Was haben Amazon, Tönnies und Gorillas gemeinsam? Ganz genau, bei einem Wettbewerb um das beliebteste Unternehmen des Jahres würden die drei Firmen wohl eher keine Trophäe mit nach Hause nehmen. Nicht nur, aber auch wegen ihres Umgangs mit Beschäftigten ziehen die Unternehmen viel Kritik auf sich. Der eine treibt seine Mitarbeiter mit ausgeklügelten Überwachungssystemen zu Hochleistung an, der andere lässt osteuropäische Schlachtarbeiter in Sammelunterkünften hausen, und der dritte scheucht seine Fahrradkuriere mit mangelhafter Ausrüstung durch die Stadt, was gerade bei schlechtem Wetter ziemlich gefährlich ist. Wer sich umhört, wird daher kaum jemanden finden, der von sich aus sagt: Bücher - nur von Amazon! Schnitzel - nur das günstigste! Und wenn jemand doch noch zwei Bier möchte, dann lässt er sie sich halt bringen, um halb elf abends, in den fünften Stock, bei Regen.
Komisch nur, dass alle drei Firmen einigermaßen erfolgreich sind in dem, was sie tun, mitunter sogar sehr erfolgreich. Insofern scheinen sie also doch ziemlich beliebt zu sein, auch wenn sich viele sicher nicht als Kunden zu erkennen geben möchten. Die Dynamik dahinter ist immer die gleiche: Werden Missstände in Unternehmen oder gleich einer ganzen Branche, für die sie stehen, bekannt, entsteht ein Konsens der sozialen Ächtung. Und dieser richtet sich nicht nur gegen die fragwürdigen Firmen, sondern zwangsläufig auch gegen deren Kunden, die das Geschäft ja am Laufen halten. Konsumenten, die um die Verfehlungen wissen, beim Kauf aber beide Augen zudrücken, ringen deshalb des Öfteren mit ihrem schlechten Gewissen. Schließlich könnten sie das Geschenk auch einfach im netten kleinen Buchladen in der Innenstadt kaufen oder im Supermarkt dran denken, das Bier mitzunehmen.
Doch es ist eine verzwickte Sache mit der Verantwortung des Einzelnen. Die Verantwortung besteht, keine Frage, aber sie greift nun mal nicht. Denn im Grunde ist jeder nicht nur Konsument, sondern auch Bürger. Leider macht sich nur einer von beiden Gedanken darüber, was sein Kaufverhalten längerfristig bewirkt und welche Geschäftsmodelle er damit unterstützt. Der andere sitzt nach einem langen Arbeitstag auf der Couch und wählt dann doch wieder den bequemen Weg. Die Unternehmen wissen das und machen es ihren Kunden mit ausgeklügelten Imagekampagnen leicht, die Realität zu verdrängen. Die Entscheidung muss also an anderer Stelle fallen, wenn sich die Arbeitsverhältnisse wirklich verbessern sollen.
Ähnliche Fragen stellen sich beim Klima-, Umwelt- und Tierschutz
Beispiele, die das belegen, gibt es zuhauf. Jahrelang war bekannt, unter welch menschenunwürdigen Bedingungen osteuropäische Arbeiter in deutschen Schlachthäusern schuften, Hungerlöhne und Überstunden inklusive (ganz abgesehen vom Leid der Tiere). Die Verbraucher nahmen es einfach hin. Erst als die Corona-Ausbrüche in den Unterkünften die öffentliche Sicherheit gefährdeten, reagierte die Politik. Zumindest die berüchtigten Werksverträge sind seit diesem Jahr passé, auch wenn es immer noch heruntergekommene Unterkünfte gibt und auch sonst noch vieles im Argen liegt. Warum aber wird es überhaupt den Verbrauchern aufgebürdet zu entscheiden, was ethisch vertretbar ist und was nicht? Es gibt natürlich immer wirtschaftliche Argumente, die gegen bessere Arbeitsbedingungen sprechen, am Ende ist es einfach ein Kostenfaktor. Doch diesen Argumenten wird viel zu oft nachgegeben, anstatt zu fragen: Will man diese Jobs überhaupt?
Wenn ein Geschäftsmodell nur so funktioniert, dass man sich als Kunde dafür schämen muss, dann sollte es vielleicht unter diesen Umständen nicht erlaubt sein. Viel öfter müsste die Politik klare Mindeststandards festlegen und deren Einhaltung sicherstellen. Es ist also gut, dass die EU nun die Rechte von sogenannten Plattform-Arbeitern wie Fahrradkurieren stärken möchte. Und es ist gut, dass der Mindestlohn von zwölf Euro auch für sie kommt. Es wird allerdings noch mehr nötig sein als das. Ähnliche Fragen stellen sich beim Klima-, Umwelt- und Tierschutz. Auch hier entbindet politisches Handeln den Einzelnen nicht von seiner Verantwortung. Nur sollte die Politik es ihm nicht überlassen zu entscheiden, was geht und was nicht. Denn der Verbraucher wird es nicht richten.