Süddeutsche Zeitung

Onlinehandel:Wie Billigware bei Amazon teuer verkauft wird

Der Konzern verdient hierzulande viel Geld mit Produkten von Dritthändlern. Die Ware wird häufig billig aus China importiert und zu einem deutlich höheren Preis verkauft. Davon ahnen viele Kunden nichts.

Von Sebastian Friedrich, Annette Kammerer und Nils Wischmeyer, Köln

Die Fahrradtasche mit dem schicken F ist ein Verkaufsschlager bei Amazon. Mehrere Hundert Bewertungen hat sie, Durchschnitt 4,5 von fünf Sternen, fast 80 Euro soll ein Doppelpack kosten. Die Marke, die in Großbuchstaben auf der Tasche prangt: Forrider. Neben Klassikern wie Vaude klingt sie zunächst unbekannt. Doch auf Amazon hat die Marke eine Firmenseite, die nach dynamischem Start-up mit Tüftelenthusiasmus aussieht. Geworben wird mit Sprüchen wie "Wir bauen Fahrradtaschen aus Leidenschaft".

Die Story stimmt, der Preis auch. Doch was Amazon-Kunden nicht ahnen dürften: Die Tasche kommt nicht von einem Start-up mit heimischer Produktion, sondern es handelt sich um ein in China hergestelltes Produkt. Dort haben NDR und Süddeutsche Zeitung die gleiche Tasche für wenige Euro im Onlineportal von Alibaba erstanden. Das Start-up ist also weniger Ideenschmiede als einfacher Händler, der in China produzieren lässt - und die Tasche dann per Amazon quer durch die Welt schiffen lässt.

Forrider ist damit eine von Tausenden Marken, die Menschen hierzulande aktuell über den Amazon-Marktplatz kaufen können und bei denen sie nur schwerlich erkennen können, was sie da eigentlich nach Hause liefern lassen. Anders als bei Amazon-eigenen Produkten verkaufen auf dem sogenannten Marketplace Dritthändler Millionen Produkte, auf deren Qualität oder Sicherheit Amazon schon aufgrund der schieren Menge kaum Einfluss hat. Das kann für Verbraucher ärgerlich und intransparent, im schlimmsten Fall sogar gefährlich werden, wie ehemalige Händler sowie Fachleute und Verbraucherschützer warnen. Amazon hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Verantwortung bei den Händlern liege, nicht beim Konzern. Doch ist es so einfach?

63 Prozent Handelsumsatz mit dem Marktplatz

Amazon verdient mit seinem Marktplatz viel Geld. Rund 63 Prozent seines Handelsumsatzes macht der Konzern hierzulande darüber, schätzt das Institut für Handelsforschung Köln (IFH). Angaben von Amazon zufolge tummeln sich allein 40 000 deutsche Händler darauf, dazu Hunderttausende aus dem Ausland, die ihre Ware auch hierzulande feilbieten. An allen verdient Amazon eine Provision und dank FBA bei mehr als 20 000 deutschen Händlern noch deutlich mehr.

Die englische Abkürzung FBA steht für Fulfillment by Amazon. Sie ist der Hebel dafür, dass immer mehr Pseudomarken von immer mehr Firmen nach Deutschland gespült werden. Allein mehr als 1000 Fahrradtaschen gibt es auf Amazon, wo es früher vielleicht drei bis fünf beim Fahrradhändler um die Ecke gab.

In der Praxis bedeutet FBA, dass ein Händler seine Ware zu Amazon schickt. Der US-Konzern kümmert sich dann um die Logistik, die Einlagerung, den Versand zum Kunden, die Retoure und teils auch um den Kundenservice. Dafür kassiert er Schätzungen zufolge bis zu 50 Prozent des Verkaufspreises. Der Händler hat lediglich die Aufgabe, die Ware irgendwie zu Amazon zu bekommen, sich eine Marke und eine Geschichte auszudenken und das Produkt dann möglichst gut in Szene zu setzen. Solche FBA-Marken haben in den vergangenen Jahren einen solchen Hype erlebt, dass andere Firmen angefangen haben, die Marken für teils hohe Millionenbeträge aufzukaufen und weiterzuführen.

Was FBA in der Praxis bedeutet, weiß in Deutschland kaum einer besser als Nicklas Spelmeyer, Geschäftsführer von Spelly Trade mit Sitz in Berlin. Der 23-Jährige Jungunternehmer vertreibt unter anderem die Fahrradtasche von Forrider, die er aus China importieren lässt. Neben den Taschen verkauft er eigenen Angaben zufolge auch Sportartikel und Küchenzubehör, und bald auch einen Kletterbaum für Katzen. Kurzum: "Eigentlich ist alles möglich."

Das Geschäftsmodell vergleicht er mit den Kaufhäusern dieser Welt, er sagt: "Wir kaufen Produkte irgendwo günstiger ein, in großen Mengen, meistens direkt beim Hersteller. Und dann verkaufen wir diese Produkte über Amazon weiter."

