Süddeutsche Zeitung

Amazon:Zehn Milliarden Dollar Verlust im Kerngeschäft

Das Internetunternehmen muss sparen und schraubt die Gebühren für die Händler auf seiner Plattform nach oben. Doch das hat seine Grenzen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Oder bei Amazon. Man muss nur diesen unvergessenen Reklamespruch eines deutschen Baumarkts ("Oder bei Obi") auf den digitalen Alles-Lieferanten übertragen, um zu verstehen, was da passiert. Man braucht Lebensmittel? Gibt's im Supermarkt - oder bei Amazon. Batterien? Im Elektronikgeschäft - oder bei Amazon. Klamotten? Im Einkaufszentrum - oder bei Amazon. Eine Flagge des Lieblingsvereins? Im Fan-Shop - oder bei Amazon. Es gibt kaum etwas, das es nicht gibt. Der Konzern lässt sich für diese Nur-ein-Stopp-Stellung von Anbietern bezahlen; einer Studie von Marketplace Pulse zufolge können diese Gebühren mehr als 50 Prozent des Gesamtpreises ausmachen.

Die Analysefirma hat Daten seit 2016 ausgewertet und dabei festgestellt, dass der Prozentsatz der Gebühren für die knapp zwei Millionen mittelständischer Unternehmen im Jahr 2022 auf durchschnittlich 51,8 angestiegen ist. Im Jahr davor waren es 48 Prozent, 2016 nur 35,2 Prozent. "Für die kleineren Unternehmen wird es immer schwieriger, profitabel zu sein, weil diese Gebühren einen immer größeren Prozentsatz ausmachen", sagt Marketplace-Chef Juozas Kaziukenas.

Die Gebühren setzen sich laut Studie aus drei Komponenten zusammen: das Einstellen von Produkten (die sogenannte "Referral Fee", bis zu 15 Prozent), Lagern und Logistik (das sogenannte "Fulfillment by Amazon", bis zu 35 Prozent) und Werbung auf der Plattform (bis zu 15 Prozent). Wichtig dabei: Nur die erste Gebühr ist Pflicht, der Prozentsatz ist seit 2016 unverändert und kann unter gewissen Umständen auf acht Prozent sinken.

"Es gibt keine Verpflichtung, die Logistik- und Reklame-Services zu nutzen; Anbieter tun es nur, wenn es ihnen nützt", heißt es im Statement, das der Konzern verschickt hat. Das ist die Amazon-freundliche Lesart dessen, dass Anbieter quasi angewiesen sind auf die Infrastruktur, die der Konzern über Jahre aufgebaut hat - und die Tatsache, dass die Produkte zahlreicher Verkäufer ohne Reklame ganz einfach unsichtbar wären.

Die Gebühren könnten weiter steigen

Es ist weder illegal noch verwerflich, was Amazon da tut. Es ist jedoch interessant, dass die eierlegende Wollmilchsau der Tech-Branche im Kerngeschäft zu kämpfen hat. Ohne den Cloud-Anbieter Amazon Web Services (AWS) hätte der Gesamtkonzern im vergangenen Geschäftsjahr einen Verlust von zehn Milliarden Dollar vermelden müssen. "Der Konzern könnte deshalb versucht sein, die Gebühren weiter zu erhöhen, weil es sich selbst in einer kniffligen Lage befindet", sagt Kaziukenas.

Kürzlich verkündete Amazon, 18 000 Mitarbeiter entlassen zu wollen. Andy Jassy, vor seiner Beförderung zum CEO des Gesamtkonzerns 2021 insgesamt 18 Jahre lang Manager und später Chef von AWS, muss einerseits Kosten sparen, andererseits die Einnahmen aus Werbung konsolidieren. Die sind im vergangenen Vierteljahr um 18,9 Prozent gestiegen - solides Wachstum, aber deutlich weniger als im Vorjahresquartal (32,2 Prozent).

"Werbung auf Amazon ist nicht mehr so wertvoll wie es mal war", sagt Melissa Burdick. Die frühere Amazon-Managerin leitet nun die Marketing-Beraterfirma Pacvue. Wenn Reklame quasi obligatorisch ist und Amazon immer mehr Werbeplätze vergibt, sind einzelne Produkthinweise nicht mehr so zielführend: "Es gibt dazu den Trend, dass weniger auf Produkte, sondern auf Rabatte hingewiesen wird, weil Kunden darauf anspringen." Die sogenannte "Conversion Rate", also wie viele Kunden auf Werbung klicken und ein Produkt kaufen, ist laut Burdick in jedem Quartal des vergangenen Jahres gesunken - zudem habe sich das Kaufverhalten nach der Pandemie gewandelt. Batterien kann man sich von Amazon liefern lassen, oder sofort im Laden um die Ecke besorgen.

Amazon befinde sich im Kerngeschäft auf der Suche nach einem Gleichgewicht. Der Konzern müsse so relevant sein, dass es sich für Verkäufer nicht lohnt, zu Konkurrenten wie Shopify oder Walmart zu wechseln; aber weiterhin so günstig und bequem, dass die Kunden selbstverständlich sagen: Kriege ich da und da - oder bei Amazon.

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