Alternativer Tagungsort:Mit dem Chef in der Achterbahn

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Achterbahn im Europa-Park in Rust: Der Freizeitpark hat sein Angebot für Tagungen in den vergangenen Jahren kontinuierlich ausgebaut. (Foto: Karina Hessland/imago)

Unternehmen tagen gerne in Freizeitparks, um in Ruhe fern des Alltags netzwerken zu können. Die Veranstalter haben das Potenzial erkannt.

Von Tim Kummert, München

Eine Gruppe von fünf Anzugträgern schlendert an diesem warmen Herbstabend durch den vollen Europa-Park in Rust, Deutschlands größten Freizeitpark. Sie fallen auf, fast alle anderen Besucher haben kurze Hosen und T-Shirts an. Die skeptischen Blicke sind der kleinen Delegation egal, sie steuert den "Silver Star" an, eine der höchsten Achterbahnen Europas. In der ersten Reihe mit Tempo 130 dem Erdboden entgegenrasen, nach fast acht Stunden Tagung, bevor es später zum Geschäftsessen geht, das ist der Wunsch. Sie sitzen nach der Fahrt noch in ihren Sesseln, da sagt einer nur ein Wort: "Irre!" Und strahlt dabei. Dann schaut er einen Mitarbeiter des Parks an: "Noch mal?" Der Sicherheitschef drückt ein Auge zu und winkt sie durch.

Als die Geschäftsleute nach zwei Fahrten aussteigen, ist alle Büroatmosphäre mit dem Fahrtwind weggeweht, sie wirken völlig entspannt, fast ausgelassen jugendlich. Nur zum Spaß sind die fünf aber nicht hier, sondern auf Einladung von Meiko und zwei anderen Firmen. Meiko stellt Spülmaschinen für Großküchen her, 2000 Mitarbeiter hat das Unternehmen weltweit. Gemeinsam richten die Unternehmen im Europa-Park eine dreitägige Tagung für ungefähr 300 Küchenplaner aus, die direkt mit den Kunden Kontakt haben. Tagsüber werden Vorträge gehalten, die Firmen präsentieren ihre Neuheiten. Zur Auflockerung tritt zwischendurch ein Gedächtnistrainer auf.

Mittlerweile ist es zehn Uhr abends, der Geschäftsführer von Meiko, Stefan Scherringer, lässt sich noch eine Cola bringen und lehnt sich entspannt zurück. Er sieht zufrieden aus. Hinter ihm hängen Fotos von Achterbahnen an der Wand, die Tagungsgäste haben gut gegessen. Hauptspeise: gebratene Maispoularde an Portwein-Jus, dazu Marktgemüse und Kartoffel-Kräuter-Auflauf. Scherringer erzählt, warum auch dieses Event seiner Firma wieder im Freizeitpark stattfindet: "Die Veranstaltungsmöglichkeiten sind sensationell, wir arbeiten mit Profis zusammen. Die Menschen hier begreifen, worauf es ankommt." Dann lobt er das erstklassige Essen, die persönliche Betreuung sowie die Tatsache, dass hier fast jeder Wunsch erfüllt werde - und man deswegen in Ruhe tagen könne.

Die Kosten für das Event liegen für Meiko gut im sechsstelligen Bereich

Die Firma ist seit bald einem Jahrzehnt regelmäßig mit Tagungen im Europa-Park. So wie auch in diesem Jahr, die Kosten für das Event liegen gut im sechsstelligen Bereich. Aus Sicht des Geschäftsführers eine lohnende Investition: "Die Firma gibt jedes Jahr Millionen Euro für Messen aus. Dort sind die Kunden aber oft nur ganz kurz." Drei Tage in Ruhe netzwerken zu können, das ist in einer Branche, in der es auf Empfehlungen und Kontakte ankommt, viel wert.

Dass Unternehmen im Freizeitpark tagen, kommt immer häufiger vor. Allein im Europa-Park sprechen sie von Wachstumsraten bei Unternehmensanfragen im Bereich von fünf bis zehn Prozent Steigerung - jedes Jahr. Die elfköpfige Confertainment-Abteilung nimmt dort im Moment jährlich 1300 Aufträge entgegen.

