Altersvorsorge:Rechnen mit der Lücke

Reicht das Einkommen für ein gutes Leben im Ruhestand? Wie viel ist genug? Beim Kassensturz sollten sich Sparer von Finanzberatern nicht in die Irre führen lassen.

Von Thomas Öchsner

Es klingt ganz einfach: "In nur 60 Sekunden ... Jetzt Vorsorgelücke und -beitrag berechnen." So wirbt der GDV, der Dachverband der deutschen Versicherer, für seinen Rentenrechner im Internet. Auch Banken, Fondsanbieter und Finanzberater aller Art versprechen, die "Rentenlücken" ihrer Kunden auszurechnen - natürlich auch im eigenen Interesse. Sie leben schließlich davon, Produkte für die Altersvorsorge unters Volk zu bringen. Doch was bringt die ganze Rechnerei den Kunden überhaupt? Wie zuverlässig ist eine Aussage, wenn Herr Mustermann am Schluss erfährt, dass ihm für die Zeit als Rentner leider ein paar hunderttausend Euro fehlen?

Die Stiftung Warentest schickte vergangenes Jahr zwei Testerinnen zu Banken und Versicherungsvermittlern. Das Ergebnis dieser Untersuchung war eher dürftig: "Es ist eine Lotterie, ob man eine gute Beratung bekommt", heißt es bei der Stiftung. Die Beratungsleistung reiche "von ordentlich bis lausig". Dennoch raten auch die Warentester zum Kassensturz fürs Alter. Der ist zwar mit vielen Unwägbarkeiten verbunden, aber man kann zumindest ein Gefühl für die persönliche Versorgungslücke bekommen.

Auf der einen Seite stehen sämtliche Einkünfte, die man im Alter hat, auf der anderen Seite die möglichen Ausgaben, die ausreichen sollen, um den angestrebten Lebensstandard im Alter zu finanzieren. Der mögliche Fehlbetrag dazwischen ergibt die Versorgungslücke. Werner Siepe, Experte für Altersvorsorge, rät dabei, mit Nettobeträgen zu rechnen. "Damit kommt man der Wirklichkeit auf jeden Fall näher", sagt der Finanzmathematiker. Doch beim Kassensturz wird oft auf beiden Seiten etwas vergessen.

Je früher, desto besser

Wer seine Versorgungslücke ermitteln will, kann sich von der Stiftung Warentest helfen lassen. Die Stiftung bietet auf ihrer Homepage (www.test.de). einen Rentenrechner an, der es erleichtert, die persönliche Lücke auszurechnen. Außerdem gibt es dort einen Vorsorgerechner. Damit lässt sich leichter kalkulieren, wie viel man zum Beispiel mit Hilfe eines Fondssparplan zurücklegen muss, um ein bestimmte Summe zu erreichen. Dabei sollte der Grundsatz gelten: Auch wenn sich die Versorgungslücke nur annäherungsweise ermitteln lässt, sollte dies nicht als Argument dienen, gar nichts zu tun. Denn je früher man anfängt zu sparen, desto mehr springt am Ende dabei heraus.

Beispiel: Franz Müller hätte gerne eine Zusatzrente von 500 Euro pro Monat für 20 Jahre. Er fängt mit 47 Jahren an zu sparen, hat bis zum Rentenbeginn mit 67 also 20 Jahre Zeit. Legt er das Geld in Aktienfonds an und beträgt deren Rendite vier Prozent im Jahr, muss er 272 Euro pro Monat zurücklegen, um 20 Jahre lang die 500 Euro zu bekommen. Voraussetzung: Das angesammelte Kapital von knapp 100 000 Euro wird mit zwei Prozent verzinst. Hätte Müller schon mit 37 mit seinem Sparplan angefangen und damit zehn Jahre mehr Zeit, müsste er monatlich nur etwa 145 Euro zurücklegen, um sich die 500 Euro 20 Jahre lang zu sichern.

Zukünftige Rentner, denen all das zu kompliziert ist, können auch an eine Faustregel halten: Wer als junger Mensch etwa zehn Prozent seines Nettoeinkommens spart, bewegt sich einigermaßen auf der sicherer Seite. Verändern sich die Lebensumstände, kann man dies ja wieder ändern. Thomas Öchsner

Am einfachsten ist es, mit den Einnahmen anzufangen. Wie viel Rente man bekommen könnte, steht in der jährlichen Rentenmitteilung. Hinzu kann eine Betriebsrente kommen, eine Riester-Rente oder eine Rente aus einer Lebensversicherung. Schon dabei den Überblick zu behalten, dürfte für manche zukünftige Ruheständler kompliziert werden, bislang gibt es in Deutschland - anders als beispielsweise in Schweden - noch keine Plattform, die über alle relevanten Daten zur Altersvorsorge informiert. Das gilt erst recht, wenn zusätzliche Einnahmen, wie Miet- oder Kapitaleinkünfte hinzukommen.

