Altersvorsorge:So soll die Deutschland-Rente funktionieren

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Die Deutschen sind länger fit - und leben länger. So wie diese drei Herren, die bei den Deutschen Mehrkampf-Meisterschaften der Senioren auf dem Treppchen stehen.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Eines ist sicher: Künftige Rentner werden immer weniger Geld bekommen. Eine neue Form der privaten Altersvorsorge könnte helfen.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Eins ist sicher: Das Rentenniveau wird gemessen an den Löhnen in den nächsten 15 Jahren deutlich sinken. Riester-Rente oder betriebliche Altersvorsorge können dies nicht ausgleichen. Deshalb gibt es nun die Idee für eine weitere private Altersvorsorge: die Deutschland-Rente.

Was ist die Deutschland-Rente?

Drei hessische Landesminister, Thomas Schäfer (Finanzen), Stefan Grüttner (Soziales), beide in der CDU, und ihr grüner Kollege Tarek Al-Wazir (Wirtschaft) schlagen vor, in der Altersvorsorge ein neues und, wie sie es nennen, "einfaches, kostengünstiges Standardprodukt für jedermann" einzuführen. Verwaltet wird der Anlagetopf vom Staat, daher der Name "Deutschland-Rente". Jeder Arbeitnehmer soll in diesen zentralen Fonds einzahlen können. Dazu zwackt der Arbeitgeber die Beiträge vom Gehalt ab und führt diese an die Rentenversicherung ab. Fondsmanager legen das Geld anschließend am Kapitalmarkt an. Der Fonds soll - anders als bei Versicherern oder Fondsgesellschaften - "ohne eigenes Gewinninteresse auf Selbstkostenbasis" arbeiten.

Was soll dadurch besser werden?

Die drei Minister halten die private und betriebliche Altersvorsorge in Deutschland für "unterentwickelt". Kaum ein Regierungspolitiker hat dies bislang so offen ausgesprochen. Dabei sind die Mängel seit langem bekannt: Nur wenige Geringverdiener, also diejenigen, die es am nötigsten hätten, legen etwas fürs Alter zurück. Die Riester-Rente nutzt nicht einmal jeder Zweite mit einem Anspruch. Und diejenigen, die es tun, schöpfen die staatlichen Zulagen und Steuervorteile vielfach nicht voll aus. Außerdem kritisiert das Politiker-Trio, dass die Riester-Produkte "zum Teil völlig überteuert" seien. Hinzu kommt: In kleinen Unternehmen sorgt nur etwa jeder Vierte über den Betrieb für eine Zusatzrente vor. Deshalb plädieren die Minister für die Deutschland-Rente: "Der Staat muss gerade den kleinen Unternehmen und Arbeitnehmern die heute weit verbreitete Angst vor Komplexität und hohen Kosten der zusätzlichen Altersvorsorge nehmen."

Soll die Zusatz-Rente verpflichtend sein?

Bislang können die Bürger frei entscheiden, ob sie zusätzlich vorsorgen. Auch jeder Arbeitgeber kann eine Betriebsrente anbieten oder Geld zu den Beiträgen des Arbeitnehmers hinzulegen, er muss es aber nicht. Die drei Minister setzen nun auf "sanften Zwang": Alle Arbeitnehmer sollen automatisch Zusatzbeiträge zahlen, "sofern sie gegenüber dem Arbeitgeber nicht aktiv widersprechen". Der Vorteil: In anderen Ländern ist dieses Prinzip sehr erfolgreich. Bis zu 90 Prozent der Beschäftigten legen dort so zusätzlich Geld fürs Alter zurück. Nur so lasse sich "ernsthaft Altersarmut bekämpfen", argumentiert das Trio.

Was ist ihr Vorbild?

Sie nennen den norwegischen Staatsfonds. Dieser hat seit seiner Gründung 1997 eine durchschnittliche Rendite von mehr als fünf Prozent jährlich erwirtschaftet. Der Fonds, der weltweit etwa 750 Milliarden Euro - vielfach auch in Aktien - angelegt hat, ist jedoch nicht direkt für die Altersvorsorge der Bürger gedacht. Vielmehr wollen die Norweger damit Löcher in der Staatskasse stopfen, wenn die Öl-Einnahmen nicht mehr sprudeln. Deshalb hat der Fonds auch gerade Probleme: Weil der Ölpreis abgestürzt ist, fließt weniger Geld in die Kasse. Ein anderes Vorbild ist der schwedische Staatsfonds.

Welche Rolle soll die Anlage in Aktien bei der Deutschland-Rente spielen?

Die Lebensversicherer in Deutschland durften bis Ende 2015 nicht mehr als 35 Prozent ihres Anlagekapitals in Aktien anlegen. Jetzt gibt es neue, komplizierte Vorschriften. Ende September 2015 hatten die Lebensversicherer gerade einmal 3,9 Prozent ihrer Kapitalanlagen oder gut 33 Milliarden Euro in Aktien investiert, obwohl sich wegen der historisch niedrigen Zinsen mit festverzinslichen Wertpapieren derzeit wenig erwirtschaften lässt. Bei der Deutschland-Rente dürften die Fondsmanager viel stärker auf Aktien setzen. Dadurch steigt sowohl die Chance auf höhere Erträge, als auch das Risiko von Kursverlusten. Langfristig haben sich Anlagen in Aktien aber als deutlich rentabler erwiesen als solche in Anleihen. Die drei Minister schreiben: "Durch einen höheren Aktienanteil könnte gleichzeitig mehr Kapital für den Aktienmarkt und Börsengänge junger Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, um Wachstum und Innovationen zu finanzieren."

