Süddeutsche Zeitung

Altersvorsorge:Woran die Rentenpläne der Parteien kranken

Es ist nicht möglich, mit dem bestehenden Rentensystem Altersarmut zu bekämpfen. Wer etwas anderes sagt, liegt falsch.

Kommentar von Nikolaus Piper

Martin Schulz und Andrea Nahles haben das neue Rentenkonzept der SPD vorgestellt. Aus wahlkampftaktischer Sicht kam das reichlich spät (der Schulz-Zug fährt ja inzwischen ziemlich langsam), inhaltlich kommt es jedoch früh genug, um einen argumentativen Renten-Wahlkampf zu führen, wenn man das denn will. Zumindest ist jetzt klar, wo die Fronten im Wahlkampf verlaufen werden.

Wenn es um die Bewertung von Konzepten zur Zukunft der Renten geht, lautet die Kernfrage immer: Wie halten es die Autoren mit dem demografischen Wandel? Wie verteilen sie die Lasten, wenn immer weniger Junge für immer mehr Rentner sorgen müssen? Martin Schulz und die SPD haben scheinbar einen Zaubertrick gefunden: Sie wollen den Rentenbeitrag auf 22 Prozent festschreiben und gleichzeitig das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent sinken lassen, den absehbaren Rückgang auf etwa 44,7 Prozent bis 2030 also verhindern.

Wachsende Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt für die Rentenversicherung

Diese Verbesserung für die Rentner hat natürlich einen Preis, und die Sozialdemokraten sind ehrlich genug, diesen Preis auch zu nennen: wachsende Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt für die Rentenversicherung. Systematisch ist das allemal besser als steigende Rentenbeiträge, denn so wird die Last dieser sozialpolitischen Maßnahme auf viel mehr Schultern verteilt. Trotzdem bleibt es eine Last für die Jungen.

Es lohnt sich hier, andere Rentenkonzepte zu vergleichen: Die FDP setzt klar auf den Schutz der Jungen und fordert eine "Belastungsgrenze" im Grundgesetz, die Steuer- und Abgabenerhöhungen ein Limit setzt und so die private Altersvorsorge erleichtert. Die Linke will das Rentenniveau wieder auf 53 Prozent erhöhen, den Weg zur Rente mit 67 abbrechen und dafür sorgen, dass niemand im Alter weniger als 1 050 Euro bekommt.

Der Preis, den die Linken den Bürgern dafür abverlangen würden, wäre ein konfiskatorisches Beitragssystem: Die Beitragsbemessungsgrenze würde abgeschafft; wer 10 000 Euro verdient, müsste auch auf 10 000 Euro Beitrag zahlen, außerdem bekäme er, je mehr er verdient, im Verhältnis immer weniger für seine Beiträge. Die Last trügen also die Besserverdienenden (nicht nur die Reichen) unter den Jungen.

Die CDU schließlich will überhaupt kein Rentenkonzept vorlegen, sondern wird wohl eine Rentenkommission einberufen. Das ist nicht so abwegig, wie es klingt, denn die eigentlichen Probleme mit der Rente kommen erst nach 2030, und es ist gut, sich in Ruhe darauf vorzubereiten. Nur hat eben auch das Warten seinen Preis: Das Rentenniveau wird in der Zwischenzeit weiter sinken, nicht dramatisch, aber doch spürbar. Die Demografie wirkt eben.

Klarer Systembruch

Im SPD-Konzept gibt es noch einige bemerkenswerte Details: Kleine Selbständige, die nicht anderweitig versichert sind, sollen Rentenbeiträge zahlen müssen. Das ist ein klarer Systembruch. Seit ihrem Bestehen war die Rentenversicherung für Arbeitnehmer da. Ludwig Erhard, der Vater der Sozialen Marktwirtschaft, wehrte sich bei der großen Rentenreform von 1957 mit guten Gründen gegen die Einbeziehung der Selbständigen in die Rente.

Nun hat sich die Arbeitswelt aber seit Erhards Zeiten radikal geändert. In der digitalen Welt hat Selbständigkeit eine neue Bedeutung, mehr Menschen arbeiten auf eigene Rechnung, viele unterliegen einem erhöhten Armutsrisiko im Alter. Insofern ist der Vorschlag der SPD richtig. Sehr kühn ist dagegen die Aussage in dem Rentenkonzept, eine weitere Erhöhung der Altersgrenze über 67 Jahre hinaus nach 2029 werde es mit der SPD nicht geben. Bis dahin sind es noch zwölf Jahre, in denen viel passieren wird. Man kann ohne großes Risiko darauf wetten, dass die Lebenserwartung der Deutschen so weiter steigt wie in den vergangenen Jahren und sich die Sozialdemokraten von diesem Versprechen irgendwann werden verabschieden müssen.

Verabschieden sollten sich die Parteien auch von der Behauptung, man könne mit dem bestehenden System Altersarmut bekämpfen. Das funktioniert nicht. Für die Rente muss man Beiträge zahlen, und wer im aktiven Leben wenig zahlt, hat später auch eine geringe Rente. Eine Minirente muss zwar nicht Armut bedeuten, wenn jemand anderweitig Vorsorge getroffen hat. Aber für die Fälle, in denen die Rente wirklich nicht zum Leben reicht, muss es Hilfe geben. Die SPD nennt diese Leistungen "Solidarrente"; in Wirklichkeit kann es sich nur um eine steuerfinanzierte Grundsicherung außerhalb des Rentensystems handeln. Klare Begriffe sorgen für klare Konzepte.

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SZ vom 09.06.2017/hgn
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