Beispiel: Die alleinstehende Hertha Müller, 60 Jahre, verdient monatlich 3156 Euro brutto, so viel wie ein Durchschnittsverdiener in der gesetzlichen Rentenversicherung. Netto kommen so bei ihr etwa 2000 Euro heraus. Nach 45 Beitragsjahren erhält sie voraussichtlich eine Monatsrente von 1400 Euro, ohne Rentensteigerungen gerechnet. Hinzu kommen 400 Euro Betriebsrente und weitere 200 Euro aus einer Riester-Rente. Macht zusammen 2000 Euro brutto. Netto bleibt davon aber deutlich weniger übrig: Davon gehen teilweise Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge ab, außerdem Steuern, die je nach Rente und Alter des Steuerpflichtigen unterschiedlich ausfallen können. Das genau auszurechnen, sei für einen Laien allerdings fast unmöglich, sagt Nils Nauhauser, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.

Wer zumindest einen Richtwert haben wolle, könne von den Renteneinnahmen sicherheitshalber ein Drittel oder ein Viertel als Puffer für die Steuer abziehen. Bei Frau Müller blieben so grob gerechnet etwa 1400 Euro netto übrig.

Bei den Ausgaben im Ruhestand stellt sich die Frage, ob ein Rentner wirklich weniger Geld zum Leben braucht. Auf der einen Seite gibt es einige Kosten weniger, etwa für Sprit oder das Monatsticket für den Weg zur Arbeit. Gut möglich, dass auch das Eigenheim abgezahlt ist, Zins und Tilgung für den Baukredit nicht mehr fällig sind und auch der Zuschuss fürs Studium des Kindes und der Sparbeitrag für die Lebensversicherung wegfällt. Auf der anderen Seite können im Alter zusätzliche Ausgaben entstehen, zum Beispiel für eine Haushaltshilfe, Medikamente, einen Treppenlift, die Enkelkinder, die Renovierung des Hauses - oder etwa kostspielige Reisen, wenn man sich als Ruheständler etwas gönnen mag. All das ist relativ schwierig exakt einzuschätzen.

Wandbild an der Hausfassade des Bremer AWO Hauses an der Straße Auf den Häfen Es zeigt ein altes Eh

Wer 35 Jahre Beiträge bezahlt hat, bekommt einen Zuschlag: Rentner als Fassadenbildmotiv in Bremen.

(Foto: Eckhard Stengel/imago)

Die Stiftung Warentest gibt deshalb als Daumenregel aus: "80 Prozent des letzten Nettogehalts sollten zur Verfügung stehen." Experte Siepe warnt jedoch davor, die Versorgungslücke mit wirklichkeitsfremden Annahmen größer erscheinen zu lassen, als sie ist. "Wer mit einem Bedarf von 100 Prozent des Nettogehalts rechnet, wird eben auch eine sehr große Rentenlücke haben. Umgekehrt wird bei einem kalkulierten Bedarf von 60 Prozent des Nettogehalts eher eine zu geringe Lücke berechnet", sagt er.

Hält man sich an die 80-Prozent-Regel, bräuchte Beispiel-Rentnerin Hertha Müller also 1600 Euro pro Monat. Angenommen, es blieben ihr von ihren Gesamteinkünften nach Abzug von Steuern und den Beiträgen für die Kranken- und Pflegekasse tatsächlich etwa 1400 Euro netto übrig, läge ihre Versorgungslücke damit bei 200 Euro monatlich.

In dieser Rechnung wird allerdings der Ist-Zustand verglichen, also die voraussichtlichen Alterseinkünfte am aktuellen Gehalt gemessen. "Das ist deutlich einfacher, als die Zukunft hochzurechnen und gibt einem zumindest annäherungsweise ein Gefühl für die mögliche Versorgungslücke", sagt Siepe. Ganz unproblematisch ist es aber nicht. Denn dabei werden viele wichtige Faktoren nicht berücksichtigt, etwa wie sich das Arbeitseinkommen entwickelt, um wie viel die Renten Jahr für Jahr steigen oder wie hoch die Teuerungsrate ausfällt.

Nauhauser rechnet in seinem Buch "Lexikon der Finanzirrtümer" beispielsweise vor: Wer über gefühlt 2000 Euro im Rentenalter verfügen will, müsste bei einer Inflationsrate von zwei Prozent in 30 Jahren schon 3600 Euro haben. Die Teuerungsrate ist eine von vielen Variablen, an denen Finanzberater gut drehen können. Je höher sie angesetzt wird, desto größer fällt die Versorgungslücke aus. Nauhauser rät deshalb zur Vorsicht: "Wenn Sie drei verschiedene Berater konsultieren, erhalten Sie drei verschieden große Lücken. Und wer davon lebt, Finanzprodukte zu verkaufen, neigt dazu, die Lücke möglichst groß erscheinen zu lassen."

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