Besteht nicht die Gefahr, dass der Fonds in Notzeiten geplündert wird?

Es gibt den Spruch: "Eher legt ein Hund einen Wurstvorrat an, als dass Politiker einen Milliardenschatz in einer Sozialkasse unangetastet lassen." Deshalb ist die Sorge groß, dass in Notzeiten auch in den Geldtopf der Deutschland-Rente gegriffen wird. Die drei Minister sagen deshalb: Der Fonds müsse "geschützt vor politischem Zugriff" sein.

Die Lücke ist größer als gedacht

Gut 16 Millionen Bürger haben einen Riester-Vertrag. In knapp ein Fünftel der Verträge fließt jedoch gar kein Geld mehr. Außerdem schöpft nur gut jeder Zweite die staatliche Förderung der privaten Altersvorsorge voll aus. Schon das zeigt: Anders als dies 2002 vorgesehen war, wird die Riester-Rente in vielen Fällen nicht ausreichen, um die Senkung des Rentenniveaus von einst mehr als 50 Prozent eines Durchschnittslohns auf unter 45 Prozent bis zum Jahr 2030 auszugleichen. Nun legt eine Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Anfrage der Linken nahe: Die Differenz zwischen dem, was zusätzlich zurückgelegt werden müsste, und dem, was tatsächlich in die Riester-Rente fließt, ist sogar noch größer, als bislang gedacht.

Die Bundesregierung kalkuliert so: Die Arbeitnehmer sollen nicht nur vier Prozent ihres sozialversicherungspflichtigen Bruttolohns in einen Riester-Vertrag stecken. Sie sollen darin auch - was bislang kaum bekannt ist - die Steuerersparnis einzahlen, die sich durch die schrittweise Freistellung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung ergibt. Nur so lasse sich "die Dämpfung der Rentensteigerung" und die stärkere Besteuerung der gesetzlichen Renten durch die Einführung der sogenannten nachgelagerten Besteuerung ausgleichen, hieß es schon im Alterssicherungsbericht der Bundesregierung von 2012.

Aber was macht diese Steuerersparnis aus? Der rentenpolitische Sprecher der Linken, Matthias Birkwald, hakte nach. Diese beläuft sich laut Arbeitsministerium 2015 auf 1,4 Prozent, 2020 auf 2,1 und 2030 bereits auf 3,2 Prozent des Bruttoeinkommens. Hinzu kommen die vier Prozent für die Riester-Rente. Gerechnet wurde dabei für einen Single ohne Kinder mit Durchschnittsverdienst. Dieser beträgt in der Rentenversicherung derzeit 2917 Euro. Wie viele Beschäftigte tatsächlich so viel vom Lohn zusätzlich abknapsen, ist nicht bekannt. Aber schon der Sozialbeirat der Bundesregierung merkte an, es sei zu hinterfragen, ob dies überhaupt geschehe.

Für Birkwald belegen die Zahlen der Bundesregierung, "dass die Beschäftigten für die private Altersvorsorge weitaus stärker bluten müssen, um im Alter ihren Lebensstandard zu sichern, als bisher von ihr behauptet". Er fordert die Bundesregierung auf, das Rentenniveau anzuheben. Dies sei möglich, wenn die Arbeitnehmer statt in die Riester-Rente zusammen mit den Arbeitgebern mehr in die Rentenversicherung zahlen. Für die Beschäftigten sei das nicht nur günstiger. Die gesetzliche Rentenversicherung biete auch bessere Leistungen wie eine Erwerbsminderungs- oder eine Witwenrente.

Thomas Öchsner

Welche Kritikpunkte gibt es noch?

Sollte es nur einen zentralen Fonds geben, würde für alle Beteiligten unabhängig von ihrer Risikobereitschaft, ihrem Alter und ihrer persönlichen Situation eine Anlagepolitik gelten. In der Altersvorsorge dominieren heute aber Lebenszyklus-Modelle: Dabei wird mit zunehmendem Alter von risikoreicheren in risikoärmere Anlagen umgeschichtet, damit beim Eintritt in den Ruhestand nicht durch einem Kurssturz an der Börse ein Großteil des Geldes weg ist. Jörg von Fürstenwerth, Vorsitzender der Geschäftsführung des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), warnt außerdem vor einer "Verstaatlichung der privaten Vorsorge". Er merkt an, dass der Chef des norwegischen Staatsfonds gerade gesagt habe, die Zeiten hoher Renditen seien vorbei. Dieses Jahr seien nur 2,8 Prozent drin. "Da brauchen wir uns mit unseren Produkten wahrlich nicht zu verstecken", sagt Fürstenwerth.

Gibt es Chancen für eine Durchsetzung?

Hessen will den Vorschlag per Bundesratsinitiative auf den Weg bringen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass der Bundestag eine solch große Reform noch vor den Bundestagswahlen Ende 2017 durchsetzt. Danach dürften die Chancen steigen, weil der Druck, etwas zu tun, zunehmen wird.

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