Zentralbank (EZB) Geld im vergangenen Jahr so billig gemacht wie nie zuvor in der Geschichte. Der Leitzins liegt bei 0,05 Prozent. Dennoch kommt in der Euro-Zone die Kreditvergabe und damit der Aufschwung nicht so richtig in Gang.

Die EZB versucht es deshalb mit der Brechstange und möchte bis September 2016 mindestens 1,1 Billionen Euro in das Finanzsystem der Euro-Zone pumpen, und zwar durch den Ankauf von Staatsanleihen. Geld ist der Schmierstoff einer Volkswirtschaft. Man kann fest davon ausgehen, dass diese Zufuhr nicht wirkungslos verpufft. Doch die EZB möchte eine bestimmte Wirkung erzeugen: Das Geld soll rein in die Realwirtschaft, um Wachstum und Inflation zu erzeugen.

Der Plan sieht so aus: Die EZB kauft beispielsweise einer Bank Staatsanleihen ab. Den Verkaufspreis schreibt die Zentralbank dem Institut gut. Die Bank besitzt dann mehr Geld. Wenn sie den Betrag auf ihrem Konto bei der EZB belässt, muss sie darauf einen Strafzins von 0,2 Prozent bezahlen. Um sich diese Belastung zu ersparen, so die Erwartung der EZB, würde die Bank das Geld lieber als Kredit vergeben, um zumindest etwas zu verdienen.

Teure Kredite in Italien und Spanien

In Italien und Spanien kommen Unternehmen und Privathaushalte sehr schwer an Kredite, und wenn doch, dann sind die Darlehenszinsen viel höher als es der niedrige Leitzins nahelegen würde. Das billige Geld der EZB entfaltet bislang nicht überall in der Euro-Zone die gewünschte Wirkung. Durch den Ankauf von Staatsanleihen soll diese Blockade aufgelöst werden.

Denn durch die Nachfrage nach Staatsanleihen steigen die Kurse dieser Wertpapiere - spiegelbildlich fallen dann auch die Renditen. An diesen Renditen für Staatsschulden orientieren sich Banken in aller Regel, wenn sie die Kreditzinsen für Firmen und Privathaushalte festlegen. Niedrige Renditen führen zu niedrigen Darlehenszinsen, so die Hoffnung. Und selbst wenn Banken das viele Geld nicht verleihen würden, so könnten sie es doch anderweitig investieren, beispielsweise in Aktien. Anleger würden von den steigenden Kursen profitieren und hätten mehr Geld verfügbar für Konsum und Investition - ein Wohlstandseffekt, zumindest für diejenigen, die Wertpapiere besitzen.

Der Euro wird billiger

Darüber hinaus konnte die EZB schon durch die Ankündigung des Billionen-Programms den Außenwert des Euro weiter drücken. Der Euro fiel am Montag bis auf 1,08 Dollar und notierte damit so niedrig wie seit Anfang September 2003 nicht mehr. Seit Dezember 2014 hat der Euro gegen den US-Dollar zwölf Prozent verloren, seit Mai 2014 beträgt der Verlust rund 23 Prozent. Die Exportindustrie der Euro-Zone wird gestärkt, gleichzeitig importiert der Währungsraum die gewünschte Inflation, weil die Einfuhren teurer werden.

EZB-Präsident Mario Draghi hat deutlich gemacht, dass die Zentralbank das Ankaufprogramm "wenn nötig" über September 2016 hinaus verlängern werde, bis sie eine "anhaltende Anpassung der Inflation" an die angestrebte Rate von knapp unter zwei Prozent beobachte. In den letzten Monaten waren die Preise gefallen, mancher befürchtet eine gefährliche Deflation. Doch der niedrige Ölpreis schiebt nun laut EZB die Konjunktur an. "Die Erholung gewinnt an Breite und Stärke", sagte Draghi kürzlich. Allerdings müssten die Regierungen nun auch wichtige Wirtschaftsreformen durchführen.

Von Markus Zydra

Wenn alles schiefgeht...