Ein lohnendes Geschäft für Händler

Er selbst ist mit dem Geschäft schnell zu viel Geld gekommen, berichtet er. Neben seinem Job als Händler verdient er auch als Berater Geld und erklärt den Neuen im FBA-Geschäft in Internetvideos, wie sie möglichst schnell das große Geld machen: "Erstens: Ein geeignetes Produkt finden. Zweitens: 100 bis 500 Stück davon einkaufen. Drittens: Die Ware zu Amazon schicken. Viertens: Dein Produkt gut präsentieren (Bilder und Beschreibung)." Und dann kommt Schritt fünf, das ist der, der die Neuen lockt: "Fünftens: Für das Vier- bis Sechsfache des Einkaufswertes verkaufen."

Mark Steier, einst einer der erfolgreichsten Ebay-Verkäufer Deutschlands und heute E-Commerce-Experte, sieht diese Erzählungen kritisch. Das FBA-Geschäft sei "Fluch und Segen" zugleich. Denn einerseits könnten wenige schnell viel Geld verdienen. "Andererseits unterschätzten viele Händler die Risiken, die das System auch mit sich bringt. Sie übersehen, wenn etwa Produkte hierzulande gar nicht vertrieben werden dürfen, weil sie etwa Sicherheitsstandards nicht erfüllen", sagt er.

Zwar gibt es Händler, die auch mal vor Ort in China waren oder sich wie Nicklas Spelmeyer Proben haben schicken lassen und Kleinigkeiten verändern. Garantiert ist aber weder das noch eine gute Qualität. Viele Händler dürften schlicht wenig Ahnung vom Geschäft haben. Amazon-Experte Juozas Kaziukenas, Gründer von Marketplace Pulse, einer Analysefirma in den USA, geht sogar so weit, dass er die Jagd nach der nächsten großen Marke als "eine Art Computerspiel" beschreibt. Verheerend werde das dann, wenn potenziell "unsichere", "gefährliche" oder "gefälschte" Produkte verkauft würden. "Da kann alles Mögliche schiefgehen", sagt Kaziukenas.

Das Nachsehen hat der Verbraucher, der gar nicht sieht, ob im Kinderspielzeug giftige Stoffe enthalten sind. Europäische Verbraucherschützer bestellten kürzlich 250 Produkte bei Plattformen wie Amazon und stellten fest, dass zwei Drittel der Produkte unsicher sind. Die dänische Handelskammer testete neun Produkte bei Amazon - sieben waren "gefährlich" und nicht konform mit EU-Vorschriften.

Amazon wollte auf Anfrage keine Fragen beantworten, man beteuert aber schriftlich, die Kundensicherheit sei dem Konzern sehr wichtig, und dass man verlange, dass alle angebotenen Produkte den geltenden Gesetzen und Vorschriften entsprächen. Dazu würden Algorithmen und auch Menschen regelmäßig Produkte identifizieren, die gegen Amazon-Standards verstoßen und anschließend entsprechende Maßnahmen einleiten. Teilweise blockiere man Produkte schon vor Veröffentlichung auf der Plattform und informiere darüber hinaus, wenn Behörden Rückrufaktionen anordnen.

Mittler zwischen Käufer und Verkäufer

Allerdings, auch das schreibt ein Sprecher des Konzerns: "Amazon-Verkaufspartner sind unabhängige Unternehmen." Amazon, so die Botschaft zwischen den Zeilen, sieht sich nur als Mittler zwischen Käufer und Verkäufer, nicht als Verantwortlicher.

Mark Steier sieht diese Haltung kritisch und würde Amazon gern mehr in Haftung nehmen. Er sagt: "Ohne eine solche Plattform gäbe es das Geschäftsmodell nicht. Das heißt, wenn ich Erfinder und Grundsteinleger dieses Geschäftsmodells bin, dann trifft mich auch in einem hohen Maße eine besondere Verantwortung."

Auch die Verbraucherzentrale in NRW schaut besorgt auf den Marktplatz, gerade wenn die Ware aus sogenannten Drittländern wie China kommt. Für sie ist die Intransparenz der Plattform ein besonderes Ärgernis. Bei der Bestellung sei es für Nutzer schwierig herauszufinden, wer das Produkt verkauft. "Die meisten Verbraucher wissen nicht, dass sie gerade gar nicht bei Amazon kaufen", sagt Iwona Husemann von der Verbraucherzentrale NRW. Selbst ein Blick ins Impressum sei nicht immer hilfreich. Denn dort stehe nicht selten die Handelsadresse eines deutschen FBA-Händlers, der aber in China einkauft - oder die deutsche Adresse eines chinesischen Pendants. "Wo das Produkt aber herkommt, von wem und wie es hergestellt wird, das bleibt für den Kunden völlig intransparent", sagt Husemann.

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