Zukunft der Arbeitnehmer:Wie die Ampel sozialen Absturz verhindern will

People attend a protest called by industrial IG Metall union to demand a social and ecological change in the industry in Berlin

IG-Metall-Mitglieder demonstrieren vor dem Bundestag in Berlin.

(Foto: Christian Mang/Reuters)

Viele Gewerkschafter schauen mit Sorge auf die Pläne für eine klimaneutrale Industrie. Und fragen sich: Wie viel Geld wird übrig sein für Bürgergeld, Kindergrundsicherung und Rente?

Von Roland Preuß und Henrike Roßbach, Berlin

Als Hubertus Heil am Freitagmorgen die Bühne zwischen Reichstagsgebäude und Spree betritt, sieht er ziemlich heiter aus. Das kann an der Morgensonne liegen, die um halb neun gerade hoch genug steht, um die Ostfassade des Parlamentssitzes zu vergolden. Oder daran, dass die Koalitionsverhandlungen in seiner Arbeitsgruppe spitze laufen. Vermutlich aber amüsiert er sich einfach nur darüber, dass die Moderatorin ihn gerade als "kommissarischen Bundesvorsitzenden Arbeit und Soziales" vorgestellt hat. Sowas kann schon mal passieren, wenn man als Sozialdemokrat zur IG Metall geht.

Laut ist es an diesem Oktobermorgen im Regierungsviertel. Etwa 500 Metaller, schätzt die Gewerkschaft, haben sich versammelt. Sie trommeln, rasseln und tröten. Auf dem Fluss fahren Schiffe vorbei, mit fahnenschwingenden Gewerkschaftern an Deck und Transparenten an der Reling. Mit einem Aktionstag in mehreren Städten wollen die Metaller der potenziellen Ampel-Regierung deutlich machen, wie sie sich das vorstellen mit dieser sozial-ökologischen Marktwirtschaft, von der alle reden. Auch die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie hat zu Aktionen aufgerufen.

Während der kommissarische Arbeitsminister Heil dem Chef der IG-Metall-Vertrauensleute im Daimler-Werk in Berlin-Marienfelde zuhört, der davon spricht, dass an dem 1902 gegründeten Produktionsstandort wegen des Abschieds vom Verbrenner "jeder Arbeitsplatz auf dem Prüfstand" stehe, wird deutlich: Es herrscht Unruhe in der organisierten Arbeitnehmerschaft mit Blick auf diese Ampel, die in Berlin herbeiverhandelt werden soll.

Ein Wunder ist das nicht. Die Transparente der Metaller verraten, wo sie herkommen. Stahlwerk Eisenhüttenstadt, Porschewerk Leipzig, Hennigsdorfer Elektrostahlwerke, Vulkan Energiewirtschaft Oderbrücke, Siemens Gasturbinen. Wer in diesen Branchen arbeitet, hat durchaus Grund, sich den ein oder anderen Gedanken zu machen, wenn Rot-Grün-Gelb die Schuldenbremse einhalten und Hunderte Milliarden Euro auftreiben will für die Investitionen, die nötig sind für den Umbau zu einer der klimaneutralen Industrie.

Im Sondierungspapier der Ampel-Verhandler finden sich die Stichworte

Und dann gibt es ja noch weitere Herzensthemen der Gewerkschaften: Sozialreformen. Sie sollen helfen - gegen knappe Renten, Kinderarmut und einen sozialen Absturz. Etwa, wenn der Wandel zum Klimaschutzland den eigenen Arbeitsplatz kostet. Laut ihren Wahlprogrammen hatten sich SPD und Grüne viel vorgenommen in der Sozialpolitik - und auch die FDP wollte einiges bewegen. Im Sondierungspapier der Ampel-Verhandler finden sich die Stichworte zu den Großvorhaben auch wieder, nämlich das Bürgergeld, die Kindergrundsicherung und eine Absicherung der Rente.

Das Bürgergeld soll das vielen verhasste Hartz-System ersetzen, soll Sozialleistungen zusammenführen, Bürokratie abbauen, mit weniger Strafen funktionieren. So die Richtung, die sich aus den Forderungen der Ampel-Parteien herauslesen lassen (auch wenn die Grünen den Begriff gar nicht verwenden). Insbesondere aber klingt Bürgergeld besser als Hartz IV. Ist es auch wirklich anders? "Was im Sondierungspapier steht, ist in weiten Teilen ähnlich wie die Grundsicherung, das ist keine Revolution", sagt Enzo Weber, Wirtschaftsprofessor am Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Immerhin sind konkrete Änderungen festgehalten, so wollen die Ampelpartner die Möglichkeiten für den Zuverdienst verbessern. Das würde bedeuten, dass mehr Leute als bisher staatliche Unterstützung erhalten, auch wenn sie ein geringes Einkommen erzielen. "Ein großzügiger Zuverdienst kann sehr teuer werden", sagt Weber. "Da kommen schnell Milliardensummen zusammen."

