Altersvorsorge:Rente mit 40

Oliver Noelting - Frugalist

Oliver Noelting will auch ohne überdurchschnittlich bezahlten Silicon-Valley-Job möglichst früh in den Ruhestand gehen.

(Foto: Florian Mueller)

Die Anhänger der "FIRE"-Bewegung wollen möglichst früh zu arbeiten aufhören. Klingt nach Wunschtraum, ist aber eigentlich kapitalistische Kapitalismus-Kritik.

Von Christoph Gurk

Wenn unter Freunden und Bekannten das Gespräch auf das Thema Rente kommt, kippt oft die Stimmung - zumal unter denen, die erst das erste Viertel oder Fünftel ihres Berufslebens hinter sich haben. Dass an dessen Ende aber eine so schere und solide Rente steht, wie Norbert Blüm das einmal versprochen hat, glauben oft nur wenige. Andererseits sorgen die meisten aber auch nur bedingt vor: private Rentenversicherung, Fonds für den Ruhestand, Immobilien - sollte man haben, keine Frage. Meisten aber herrscht schnell betretenes Schweigen und alle wechseln schnell das Thema.

Oliver Noelting tut das nicht. Er hat nicht nur schon viel Zeit und Geld in seine Rente investiert, er hat sie auch optimiert. Zehn Jahre muss er etwa noch arbeiten, dann, so glaubt er, kann er sich in den Ruhestand verabschieden. Noelting wäre dann gerade mal 40 Jahre alt.

Der 29-Jährige ist Teil einer neuen Bewegung, die sich "FIRE" nennt. Das Kürzel steht für Financial Independence, Retire Early, was übersetzt so viel heißt wie: Finanzielle Unabhängigkeit, frühe Rente. Ihre Ursprünge hat die Bewegung in den USA und dort vor allem in Silicon Valley. Hier stellten gut bezahlte Programmierer Mitte der Nullerjahre fest, dass sie eigentlich mit 30 schon ausgesorgt hatten - vorausgesetzt, sie würden im Ruhestand ein moderates Leben führen, ohne Luxusyachten und dicke Autos, dafür aber mit viel Zeit und absoluter Freiheit, das zu tun, was sie wollten.

Inzwischen ist die Idee in Europa und auch in Deutschland angekommen. Es gibt Lokalgruppen und jährliche Treffen von FIRE-Anhängern, im Netz gibt es spezielle Foren und dutzende Blogs, auch von Oliver Noelting. Hier berichtet er, wie er es auch ohne überdurchschnittlich bezahlten Silicon-Valley-Job schaffen will, nach nur ein paar Jahren Arbeit schon wieder in Rente zu gehen: ETF-Fonds, Anleihen, vor allem aber sehr viel Sparsamkeit und Konsumverzicht. Noelting führt eine Liste, in der er sogar notiert, wie viel Geld er mit Pfandflaschen eingenommen hat. Er kauft so gut wie keine neue Kleidung und die Möbel in seiner Zwei-Zimmerwohnung in Hannover sind zum allergrößten Teil Second-hand.

All das klingt nach fürchterlicher Pfennigfuchserei. Spricht man aber mit Noelting und anderen FIRE-Anhängern, erkennt man: Die Rente ist nur die Belohnung, die am Ende des Weges wartet. Worum es eigentlich geht, ist die Frage: Wie und was wollen wir arbeiten? Und vor allem auch: Wie wollen wir leben? Und irgendwann stellt sich tatsächlich die Frage, wer eigentlich verrückt ist: Diejenigen, die bis 67 arbeiten - oder die, die mit 40 schon in Rente gehen wollen?

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