American Apparel: Modelabel unter Druck:Feinripp statt Selbstzweifel

Hip, cool, sexy - trotzdem: Die Modefirma American Apparel steckt in großen Schwierigkeiten. Ihr eigenwilliger Chef Dov Charney ist aber wenig beeindruckt. Ein Hausbesuch in Los Angeles.

Johannes Boie

Nachts um halb eins rennt Dov Charney um seine Millionärsvilla und sucht das dickste aller seiner Autos. Ach, da steht er ja, ein S600, Baujahr 1993. "Dieses Auto", ruft Charney in die Nacht, "absolut psycho. Ich liebe es." Er imitiert das Geräusch eines fahrenden Autos, wie es Kinder gerne tun. Er lacht laut, über sich selbst und über das Auto. Er will es öffnen, aber der Wagen ist abgeschlossen. Keine Ahnung, wo der Schlüssel ist.

American Apparel Hipster Turns Preppy As Stock May Be Delisted

Dov Charney, der Gründer von American Apparel, will den aktuellen Aktienkurs von nur noch 74 Cent nicht kommentieren. Dann lacht er.

(Foto: Bloomberg)

Dov Charney besitzt mehr als 50 Prozent der Aktien des Modeunternehmens American Apparel. Auch beim aktuellen Kurs der Aktie von 74 Cent sind das mehrere Millionen Dollar. Der Kanadier hat die Firma gegründet und zu einem der bekanntesten Modelabels der Welt gemacht. 7000 Arbeiter produzieren jeden Tag 250.000 Kleidungsstücke bei American Apparel. Sie tun dies in der Innenstadt von Los Angeles, für 12,50 Dollar pro Stunde. Außerdem sind sie über die Firma krankenversichert. Charneys Angestellte sind vielleicht die glücklichsten Textilarbeiter der Welt.

Seine Kunden sind vor allem junge Menschen in großen Städten, die ein übermäßig ausgeprägtes soziales und ökologisches Bewusstsein haben, sowie zu große Hornbrillen und zu enge Hosen mit Hosenträgern für modisch halten. Es gibt mehr davon, als man denkt.

Charney hat unzählige Auszeichnungen bekommen, sie stapeln sich im Besucherzimmer im siebten Stock der Fabrik in Downtown. Doch heute, da der Aktienkurs am Boden ist, die US-Börsenaufsicht wegen diverser finanzieller Ungereimtheiten ermittelt und die Schulden der Firma auf 120 Millionen Dollar angewachsen sind, könnte man zweifeln, ob Dov Charney wirklich der geschickte Manager ist, für den ihn immer alle hielten. Zudem wurde er mehrfach wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz angezeigt. Manchmal kommt er nur mit Unterhosen bekleidet zur Arbeit.

Charney, 41, sitzt mitten in der Nacht über den Dächern von Los Angeles, in seiner Millionen-Villa, in einer abgeriegelten Siedlung im Stadtteil Silverlake. Er genießt den vielleicht besten Blick auf die Skyline von Los Angeles überhaupt. "Wir sind in einer großartigen Situation", sagt Charney, auf die Probleme seiner Firma angesprochen. Unter ihm ruft eine in einen Hauch von American Apparel gekleidete Schönheit: "Dov, ich bin jetzt da." Sie verschwindet im Haus.

Die Börsenaufsicht ermittelt, Charney lacht

Die Villa steht auf dem höchsten Hügel im bergigen Silverlake. Hier oben verändert sich offenbar der Blick auf die Dinge. Dov Charney könnte in naher Zukunft tief fallen, aber er sagt, American Apparel ginge es "bestens". Das Unternehmen sei in 22 Ländern präsent, "wir wachsen. Wir sind profitabel." Die Ermittlungen der Börsenaufsicht? "Diese Menschen kommen und gehen. Bei allem Respekt, ihre Untersuchungen interessieren mich nicht." Die Anzeigen wegen sexueller Belästigung? "Das sind Leute, die sich finanzielle Vorteile aus einer Klage erhoffen." Tatsächlich wurde Charney niemals verurteilt. "So etwas zieht dann halt die Boulevardpresse an. Das macht die Anschuldigungen nicht wahrer. Aber die Aufmerksamkeit größer." Der abgestürzte Aktienkurs? "Es wäre unprofessionell von mir, das zu kommentieren." Er lacht laut.