Ähnlich ist es bei der Kindergrundsicherung. Auch hier ist die Idee, die verstreuten Sozialleistungen für Kinder zu bündeln und den Eltern den Formularkrieg zu ersparen. Grünen-Chefin Annalena Baerbock hatte das Modell im Wahlkampf vehement beworben als das Instrument gegen Kinderarmut. Am Freitag nun stellte das Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo eine Studie im Auftrag der Grünen vor, die ihre Modelle durchgerechnet hat. Ergebnis: Die Kindergrundsicherung würde zwischen 27 und 33 Milliarden Euro kosten. Das Ergebnis hörte sich an wie das Echo aus einer anderen Epoche. Nämlich aus der Zeit, bevor sich die Ampel-Verhandler festlegten, sowohl die Steuern nicht zu erhöhen als auch die Schuldenbremse einzuhalten.

Die Ampel-Sondierer hatten schon Zugeständnisse gemacht. Ursprünglich wollten die Grünen für jedes Kind, arm wie reich, 290 Euro im Monat zahlen. Im Sondierungspapier heißt es nun, die Kindergrundsicherung solle kommen, man konzentriere sich aber auf die Kinder, "die am meisten Unterstützung" brauchen. "Das wird im Prinzip schon heute so gemacht mit Leistungen wie dem Kinderzuschlag", sagt Weber. Der Fokus auf ärmere Kinder senkt die Kosten - und dennoch darf man gespannt sein, was von den Plänen angesichts der Spielräume im Haushalt übrig bleibt.

Bleibt die Rente, wo sich Olaf Scholz Erfolge für die SPD zuschreibt: Das Mindestrentenniveau soll bei 48 Prozent bleiben, die Renten dürfen nicht sinken, das Renteneintrittsalter nicht weiter steigen, nicht über 67 Jahre hinaus. Schon jetzt fließen jährlich rund 100 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt in die Rentenkasse, wenn die Beiträge zur Rentenversicherung nicht weiter steigen sollen, dann wird diese Summe weiter wachsen. Der Präsident des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW, Marcel Fratzscher, sprach am Freitag im Deutschlandfunk von einer "fatalen Entwicklung", der Bund werde weitere zig Milliarden aufwenden müssen. Ein weiterer Großposten, der finanziert werden muss.

Und noch etwas sagte Fratzscher, besonders wichtig gegen Altersarmut seien gut bezahlte Jobs ohne "Lücken", also ohne lange Arbeitslosigkeit. Womit man wieder vor dem Reichstag angekommen ist, wo Metaller-Chef Jörg Hofmann von Hubertus Heil ein "Sicherheitsversprechen" fordert, also keine transformationsbedingten Entlassungen bis 2030.

Theo Geßner und Michael König tragen neongelbe Westen mit der Aufschrift "Stahl hat Zukunft". Klein ist darüber gedruckt: "Go Green". Die beiden Männer arbeiten im Stahlwerk Eisenhüttenstadt, das zu Arcelor-Mittal gehört. Grüner Stahl, auf Wasserstoffbasis, das ist die große Hoffnung ihrer Branche. Vermutlich ist es die einzige. "Wir wollen für unseren Arbeitsplatz kämpfen", sagt Geßner, 23, der seit fünf Jahren im Stahlwerk arbeitet und dort seine Ausbildung gemacht hat. Über das, was die nächste Regierung mit ihrer Branche anstellen könnte, werde viel geredet in der Belegschaft. König, 32 Jahre alt und seit 16 Jahren im Betrieb, macht sich Sorgen. Weit abgelegen seien sie mit ihrer Produktion in Eisenhüttenstadt, "und wir sind halt ein kleines Licht in unserem großen Konzern. Wenn da nicht irgendwas passiert, sag ich mal, wird's halt schwer". Und die Politik, Heils Versprechen, dass sie sich verlassen könnten auf eine möglichen Kanzler Scholz und die SPD? "Ja, erzählen kann man immer viel. Aber man muss halt gucken, ob's auch umgesetzt wird."

Heil ist da schon weg. Vermutlich ruft die Arbeitsgruppe.

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