Analyse zum Müll:Wenn Verpackung ihren Sinn verfehlt

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Tomate in Plastik, Gurke in Plastik, Paprika in Plastik, Brokkoli in Plastik: Nicht immer ist eine solche Verpackung wirklich sinnvoll. (Foto: Jessy Asmus)

Im Supermarkt ist so gut wie alles in Plastik gehüllt. So entstehen riesige Müllberge, die sich vermeiden ließen. Eine Ausnahme ist die Salatgurke: Da ist die Folie durchaus sinnvoll.

Von Vivien Timmler

Die Plastifizierung der Welt zeigt sich ausgerechnet in der Obst- und Gemüseabteilung. Auberginen, das Angebot der Woche, fein säuberlich nebeneinander drapiert - und jeweils in Plastikfolie verpackt. Gleich daneben: Paprika im Dreierpack. Auch sie: umhüllt von einem Plastikschlauch. Und da, ein Regal weiter, das mittlerweile viral verbreitete Feindbild umweltbewusster Einkäufer: die Salatgurke im Plastikmantel.

Was den Umgang mit Kunstoffen angeht, stellt sich Deutschland gerne als Vorreiter da. Von einer Recyclingquote von nahezu 80 Prozent ist beim Umweltbundesamt die Rede, Tendenz steigend. Die Zahlen sind umstritten, Mülltrennung und Wiederverwertung aber auch laut OECD so effizient wie sonst nirgendwo in Europa. Was dabei jedoch häufig außen vor gelassen wird: Deutschland ist in noch einem Punkt Europameister - und zwar im Anhäufen von Verpackungsmüll.

Mehr als 17 Millionen Tonnen Verpackungen aus Kunststoff, Pappe oder Papier gehen laut Umweltbundesamt jährlich über die Ladentheke und wandern zu einem Großteil anschließend in den Müll. Das entspricht 218 Kilogramm Verpackung pro Kopf im Jahr. Ein Grund für diese große Menge: Viele der Verpackungen, die uns im Alltag begegnen und die den Weg in unsere Haushalte finden, sind komplett unnötig.

Dabei ist im Verpackungsgesetz genau festgeschrieben, welche Funktionen eine Verpackung primär erfüllen soll: Sie muss das Produkt schützen, zu seiner optimalen Lagerung beitragen und einen effektiven Transport ermöglichen. Alles, was darüber hinausgeht, also die Werbefläche, die Verkaufsförderung oder die Handlichkeit, sind nur zweitrangig - eigentlich. Denn beim Gang durch den Supermarkt zeigt sich: Auch Produkte, deren Schutz, Lagerung und Transport eigentlich ohne Verpackung garantiert werden kann, sind häufig verpackt.

Bei einer Zahnpastatube beispielsweise hat die zusätzliche Pappverpackung keinerlei Mehrwert für den Kunden. Dafür aber für den Hersteller: Die Hochglanzverpackung wirkt im Regal attraktiver, auch die bedruckbare Werbefläche ist größer. Ähnlich verhält es sich mit vielen Cremes und Peelings, aber auch etwa mit Lebensmitteln in Vorteilspacks. Wer beispielsweise Joghurts im mit Pappe ummantelten Sechserpack kauft, spart in der Regel gegenüber einzelnen Bechern nur wenige Cent - die Pappe allein wirkt aber schon so verkaufsfördernd, dass sie dem Kunden ins Auge springt.

Viele umweltbewusste Verbraucher stören sich zudem an sogenannten Mehrfachverpackungen. Oft sind einzelne Kekse, Bonbons oder Kaffeekapseln in eigene Verpackungen gehüllt, nur um dann in einer zweiten, größeren Verpackung zu landen. In einer Kaffee-Kapsel etwa sind nur sechs Gramm Kaffeepulver, umhüllt sind diese allerdings von etwa drei Gramm Plastik oder Aluminium und bei einigen Marken sogar von einer zusätzlichen Plastikfolie - erst dann wandern sie in den Pappkarton.