Auch, dass der Kreditgeber Lion Capital langsam unruhig wird, bei dem American Apparel mit 90 Millionen Dollar in der Kreide steht, beunruhigt ihn nicht? "Die wollen doch auch nur, dass es uns gut geht. Letzten Endes." Zwei kleine Hunde rennen auf die Dachterrasse, Manou und Headcase. Ein Stockwerk tiefer erreicht eine zweite Frau die Villa.

Charney liebt es, für seine Kampagnen Frauen in seinen Klamotten in anzüglichen Positionen posieren zu lassen. Offenbar liebt er auch alles unter den Klamotten. In seinem Wohnzimmer stehen Skulpturen, zum Beispiel ein Strauß weiblicher Brüste, der aus eine Vase wächst, oder eine pseudo-antike Darstellung einer Frau mit gespreizten Beinen. Anders als bei den alten Griechen trägt die Statue in Charneys Wohnzimmer Overkneestiefel.

Auf der Dachterrasse legt Charney die Füße hoch. Er trägt eine gestreifte Hose, geringelte Socken und ein weißes Poloshirt. Er sieht aus wie ein deutscher BWL-Student. Manchmal verschenke er einen seiner Mercedes', sagt Charney. Einfach so. Man glaubt es ihm aufs Wort. Dass American Apparel schon bessere Zeiten gesehen hat, das gibt Charney zu. Nur nennt er andere Gründe als die Analysten der Wirtschaftsblätter. Vor anderthalb Jahren habe American Apparel 2500 Arbeiter entlassen müssen, weil sie keine Aufenthaltsgenehmigung besaßen. Einwanderungsgesetze sind in den USA ein großes Thema, 12 Millionen Menschen leben in dem Land ohne gültige Arbeits- oder Aufenthaltserlaubnis.

Charney inszeniert sich gerne als sozialer Arbeitgeber, der diesen Ärmsten der Armen hilft - allerdings ist an der Inszenierung durchaus was dran. Wer durch die gigantischen Hallen seiner Fabrik schlendert, und erstmal den siebten Stock mit all den jungen Damen hinter sich gelassen hat, die wie Modells der Marke aussehen, aber tatsächlich im Management der Firma arbeiten, der sieht im ersten bis sechsten Stockwerk die Latinos von Los Angeles in geregelten, anständig bezahlten Arbeitsverhältnissen.

Stolz und wütend

Charney ist stolz darauf und wütend, dass ihm die Regierung nicht hilft, sondern mit dem Rauswurf der Arbeiter Steine in den Weg legt. 50 bis 70 Cent verliere er nun pro Kleidungsstück, die Produktion hinke hinterher, weil die neuen Arbeiter nicht so gut seien wie die alten. "Deshalb haben wir dieses Jahr Absatzeinbrüche von zehn Prozent", sagt Charney. "Es ist ein politisches Problem."

Ein paar neue Strategien plant er allerdings: mehr Manager brauche American Apparel, sagt Charney. Er kann nicht länger fast alles alleine machen. Er ist ein kreativer Gründer, aber vielleicht nicht der beste Unternehmenschef. Charney würde das nie zugeben, aber er scheint es zu ahnen. Seine Mode soll dieselbe bleiben: "Wir fokussieren auf die Basics." Einfarbige Shirts, simple Kleidung. An der Qualität gibt es nichts auszusetzen, das sagen selbst die härtesten Kritiker von American Apparel.

Auf dem Hügel in Silverlake bellen Manou und Headcase um die Wette. "Seid ihr denn verrückt geworden?", lacht Charney, er nimmt einen Hund auf den Arm. Draußen strahlt die Skyline, darunter drei kleine weiße Punkte in weiter Ferne, die Fabriken von American Apparel. Wenn es nach Charney geht, leuchten sie noch lange. Umso heller, je dunkler die Nacht ist.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: