Süddeutsche Zeitung

Anleihefonds Pimco und die Allianz:Wenn die Tochter 22 Milliarden Euro verliert

Vor Pimco zittern ganze Staaten. Der größte Anleihefonds der Welt brachte seiner deutschen Mutter Allianz prächtige Gewinne, sein Chef Bill Gross galt als Genie. Jetzt ziehen Anleger viel Geld aus Pimco ab. Dafür büßt auch die Allianz.

Von Alexander Hagelüken, Herbert Fromme und Friederike Krieger

"Es geht doch nichts über ein herzhaftes Niesen", schreibt der Autor zu Anfang seiner Kolumne. "Vielleicht eine heiße Dusche oder ein Eiscreme-Sandwich, aber nein, abgesehen davon kommt nichts auch nur annähernd an das Niesen heran." Ja, es handelt sich um eine Investment-Kolumne. Verfasst von dem Mann, der den größten Anleihefonds der Welt mit weit mehr als 200 Milliarden Dollar verwaltet. Wer die fremdwort- und faktensatten Analysen kennt, die Finanzkonzerne sonst so rausgeben, wird sich schwer wundern. Schreibt Fondsmanager Bill Gross doch wie im Vormonat erst über seine tote Katze oder wie im Mai über die Vorzüge des Niesens, bis er sich den Finanzmärkten zu wendet. Und er versieht das Ganze auch noch mit der Überschrift "Hatschi!"

Bisher gab es über Bill Gross so gut wie nur ein Urteil: Der Mann ist genial. Doch das beginnt sich zu ändern. In letzter Zeit kommen noch ganz andere Urteile. Sie kommen mit einer Wucht, die vergleichbar ist mit den 100 000 Bakterien, die Gross beim Niesen aus der Nase fliegen sieht.

Am Mittwochmorgen meldete der Allianz-Konzern verschnupft, dass Sparer im ersten Quartal 22 Milliarden Euro aus der von Gross gegründeten Anlagegesellschaft Pimco abgezogen haben. "Das Formtief von Pimco währt nun schon zwölf Monate", rügt Ingo Speich vom Aktionär Union Investment. Hatschi!

Manche verlangen von Allianz-Chef Michael Diekmann, dass er durchgreift

Zu besichtigen ist der Abwärtstrend eines Börsenstars. Beim Pimco-Eigentümer Allianz heißt es optimistisch, die Abflüsse seien nur noch halb so hoch wie im Quartal zuvor. Was ist da los, wenn ein Konzern eine halbierte Niederlage als Erfolg zu verkaufen sucht?

Bill Gross, so wurde berichtet, kommt jeden Morgen um 4.30 Uhr in sein Büro im sonnigen Kalifornien. Vor Jahrzehnten hat der Psychologe eine Investmentfirma aufgebaut, die mit seinem untrüglichen Gespür für die Märkte Anleger sehr, sehr glücklich machte. Vor 15 Jahren kaufte die Allianz Pimco und wurde damit auch sehr, sehr glücklich. Regelmäßig lieferte die kalifornische Tochter großartige Gewinne nach München, anders etwa als die Dresdner Bank, deren Kauf sich für den Versicherungskonzern als Fiasko erwies. Pimco war ohne Frage das beste Investment der Allianz in den vergangenen zwei Dekaden. Weshalb nun jeder genau hinschaut, wenn das beste Investment Probleme bekommt.

Es ist eine Frage der Perspektive. 22 Milliarden Euro verlorenes Geld sind ja nicht so viel, wenn eine Anlagegesellschaft etwa 1,2 Billionen Euro verwaltet. Andererseits sind sie doch nennenswert, wenn eine Gesellschaft bisher unbesiegbar schien, der Star 70 geworden ist und ein wenig schrullig - und sich gerade mit seinem Kronprinzen überworfen hat.

"Da gibt es einen Vertrauensverlust"

Bill Gross war immer der Tüftler von Pimco. Den öffentlichen Auftritt zelebrierte Vorstandschef Mohamed El-Erian. Der stieß Krisenstaaten Bescheid, warum ihre Politik verfehlt sei - eine mächtige Drohung, wenn eine Firma so viele Staatspapiere verwaltet (und gegebenenfalls verkauft) wie keine andere auf dem Erdball. Zusammen beeindruckten die beiden Pimcorianer Anleger. Anfang des Jahres schied El-Erian überraschend aus und deutete an, wegen unterschiedlichen Stils habe er mit Gross nicht mehr zusammenarbeiten können. Der Stil des Gründervaters galt schon länger als ruppig, und bald folgten hässliche Details in den Medien. "Ich habe vier Jahrzehnte Erfolg vorzuweisen - und du?", soll er El-Erian angeblafft haben. Der Abgang blieb nicht ohne Wirkung auf die Kunden. "Manche Anleger sagen: El-Erian, der beste Mann, ist weg. Da gibt es einen Vertrauensverlust", glaubt Daniela Bergdolt vom Anlegerschutzverein DSW. Ob ein neues Managementteam mit sechs Stellvertretern ein Gegengewicht zum übermächtigen Gross bilden kann, muss sich noch zeigen.

Dazu kommt, dass Pimco zwar auch Aktienfonds und anderes anbietet, wegen Gross' Expertise aber traditionell als Anleihespezialist gilt. Und mit Rentenpapieren ist in Zeiten der Niedrigzinsen oft nur wenig zu verdienen. Außerdem lag der Meister 2013 öffentlichkeitswirksam falsch mit seiner Hypothese, dass die US-Zinsen nur langsam steigen. Sein Flaggschiff-Fonds schnitt schlechter ab als sonst.

Seit Jahresanfang hat der Dax knapp vier Prozent zugelegt, die Allianz-Aktie aber fünf Prozent verloren. Das sei ein Pimco-Abschlag, zürnen Aktionäre. Manche verlangen von Konzernchef Michael Diekmann, dass er durchgreift. Aber das ist genau die Frage: Kann Diekmann das? Hat er die Macht, Gross zu feuern? Oder ist Pimco eigentlich nichts anderes als Gross mit seinen Erfolgen, unterstützt durch einen Stab von 2000 Experten? Dann wäre der Abgang des Gurus das Ende von Pimco.

Gross verdient etwa 150 Millionen Euro im Jahr, berichteten Eingeweihte mehrfach. Das wäre zwanzigmal so viel wie Diekmann 2013. Allein das sagt viel über das Verhältnis von Eigner Allianz und Tochter Pimco. Eine andere Zahl ist, dass Pimco mit seinen gut 2000 Mitarbeitern in guten Jahren ein Drittel des Gewinns der Allianz mit ihren knapp 120 000 Mitarbeitern beisteuert. Im ersten Quartal sank das operative Ergebnis in der Vermögensverwaltung um ein Viertel, was das traditionelle Versicherungsgeschäft aber fast ausglich.

Die Frage ist, ob Diekmann es schafft, dass die jahrelange gute Beziehung zwischen den beiden die jetzige Krise überlebt und die Allianz sich als Eigner durchsetzt - ohne Pimco nachhaltig zu beschädigen. Konzerninsider beteuern, Diekmann habe das Problem im Griff. Pimcos Anlagerendite über drei Jahre, an der sich Großinvestoren orientieren, ist noch sehr gut. Wie es weitergeht, dürfte in diesen unruhigen Zeiten eine Zinswette entscheiden, Bill Gross' alte Spezialität. In seiner Hatschi-Kolumne sagt er voraus, dass die US-Zentralbank die Zinsen nur langsam erhöht. Kommt es anders, winkt eine dicke Erkältung.

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SZ vom 15.05.2014/webe
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