Dass das nicht umweltfreundlich sein kann, ist auch den meisten Unternehmen klar, doch sie haben sich längst ihre Argumente zurechtgelegt. Die Kaffeekapsel-Hersteller etwa führen an, dass das Aroma nur dank dieser doppelten Verpackung aus Aluminium und Kunststoff garantiert werden könne - und die Kunden würden Einbußen beim Aroma nicht hinnehmen. Süßwaren-Unternehmen wie Haribo, die kleine Gummibärchentüten in einer großen Gummibärchentüte verkaufen, argumentieren, der Kunde könne sich die Süßigkeiten dank der Portionierung nun einmal gut einteilen.

Auch das Start-up MyMuesli beruft sich auf das Argument, der Kunde "wolle es so". Es verkauft neben seinen 575-Gramm-Dosen auch kleine 85-Gramm-"Portionsbecher". Die Papp-Dosen haben nicht nur ein schwer recycelbares Sichtfenster aus Kunststoff, sondern zusätzlich noch einen Aludeckel. Der erschwert die Mülltrennung erheblich. Der Grund für die Markteinführung der kleinen Packung: Der Kunde wolle schließlich auch unterwegs Müsli essen. Aber selbst, wenn das Start-up mit diesem Produkt dem vermeintlichen Wunsch der Kunden nachkommen sollte - gleichzeitig wälzt es die Verantwortung auf diese ab.

Die Folie verdoppelt die Haltbarkeit der Salatgurke

Das liebste Feindbild der Verpackungsgegner ist jedoch die mit Plastik ummantelte Salatgurke, das nach der Tomate (die eigentlich in die Kategorie Fruchtgemüse gehört) und der Karotte drittliebste Gemüse der Deutschen, wie die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung jährlich erhebt.

Im ersten Moment erscheint es durchaus skurril: Ein Lebensmittel, das durch seine Außenhaut eine natürliche Verpackung mitbringt, wird in Folie geschweißt. Im Fall der Salatgurke ist das jedoch sinnvoll: Sie schützt das Produkt vor dem frühzeitigen Verderben. Gerade Gurken und Brokkoli, die zum Zeitpunkt der Ernte noch eine aktive Zellatmung besitzen, würden ohne eine angemessene Verpackung extrem schnell viel Wasser verlieren. Die Gurke wird außerdem eingeschweißt, weil nur unter einer entsprechenden Folie genau die richtige Atmosphäre erzeugt wird, welche die Gurke länger frisch hält. Ihre Haltbarkeit wird durch die Verpackung in etwa verdoppelt.

Nun argumentieren viele Verbraucher nicht zu Unrecht, dass diese Art von Gemüse, die von Natur aus schnell schrumpelt, einfach frühzeitig verzehrt werden muss. Da die Gurken, die in Supermärkten und Discountern in den Regalen liegen, zumeist aus südeuropäischen Ländern importiert werden, könnten diese jedoch bereits zum Zeitpunkt der Auslage zu schrumpeln beginnen. Und nur wenige Verbraucher sind bereit, Obst und Gemüse mit Makeln zu kaufen, wenn sie die Wahl haben.

Würden die Unternehmen also auf eine Plastikverpackung verzichten und die Gurke ließe sich nicht verkaufen, wäre deren Umweltbilanz noch schlechter als die einer eingepackten Gurke, die verzehrt wird. Denn nicht nur Verpackungen haben einen ökologischen Fußabdruck: Auch die Produktion der Lebensmittel kostet Wasser und Energie, und die wäre beim Verderben umsonst verbraucht worden.

Kaum nachvollziehbar ist hingegen das kursierende Argument einiger Einzelhändler, nur die Bio-Salatgurke werde in Plastik gehüllt. Zwar muss Bio-Gemüse laut EU-Recht von konventionellem Gemüse zu unterscheiden sein, das ginge jedoch auch ohne Plastik. Bio-Sticker beispielsweise könnten genauso gut auf dem Produkt selbst angebracht werden. Und die Rewe Group testet derzeit Bio-Etiketten, die per Laser in die äußerste Schicht von Avocados oder Süßkartoffeln gebrannt werden. Hinzu kommt, dass Bio-Lebensmittel-Käufer tendenziell eher dafür sensibilisiert sind, auf unnötigen Verpackungsmüll zu verzichten. Ihnen bleibt dann nur der Gang in den Bio-Markt: Dort sind die Gurken zwar nicht in Plastik gehüllt - sie müssen aber auch deutlich eher verzehrt werden.

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