Montag, 9. März - den Tag sollte man sich im Kalender markieren. Es ist der Beginn eines großen Experiments der Europäischen Zentralbank. Die EZB tut es den Kollegen von der Federal Reserve gleich und kauft massiv Staatsanleihen der Euro-Länder auf. Wenn das Experiment abgeschlossen ist, wird sich die Bilanz der Notenbank um 1,1 Billionen Euro aufgebläht haben. Besonders die Deutschen sehen den Kurs von EZB-Präsident Mario Draghi mit Skepsis und Ablehnung. Aber wie gefährlich ist sein Kurs wirklich?

Erstens berufen sich viele Kritiker auf den Ökonomen Milton Friedman und seinen berühmten Satz: "Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen." Daraus schließen sie, dass dann, wenn die EZB frisches Geld produziert - und das tut sie, wenn sie Anleihen kauft -, notwendigerweise Inflation entsteht. Derzeit gibt es jedoch keinerlei Hinweise darauf - im Gegenteil, die Preise sinken.

Zweitens fürchten viele Deutsche, dass das viele Geld in den Krisenländern den Reformdruck nimmt. Über das Argument lässt sich lange streiten. In Griechenland hat der Druck dazu geführt, dass eine extrem reformfeindliche Partei an die Macht gekommen ist. In Spanien könnte Ähnliches geschehen. Die Gegenprobe liefert die deutsche Geschichte. Das westdeutsche Wirtschaftswunder ging erst 1951 los, als zu den Reformen der Sozialen Marktwirtschaft der Nachfrageschub des Koreakrieges kam.

Schwieriger Ausstieg

Am schwersten wiegt daher die dritte Sorge, und die hat mit der Politisierung der EZB zu tun: Was ist, wenn Negativzinsen und Anleihekäufe Erfolg haben? Die Gefahr der Deflation ist gebannt, die Euro-Zone, oder zumindest der überwiegende Teil, wächst wieder nachhaltig. Dann ist es an der Zeit, den Kurs zu ändern und das Geld wieder knapper zu machen.

Ökonomisch ist das kein Problem, die EZB muss einfach die zuvor erworbenen Anleihen wieder verkaufen. Dann sinkt deren Kurs, die Zinsen steigen, Kredit wird teurer. Aber wird sie es auch tun? Die Frage ist in Wahrheit keine ökonomische, sondern eine politische.

Draghi mit Hitlerbärtchen?

Zwar ist die EZB per Gesetz in ihren Entscheidungen unabhängig, doch arbeitet sie auch nicht in einem politikfreien Raum. Wenn die EZB ihre Geldpolitik normalisiert und die Zinsen steigen, dann hat das für viele Regierungen sehr unangenehme Folgen. Die Finanzierung der Staatsschuld wird teurer, sie müssen weiter sparen, wenn sie sich Europa-konform verhalten wollen. Das kann massive Proteste auslösen - nicht nur in Griechenland, sondern in allen Ländern, die trotz Aufschwungs wegen ungelöster Strukturprobleme unter schwachem Wachstum leiden. Das könnten Italien, Portugal und Frankreich sein. Dann wird plötzlich Draghi statt Angela Merkel der verhasste Repräsentant der Austeritätspolitik, dann verzieren Demonstranten sein Konterfei mit Hitler-Bärtchen.

Schlimm wird es, wenn die EZB dem Druck in so einer Situation nicht standhält und den Protesten nachgibt. Wenn sie zum Beispiel den Verkauf von Anleihen stoppt, um die Etats von Frankreich und Italien zu schonen. Es reicht dabei schon, dass die Finanzmärkte glauben, die EZB würde zum Wackelkandidaten, um den Euro schwer zu schädigen. Wenn aber die EZB nicht mehr glaubwürdig ist, dann steigen die Inflationserwartungen, dann wird die einzige Institution beschädigt, die den Währungsraum verlässlich zusammenhält. Und dann muss man schwarzsehen für Europa. Wegen dieses Negativszenarios ist es so wichtig, dass die EZB heute glaubwürdig bleibt.

Von Nikolaus Piper

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