25 Jahre Onlinehandel:Wie Amazon das Leben von Millionen Menschen verändert

Amazon

Weltweit lassen sich Menschen über Amazon Waren per Paket zustellen. Der Onlinehandel des Weltkonzerns floriert.

(Foto: dpa)
  • Vor 25 Jahren gründeten Jeff Bezos und seine damalige Frau MacKenzie ihren Onlinehandel. Damals verpackten sie noch auf den Knien Bücher.
  • Mittlerweile verkauft Amazon fast alles. Bezos weitet sein Geschäft sogar auf Zeitungen und die Raumfahrt aus.
  • Amazon wird immer mächtiger. Das kritisieren Kartellämter und Kunden.

Von Marc Beise

Um die Gründung der Firma Amazon.com Inc. ranken sich viele Legenden. Sicher ist dies: Vor genau 25 Jahren, am 5. Juli 1994, gründeten der gut situierte Wallstreet-Manager Jeff Bezos und seine damalige Frau MacKenzie, auch sie in der Finanzwelt beschäftigt, unter dem Namen Cadabra einen Online-Buchhandel; die beiden wurden zu den erfolgreichsten Umsteigern aller Zeiten. Die Firma wurde bald in amazon.com umbenannt (angeblich weil Cadabra zu sehr nach Kadaver geklungen habe), wurde groß und größer und noch größer und ist heute an der Börse knapp 938 Milliarden Dollar wert, nach Microsoft derzeit das wertvollste Unternehmen der Welt. Anders als viele andere Digitalgründungen macht Amazon nicht nur Umsatz, bald 250 Milliarden Dollar im Jahr, sondern verdient mittlerweile auch wirklich Geld, im Moment eine Milliarde Dollar im Monat. Amazon hat 650 000 Mitarbeiter und seinen Gründer zum reichsten Mann der Welt gemacht.

Der Konzern beeinflusst das Leben der Menschen mehr als jeder andere

Soweit die nüchternen Fakten, wobei: Was heißt angesichts dieser Zahlen noch: nüchtern? Man kann die Amazon-Geschichte auch anders erzählen: Hier schraubt ein ungeheuer ehrgeiziger und rücksichtsloser Unternehmer an der wirtschaftlichen Weltherrschaft, er peitscht den gefräßigsten Konzern der Welt in immer neue Bereiche und schafft etwas, was vielleicht kein anderes Unternehmen der Welt schafft, kein Coca Cola, Apple, kein Google, kein Facebook: ein Unternehmen, das das Leben von Milliarden Menschen entscheidend beeinflusst. Angeblich wollte Bezos seine Firma ursprünglich Relentless nennen, was übersetzt unnachgiebig heißt oder erbarmungslos, und jedenfalls den unerbittlichen Willen zeigt, mit dem Bezos unterwegs ist.

Amazon fischt im großen Strom der Wirtschaft - und es fischt stromaufwärts und stromabwärts. Die Flussmetapher (upstream/downstream) wird von Prozessstrategen verwendet, wenn sie Lieferketten beschreiben, also den Geschäftsbetrieb von Anfang bis Ende, vom Einkauf der Materialen bis zur Auslieferung an den Kunden. Üblicherweise sind Firmen nur in eine Richtung stark. Handelsketten wie Rewe oder Edeka beispielsweise haben aufgrund ihrer Größe viel Macht den Fluss aufwärts: Sie können den Produzenten von Waschmitteln, Obst und Milch die Preise diktieren. Ob sie aber auch flussabwärts stark sind, also den Kunden im Griff haben, oder ob der nicht lieber anderswo einkaufen geht, ist dann noch sehr die Frage. Amazon dagegen übt seinen Einfluss in beide Richtungen aus. Das ist ungewöhnlich, vielleicht einzigartig. Einerseits kann sich kaum ein Verkäufer mehr leisten, nicht an Amazon zu liefern, und andererseits ist Amazon bei den Kunden überaus beliebt: Die Marke ist stark.

Heute kommt in einer wohlhabenden Gesellschaft wie Deutschland fast jeder Mensch mit Amazon in Berührung, und sei es in einer Abwehrbewegung. Auch wer sich in sentimentaler Anhänglichkeit weiter persönlich in die Geschäfte seiner Wahl bemüht, begründet vor sich selbst und anderen, warum er nicht online geht. Und auch wer nie von Amazon gehört hat, wundert sich bisweilen, warum jetzt pausenlos Pakete für die Nachbarn bei ihm abgegeben werden. Millionen Deutsche jedenfalls lieben es, Amazon-Kunde zu sein. Sie genießen den elektronischen Kontakt, dank dessen sich abends vom heimischen Notebook aus wunderbar bequem beinahe alle Dinge der Welt bestellen lassen; bald darauf liefert die Paketbote.

(FILE) BBC Panorama Investigates Amazon Working Conditions

Die Schattenseite des Erfolgs: Die Arbeit in Amazons Versandhäusern, hier in Wales, ist hart – und nicht sehr gut bezahlt.

(Foto: Matt Cardy/Getty)

Pakete - so hat es ja begonnen damals vor 30 Jahren. Die erste Idee des jungen Jeff Bezos war der Online-Versand von Büchern - einfach, weil das die Branche mit den höchsten Zahlen war: Drei Millionen Bücher waren damals im Umlauf, hat der Gründer später vorgerechnet, aber selbst die größte Buchhandlung konnte nicht mehr als 150 000 Bücher vorrätig halten. Da müsste man doch, da könnte man doch... - so geht das los mit dem Gründen.