Klaus-Michael Machens wundert das nicht. Der Geschäftsführer des Verbands deutscher Freizeitparks und Freizeitunternehmen sitzt in einem Café und nippt an seinem Cappuccino. Er hat ein braun gebranntes Gesicht, früher leitete er den Zoo Hannover. "Die Nachfrage in den Freizeitparks ist in den letzten Jahren ständig gewachsen", sagt er. "Ein Freizeitpark ist eben längst nicht mehr nur Achterbahn, Pommes und Zuckerwatte - und Unternehmen achten zunehmend auf Erlebnisqualität bei der Wahl ihrer Veranstaltungslokalitäten. Das Confertainment hat sich in den vergangenen Jahren rasant weiterentwickelt." Mit dem Begriff Confertainment bezeichnen die Freizeitparks die Mischung zwischen "Conference" und "Entertainment". Die Idee hinter dem Begriff: auf der einen Seite die seriöse Tagung, nach erfolgreichem Ergebnis und guten Gesprächen abends noch ein paar Runden in der Achterbahn drehen - Arbeit und Freizeit perfekt verknüpfen. Lockere Stimmung schaffen zwischen den Teilnehmern.

In fast allen Freizeitparks in Deutschland sind mittlerweile Angebote für Firmen vorhanden: Im Heide-Park in Soltau tagen Firmen seit 2007, große Fluggesellschaften genauso wie kleinere Mittelständler. Im Erlebnispark in Tripsdrill nördlich von Stuttgart fanden erste Tagungen sogar schon in den Sechzigerjahren statt. Dort wird gerade im Moment ein zusätzlicher Tagungsbereich gebaut.

Wenn eine Firma angemeldet ist, dann kommt sie - auch wenn es regnet

Bei den meisten Parks begann das Geschäft mit den Firmen, als die ersten Hotels gebaut wurden. Für die Freizeitparks ist das Geschäft mit den Unternehmen lukrativ und ein großer Wachstumsmarkt. Wenn eine Firma angemeldet ist, kommt sie - auch wenn es regnet. Spricht man nun mit den verschiedenen Betreibern der Freizeitparks, merkt man, dass diese aber höchst unterschiedlich ausgefeilte Angebote für Unternehmen anbieten. Ausgetüftelte Modelle wie im Europa-Park, die von den Häppchen in den Tagungspausen bis zum Showprogramm am Abend alles enthalten, bieten letztlich nur wenige Einrichtungen an.

Doch die schöne, neue Tagungswelt hat ihre Tücken. So seriös das Angebot der Parks auch sein mag: Wer mit seiner Firma in den Freizeitpark geht, signalisiert Lockerheit. Das kann gut ankommen, muss es aber nicht. Bernhard Wolff ist zum Beispiel jemand, der in dem Trend, neben der Achterbahn zu tagen, nicht nur Vorteile sieht. Der 49-jährige Wirtschaftspädagoge spricht selbst regelmäßig auf Tagungen und schreibt Texte mit Titeln wie: "Innovationsklima schaffen - ideenreich tagen." Er sagt: "Ob eine Tagung in einem Freizeitpark sinnvoll ist, hängt sehr vom konzeptionellen Ziel und vom Teilnehmerkreis der Tagung ab. Eine Vertriebstagung, bei der Leistungen belohnt werden, und auf der dann ordentlich gefeiert wird, passt natürlich gut in einen Freizeitpark." Auch die Veranstaltung des Küchenzulieferers Meiko, bei der es vor allem darum geht, Kontakte zu knüpfen, findet Wolff in Ordnung. Die Zielsetzung müsse eben konform mit der Örtlichkeit sein.

Dass man aber mit jedem Firmenevent in den Freizeitpark gehen kann, wie es von Seiten der Parks gerne vermittelt wird, hält er für eine Illusion: "Unpassend sind Freizeitparks eher, wenn es auf der Tagung um Konflikte und Veränderungsprozesse geht. Dann kann ein solcher Ort schnell als Ablenkungsmanöver empfunden werden." Zudem müsse ein Freizeitpark zur Kultur und den Werten eines Unternehmens passen. Die Tagung eines Waffenherstellers in einem Freizeitpark fände Wolff beispielsweise unpassend.

"Uns geht es nicht darum, Halligalli zu machen", betont Meiko-Geschäftsführer. Man wolle ernsthaft tagen - und irgendwie nimmt man es ihm ab. Seine Pressechefin weist Scherringer dennoch auf eine neue, kleinere Achterbahn hin. Die könne er, Scherringer, der ironischerweise selbst kein Achterbahn-Fan ist, bedenkenlos fahren. Ihr Chef lacht und sagt: "Mal sehen. Vielleicht morgen." Dann rückt er sich das Jackett zurecht und geht zurück zu seinen Geschäftspartnern.

© SZ vom 28.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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