Künstliche Intelligenz:Amazons schöne neue Shopping-Welt

Lesezeit: 3 Min.

200 000 Marktplatz-Händler nutzen Amazons Inserate-KI schon. (Foto: Laurin Schmid/dpa)

Der US-Tech-Riese stellt Händlern auf seinem Marktplatz KI-Werkzeuge zur Verfügung. Sie sollen den Händlern viel Arbeit abnehmen – und für Kunden zu günstigeren Preisen führen.

Von Michael Kläsgen

Alle reden über künstliche Intelligenz (KI), nur Amazon lange nicht so sehr, jedenfalls nicht besonders laut. Dabei ist der US-Konzern nicht nur der größte Onlinehändler der Welt, sondern auch einer der größten Tech-Konzerne, für den KI zum täglichen Geschäft gehört. Doch mit der Zurückhaltung ist es vorbei. Jetzt geht Amazon medial in die Offensive und verkündet verkürzt gesagt etwa das: Wir wollen unseren zwei Millionen Verkaufspartnern weltweit, darunter 47 000 in Deutschland, KI-Werkzeuge an die Hand geben, damit man bei uns noch schöner shoppen kann. 200 000 der zwei Millionen Händler sollen die Inserate-KI weltweit schon nutzen.

Um die Botschaft unters Volk zu bringen, ist Dharmesh Mehta höchstpersönlich aus den USA eingeflogen. Offiziell nennt er sich Vizepräsident der Worldwide Selling Partner Services. Faktisch ist er derjenige, der sich federführend um alles rund um Amazons Marketplace kümmert. Dieser Marktplatz ist der Ort, auf dem kleine und große Händler online über Amazon ihre Sachen verkaufen. Er steht inzwischen für 60 Prozent der vom Konzern verkauften Waren. 2023 machte Amazon einen Umsatz von 575 Milliarden Dollar. Es geht also um ein Milliardengeschäft. Amazon hatte sehr früh damit angefangen, externe Verkäufer zum eigenen Geschäft über diesen Marketplace hinzuzufügen. Das Unternehmen gewinnt so neue Kunden und verdient an den Verkäufen Provisionen.

Mehta sitzt in der Deutschland-Zentrale Amazons im Münchner Norden und hebt erst einmal den Erfolg des Onlinehändlers in Deutschland hervor, passend zum 25-jährigen Bestehen hierzulande. 56 Milliarden Euro habe Amazon allein zwischen 2010 und 2022 in Deutschland investiert. Deutschland ist der zweitgrößte Markt für Amazon in der Welt. Und damit alles noch viel großartiger für den Tech-Riesen wird, sollen die 47 000 kleineren und mittelgroßen Marktplatz-Händler in Deutschland ab sofort mit der hausgemachten Amazon-KI beglückt werden – wenn sie wollen, ist alles freiwillig.

250 Millionen Fake-Rezensionen will Amazon gestoppt haben

30 000 Händler in der Europäischen Union hätten schon eines oder mehrere der generativen KI-Listing-Tools ausprobiert, sagt Mehta. Es gehe dabei darum, die Produktinserate möglichst schnell und gewinnbringend auf die Website zu bringen. Glaubt man dem Amazon-Manager, funktioniert das ziemlich einfach. Der Verkäufer muss nur ein Foto des Produkts mit seinem Smartphone machen oder ein paar Zeilen darüber schreiben, es hochladen – und schwups, den Rest erledigt die KI. Nur bestätigen muss er noch kurz.

Dadurch vereinfache und beschleunige sich der Prozess, bis das Produktangebot für den Interessenten online sichtbar auf der Website ist. Dank der KI könnten die Verkäufer ihren Kunden auch personalisierte Produktempfehlungen machen. Sie helfe, die Nachfrage zu prognostizieren und das Bestandsmanagement zu automatisieren. Mit ihr könnten Händler sicherstellen, dass beliebte Produkte immer auf Lager sind. Auch die Preise ließen sich mit ihr optimal austarieren. „Der Einsatz der KI vereinfacht die Arbeit des Verkäufers, spart ihm viel Zeit und erhöht das Wachstum. Seine Kosten sinken und dadurch auch die für den Endverbraucher“, sagt Mehta. Sogar die Retouren würden weniger. Es sieht so aus, als würde Amazon den Traum von einer wunderbaren KI-geleiteten Shopping-Welt verbreiten wollen.

Unabhängig verifizieren lässt sich nichts davon. Die Technik ist erst seit ein paar Monaten in den USA im Einsatz. Amazon beschreibt auch nur die Vorgänge, zeigt aber nicht anhand eines Beispiels, ob die KI wirklich so einfach für Verkäufer anzuwenden ist. Stattdessen teilt der Konzern die Ergebnisse einer selbst ausgeführten Umfrage mit. Demnach seien 500 kleine und mittelständische Unternehmen aus Deutschland voll des Lobes darüber gewesen, wie viel Zeit sie mit der KI sparen konnten. Unwillkürlich kommt der Gedanke auf, dass das Unternehmen derzeit unter wachsendem Druck von chinesischen Unternehmen wie Temu, Shein und Tiktok Shop steht. Es betont aber die positiven Nachrichten. „Es ist grundsätzlich positiv für die Gesellschaft, wenn es mehr Wettbewerb gibt“, sagt Mehta. „Dadurch vergrößert sich das Angebot und die Preise sinken.“

KI setzt Amazon auch gegen Produktfälschungen und Fake-Bewertungen ein. 2023 hat der US-Konzern so nach eigenen Angaben proaktiv 250 Millionen Fake-Rezensionen vor der Veröffentlichung gestoppt. 200 Millionen waren es im Jahr zuvor. Mit solchen gefälschten Bewertungen soll auf betrügerische Weise der Absatz von Produkten oder Dienstleistungen gesteigert werden, von denen manche gar nicht existieren. Viele Verbraucher orientieren sich vor dem Kauf an diesen Bewertungen. Über den Kampf gegen Fake-Reviews will Mehta heute aber nicht so viel reden.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusExklusivWirtschaftsranking
:Deutschland fällt im Standortwettbewerb weiter zurück

Im Standort-Ländervergleich der IMD ist die Bundesrepublik innerhalb von zehn Jahren von Platz sechs auf 24 abgerutscht. Die für die Studie verantwortlichen Ökonomen aus der Schweiz halten Staat und Unternehmen für zu träge und unflexibel.

Von Bastian Brinkmann

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: