Handel:Kunde, denk nach!

Amazon eröffnet Läden, die Buchhandlung um die Ecke nimmt online Bestellungen auf - gut so! Konsum verändert sich, aber Online-Handel ist nicht per se böse.

Kommentar von Nakissa Salavati

Es gibt Menschen, die tragen Regenhosen. Das Kleidungsstück hat zumindest praktische Vorzüge, also bestellt man es online beim Fachhändler, weil im Laden nicht verfügbar, lässt es in die Filiale liefern, probiert an - und kauft. Das ist moderner Konsum: Ein Unternehmen schafft es, dass man bei ihm kauft, weil sein digitales Angebot übersichtlich und umfassend war und der stationäre Laden nicht weit weg. Warum, so stellt sich dann die Frage, sollte man diese zwei Einkaufsformen überhaupt trennen? Amazon eröffnet Läden, die Buchhandlung um die Ecke nimmt online Bestellungen auf. Zwei Gegner nutzen ihre Möglichkeiten. Davon profitieren beide - und die Kunden.

Konsumenten, also wir alle, müssen die Vorstellung aufgeben, es gebe nur die bösen Online-Händler, die Innenstädte veröden lassen, und gute, weil stationäre Läden. Beide haben zum Ziel, dass Menschen ihr Geld ausgeben, meist für Zeug, das man nicht braucht, und setzen dabei Methoden ein, die man als aufgeklärter Konsument durchschauen sollte.

Es ist einfach, auf Amazon zu schimpfen, oft ist es auch gut begründet. Auf der anderen Seite verhalten sich Menschen extrem naiv, wenn sie glauben, Kaufhäuser gönnten ihnen mit einer Payback-Karte ein unschuldiges Geschenk. Handelskonzerne wissen sehr viel über ihre Kunden, auch wenn sie nicht Amazon heißen.

Der stationäre Handel hat überhaupt einen Vorteil, den der Online-Handel nicht nutzen kann: Er kann seine Kunden ganz anders manipulieren und das Kaufverhalten beeinflussen. Läden setzen Parfum ein, um unbewusst bestimmte Gefühle zu wecken. Ganz ähnlich funktioniert der Einsatz von Musik oder die Art, wie ein Geschäft aufgebaut ist, um die Aufmerksamkeit der Kunden zu steuern. Das Gemüseregal im Supermarkt ist anders beleuchtet als die Käsetheke, weil Licht emotionale Architektur ist, Stimmungen beeinflusst. Buchläden waren schon immer Gefühlsräume, gemütliche Entschleuniger. Jetzt machen einem auch noch Baristas Kaffee, während man im Kochbuch blättert. Die Geschäfte sind deswegen nicht böse. Sie überleben, weil sie sich etwas ausdenken. Nur auf diese Weise, und weil sie online Produkte vertreiben, können sie die hohen Mieten in Innenstädten zahlen. Ähnlich versuchen Online-Händler mit passgenauer Werbung oder abgestimmten Vorschlägen, Kunden zu beeinflussen und sie möglichst lange zu halten, auch wenn der Laden eine App ist.

Dabei kann man das Gefühl bekommen, früher sei Einkaufen spannender und zugleich einfacher gewesen. Zufallsentdeckungen - etwa Bücher abseits der Bestsellerlisten - würden unmöglich, weil sich das von Algorithmen bestimmte Angebot an den Bewertungen anderer Kunden ausrichtet. Massengeschmack statt Individualismus, internationale Ketten statt kleiner Läden.

Passgenaue Beratung ist nichts anderes als personalisierte Werbung

Wer so argumentiert, übersieht, dass auch die Empfehlung des Buchhändlers davon abhängt, was andere Kunden lesen. Wenn der Buchverkäufer einen kennt, macht er nichts anderes als persönlich angepasste Werbung. Auch das Entdecken spielt online eine große Rolle. Konsum funktioniert dort ebenfalls assoziativ, wie ein Schaufensterbummel. Da ist die Regenhose gedanklich nicht weit vom Fahrradlicht entfernt oder vom nächsten Wanderurlaub.

Wie also sieht aufgeklärter Konsum aus und ist er überhaupt möglich? Er beginnt damit, dass man weniger und bewusster einkauft. Das mag nach überheblichem Zeitgeist klingen, ist aber die einzige Möglichkeit, dem Konsum-Imperativ aller Händler zu widerstehen, Müll und Umweltverschmutzung zu reduzieren. Wer konsumiert, hat Macht, deswegen werden Kunden ja so umgarnt. Man kann diese Macht einsetzen, bestimmte Händler unterstützen, andere meiden. Wer personalisierte Werbung verhindern will, hat die Möglichkeit, dies online entsprechend einzustellen. Es stimmt, oft kann trotzdem fast jede Bewegung online nachvollzogen werden. Und ja: Da, wo der Kunde die Verwendung seiner Daten nicht kontrollieren kann, braucht er Schutz.

Aufgeklärter Konsum beginnt im Übrigen auch damit, dass man sich nichts vormacht: Wann hat man zuletzt die kleinen Läden besucht, für deren Ende man impulsiv die großen Handelskonzerne verantwortlich macht?

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