Amazon:Unerwünschte Pakete

Amazon: Mitarbeiter in einem Warenlager von Amazon Prime in New York.

Mitarbeiter in einem Warenlager von Amazon Prime in New York.

(Foto: Mark Lennihan/AP)

Immer wieder bekommen Verbraucher Dinge zugeschickt, die sie nicht bestellt haben. Ein Versehen?

Von Max Ferstl

Wenn man die Begriffe "Paket", "nicht bestellt" und "Amazon" bei Google eingibt, findet man Erstaunliches. Da ist Christopher Abraham aus Solingen, er bekam zum Beispiel eine Lichterkette, ein Fernglas, Schutzhüllen fürs Handy und Sexspielzeug. Abraham wollte die Sachen "nicht mal anfassen". So erzählte er es im Januar dem WDR. Da ist auch ein Ehepaar aus Acton/Massachusetts, das sich über 25 Pakete mit überwiegend billiger Elektronik wunderte. Und da ist der Mann aus Düsseldorf, von dem die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen vergangene Woche berichtete, irgendwer hatte ihm ein neues Handy geschickt, Preis: 200 Euro.

Die Betroffenen versichern, dass sie selbst nichts bestellt hätten, und sie mussten auch nichts bezahlen. Die Pakete seien von Amazon gekommen, dem weltgrößten Versandhändler. Immer fehlten Lieferschein, Bestellschein und die Rechnung. Es ist kein ganz neues Rätsel, die Fälle liegen zum Teil Jahre zurück, allerdings gibt es noch immer keine umfassende Lösung. Wer verschickt Dinge umsonst, die keiner bestellt? Und vor allem: warum?

Die erste Frage lässt sich noch zuverlässig beantworten: Die Pakete stammen nicht von Amazon selbst, sondern von externen Händlern, die ihre Ware über den Amazon Marketplace vertreiben. Kleinere Händler können gegen eine Gebühr an die Plattform andocken und dann von den hohen Nutzerzahlen Amazons profitieren. Der Kunde kauft bei Amazon, den Versand übernimmt der Händler. Dass manche ihre Produkte unaufgefordert zustellen, ist allerdings nicht vorgesehen. "Wir gehen jedem Hinweis von Kunden nach, die unaufgefordert ein Paket erhalten haben, da dies gegen unsere Richtlinien verstößt", teilte Amazon mit. Verkäufer, die sich regelwidrig verhielten, würden gesperrt.

Die Frage nach dem Warum ist hingegen komplizierter. Die wohl plausibelste Theorie geht davon aus, dass die unerwünschten Pakete zu einer Masche gehören, mit der sich Verkäufer eine bessere Kundenbewertung erschleichen wollen. Je besser ein Produkt bewertet ist, desto eher wird es interessierten Kunden angezeigt, desto wahrscheinlicher wird ein Verkauf. Ein schummelnder Händler erstellt sich mit einer willkürlichen Adresse einen Amazon-Account und erwirbt sein eigenes Produkt. Sobald der Kauf abgewickelt ist, kann er sich eine wohlwollende Bewertung geben. Wo die Ware letztlich landet, ist egal. Die Empfänger sind nur Mittel zum Zweck und auch Mülleimer.

Gleiches gilt für einen zweiten Erklärungsversuch. Demnach verschicken Händler Ladenhüter aus Kostengründen lieber, als die Ware selbst zu entsorgen oder teuer zu lagern. "Das erscheint uns am wahrscheinlichsten", sagte ein Sprecher der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Die Räumungshypothese könnte auf billige Artikel zutreffen, wohl kaum jedoch auf ein teures Smartphone. Ein neues Gratisgerät würden viele vermutlich gerne bekommen, bei wertlosem Kram sieht die Sache anders aus. Im besten Fall reagiert der Empfänger gleichgültig, im schlechtesten mit einer Klage vor Gericht. Abraham hatte es beim Kundenservice probiert, doch die Pakete kamen weiter. Jetzt will er eine einstweilige Verfügung gegen Amazon erwirken. Eine erste Klage hat das Amtsgericht Solingen zwar zurückgewiesen, trotzdem will sich Abraham wehren. "Das unverlangte Zusenden von Paketen ist ein Eingriff in die Privatsphäre", sagt Ralf Engel, Abrahams Anwalt und Geschäftsführer beim Handelsverband Nordrhein-Westfalen Rheinland. Die Pakete könnten zu unangenehmen Situationen führen. "Man stelle sich vor, jemand findet Sexspielzeug in der Post, und der Partner betont, die Sachen nicht bestellt zu haben."

Was Engel auch stört: Es sei unklar, wie der Absender an die Adresse seines Mandanten gekommen sei. Der Konzern teilte mit, dass Verkäufer "weder Namen noch Adressen von Amazon erhalten" haben. Das reicht Engel nicht: "Man hinterlegt schriftlich, keine Pakete ohne Bestellung zu wollen und bekommt trotzdem welche. Warum lässt sich das nicht verhindern?" Eine Antwort, die ihn zufriedenstellt, hat Engel bislang nicht erhalten.

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