Wenn zwei sich streiten, sollte sich der Dritte eigentlich freuen. Für die kurze Epoche der Ampelregierung muss das Sprichwort allerdings umgeschrieben werden: Wenn drei sich streiten, leidet die Wirtschaft. Und freuen kann sich darüber niemand. Ökonomen haben nun durchgerechnet, wie groß der volkswirtschaftliche Schaden durch den Dauerstreit der Regierung von SPD, Grünen und FDP ist. Der Ampelstreit hat nämlich zu wirtschaftspolitischer Unsicherheit geführt, was die deutsche Volkswirtschaft dieses Jahr 20 Milliarden Euro kostet. Zu diesem Ergebnis kommt Claus Michelsen, Chefvolkswirt beim Pharma-Verband VFA und zuvor beim Forschungsinstitut DIW beschäftigt. Sein „Policy Brief“ wird an diesem Donnerstag veröffentlicht und lag der Süddeutschen Zeitung vorab vor.
Anders gerechnet entsprechen die volkswirtschaftlichen Kosten demnach rund 0,3 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Bundesregierung geht davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt um 0,2 Prozent sinkt. Beide Zahlen sind natürlich nur geschätzte Modellrechnungen. Wenn man das ausblendet, könnte man aber sagen: Das Ampel-Chaos hat Deutschland in die Rezession gestürzt. Ohne wirtschaftspolitischen Dauerstreit hätte das Bruttoinlandsprodukt wachsen können, allen anderen wirtschaftlichen Problemen zum Trotz.
Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im November 2023 war die Ampel sich völlig uneins, wie es mit der Schuldenbremse, der Finanz- und Wirtschaftspolitik weitergehen soll. An diesen Punkten ist sie rund ein Jahr später zerbrochen. In den Monaten dazwischen wussten die Bürger und die Unternehmen nicht, woran sie sind: Streicht die Regierung Subventionen – oder gibt es neue Staatshilfen? Kommen Wirtschaftsreformen – oder werden sie doch wieder abgeblasen?
Wenn nicht klar ist, wie es politisch in diesen Fragen weitergeht, warten viele bei großen Finanzentscheidungen erst mal ab. Das gilt im Privaten und für Firmen. Der wirtschaftliche Schaden von 20 Milliarden Euro ergibt sich aus beidem. Unternehmen waren wegen der Unsicherheit zurückhaltend bei Investitionen, einen noch größeren Dämpfer gab es für den privaten Konsum.
Im ökonomischen Modell, das den Schaden des Streits kalkuliert hat, werden die schlechte Konjunktur und ihre Folgen herausgerechnet. Somit kann der Schaden durch die wirtschaftspolitische Unsicherheit sichtbar werden. Gemessen wird die Unsicherheit über verschiedene Umfragen. In dem ökonomischen Modell hat diese so gemessene Unsicherheit direkt Folgen, weil Investitionen verschoben werden, während eine abschwächende Konjunktur erst mit etwas Verzögerung die Unsicherheit erhöht. So können die beiden Effekte finanziell auseinandergehalten werden. Die 20 Milliarden Euro kann die Ampel also nicht auf die schlechte Nachfrage aus China oder den Wegfall der billigen Gaslieferungen aus Russland schieben. Die Kosten des wirtschaftspolitischen Chaos sind hausgemacht.
Je krasser der Streit, desto stärker bricht die Produktion in der Industrie ein
Das zeigt auch ein Vergleich von Deutschland mit Europa. Durch den Überfall Russlands auf die Ukraine 2022 und die somit steigenden Energiepreise ist die Unsicherheit überall gestiegen, gemessen mit dem sogenannten Economic Policy Uncertainty Index. Mit diesem versuchen Ökonomen durch die Auswertung von Zeitungsartikeln, die Unsicherheit in der Wirtschaftspolitik eines Landes zu messen. Während sich im restlichen Europa im Laufe der Monate die Lage wieder etwas beruhigt hat, ist die Unsicherheit in Deutschland demzufolge hoch geblieben.
Dass Regierungen so offen über die Finanzpolitik streiten wie die Ampel, ist selten. Ökonom Peter Tillmann von der Universität Gießen und Kollegen haben historische Daten dazu ausgewertet. Heftige Auseinandersetzungen über Fiskalfragen innerhalb von Regierungen gab es demnach zum Bruch der sozialliberalen Koalition 1982 und beim Rücktritt von Oskar Lafontaine als Finanzminister 1999 wenige Monate nach der Wahl von Gerhard Schröder (SPD) zum Bundeskanzler. Tillmann und Kollegen rechnen vor: Je krasser der Streit, desto stärker bricht die Produktion in der Industrie ein. Wenn sich eine Regierung zerlegt, zieht sie somit die ganze Wirtschaft mit nach unten.