Kosten sparen durch Wachstum - das ist Amazons Geschäftsmodell

Ein Jahr brauchte das Ehepaar Bezos damals, bis die Firma in Fahrt kam, und natürlich liest sich diese Pionierzeit in Bezos Erinnerungen spannend. Die Wochen der Entscheidung, die Kündigung der bisherigen Existenz, der Roadtrip an die Westküste, die harten ersten Wochen, in denen der Chef selbst am Fußboden kniend Bücher verpackte, das rasche Wachstum, die Online-Konkurrenz der Buchhandelskette Noble and Barnes, deren Niedergang, und dann der unaufhaltsame Aufstieg von amazon.com. Natürlich kommt in dieser Geschichte neben einem schlichten Wohnhaus auch eine Garage vor - irgendwie haben sie ja alle in einer Garage angefangen, die Pioniere der digitalen Welt, vom Gründerduo des Silicon Valley, Bill Hewlett und David Packard, bis zu den Google-Erfindern.

Die Bezos aber waren in den Nordosten gegangen, nach Seattle, in die Stadt von Bill Gates und Microsoft. Am 16. Juli 1995 verschickten sie das erste Buch an einen Kunden, und es war kein Krimi, sondern ein Fachbuch über das Denken, ein dickes Ding, 500 Seiten. Am Anfang sollen es 300 Freunde und Bekannte gewesen sein, die die neue Geschäftsidee testeten, aber schon im zweiten Monat lag der Umsatz bei mehr als 20 000 Dollar, der Jahresumsatz 1996 bei 15,7 Millionen Dollar, im Jahr darauf bei knapp 150 Millionen, und dann ging es erst richtig los.

Bezos verkauft fast alles, vom Cloud-Dienst bis zur Raumfahrt. Grenzen kennt er nicht

Wachstum, das ist der Schlüsselbegriff in Jeff Bezos Denken, und dieses Wort, Growth, steht auch auf der legendären Serviette, auf die er sein Geschäftsmodell skizziert haben soll: das Wort in einem orangenen Kreis, umgeben von Pfeilen mit einigen wenigen Begriffen. Growth führe zu niedrigeren Kosten, diese zu niedrigeren Preisen und diese wieder zu mehr Growth: das ist der Amazon-Kreislauf.

25 Jahre Amazon

Klein, aber oho: Das erste Bürogebäude von Amazon in Seattle fiel bescheiden aus.

(Foto: dpa)

Bücher also waren der Anfang, aber eben nur das: der Anfang. Denn der "Allesverkäufer", so der Titel seiner Autobiografie, nimmt sich seitdem Branche auf Branche vor. Mehr noch, er macht sich die gesamte Lieferkette untertan. In seinen Lagerhäusern arbeiten nicht mehr gekaufte, sondern jetzt zunehmend eigene Roboter, die weißen Transporter mit Amazon-Logo machen UPS oder DHL Konkurrenz, auch eine eigene Luftfrachtline Prime Air ist im Einsatz, und noch in diesem Jahr sollen erste Lieferdrohnen den Kunden anfliegen. Das globale Logistiknetz wird von einer eigenen Software gesteuert, die mit selbst entwickelter künstlicher Intelligenz ausgestattet ist. Amazon Web Services ist der größte Cloud-Anbieter der Welt.

Natürlich geht Amazon auch in immer mehr Branchen, macht mit seinem Streaming-Dienst Netflix Konkurrenz, bietet Videogames an, hat die weltgrößte Biosupermarktkette Whole Foods Market übernommen und nimmt nun den Banken- und Versicherungsmarkt in den Blick. Dass Bezos auch die Washington Post besitzt, die legendäre und immer noch sehr einflussreiche Hauptstadtzeitung, ist vielleicht nicht Kerngeschäft, aber ein durchaus bezeichnender Nebenerwerb - ebenso wie seine Raumfahrtaktivitäten: Dieser Mann kennt keine Grenzen.

Der Kunde und die Politik sind Amazons Gefahr

Die Frage ist natürlich, wie lange das so weitergehen kann - und darf. Nach aller Erfahrung droht dem Konzern wie allen wirtschaftlichen Imperien von zwei Seiten Gefahr. Da ist einmal der Kunde, dem sein Amazon-Dasein unheimlich werden könnte. Facebook erlebt gerade, wie schwer verloren gegangenes Vertrauen wiegt. Amazons Achillesferse sind zur Zeit die Arbeitsbedingungen seiner Mitarbeiter. Auch wenn das Unternehmen heftig betont, wie gut es Amazon-Mitarbeitern geht, mehren sich kritische Berichte.

Und dann sind da die Wettbewerbsbehörden in Bonn, Brüssel und Washington. Noch haben die Europäer vor allem Google im Blick, aber Amazon ist in der Pipeline. Das Bundeskartellamt und die Europäische Kommission haben aufgrund der Beschwerden von Wettbewerbern gerade Verfahren eingeleitet. Zwar ist eine unzulässige Marktmacht nicht so einfach nachzuweisen wie bei Google, sagt der Wettbewerbsökonom Achim Wambach, Vorsitzender der die Bundesregierung beratenden Monopolkommission.

Google hatte Smartphone-Hersteller, die Google-Dienste einbinden wollen, gezwungen, auch Google-Apps auf die Geräte zu bringen. Diese Macht hat Amazon nicht. Dass der Konzern aber immer weiter ausgreift, beobachtet Wambach "mit wachsendem Interesse". Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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