Süddeutsche Zeitung

Alternativen zum Auto:Von der S-Bahn bis zum Elektroroller

Lesezeit: 4 min

Die Städte ersticken im Autoverkehr. Alle Verkehrsmittel zu vernetzen, ist ein Ausweg - aber sehr schwer.

Von Helmut Martin-Jung

Na, wie wäre das? In irgendeiner deutschen Stadt in den nächsten Bus springen, ohne dabei auch nur einen Gedanken an ein Ticket zu verschwenden. Die Tram nehmen, die S-Bahn - oder auch einen E-Scooter oder ein Mietfahrrad, weil gerade so schön die Sonne scheint. Einfach so. So einfach könnte es gehen, ein Smartphone in der Tasche genügt. Technisch ist das nicht ganz supereasy, aber durchaus machbar, schon heute. Es liegt an anderen Gründen, dass dieser Wunsch noch ziemlich lange ein Traum bleiben wird.

Bodo, Naldo, Hot, Vos - das sind nicht etwa Fußballer, das sind die Abkürzungen für vier der insgesamt 450 Verkehrsverbünde in Deutschland. Darunter große wie der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB), der Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV) und viele kleine. Das alleine sind schon 450 Gründe, warum das mit der Vereinheitlichung nicht so einfach gehen kann. Die meisten der Verbünde haben ein eigenes System, mit dem sie ihre Daten verwalten. Und viele - vor allem die kleineren - haben weder das Geld noch die Möglichkeit, ihre Daten in einem standardisierten Format bereitzustellen.

Das aber wäre die Voraussetzung dafür, dass es mit der verkehrsmittelübergreifenden Nutzung und Abrechnung funktioniert, sagt Felix Proehl. Der 24-Jährige ist Geschäftsführer des Münchner Start-ups Blue-Go, das genau daran arbeitet. Er und seine Mitstreiter werden also viel Überzeugungsarbeit leisten müssen und viel Geduld brauchen.

Dabei liegt es eigentlich auf der Hand, dass die Städte nicht mehr so weitermachen können wie bisher. Allein in Deutschlands Stauhauptstadt München stehen die Autofahrer im Durchschnitt 51 Stunden pro Jahr auf den Straßen, wie der Verkehrsdienstleister Inrix ermittelt hat, gut sechs Arbeitstage. Hamburg, Berlin und Stuttgart liegen mit je 44 Stunden nicht weit dahinter. Die durch Staus verursachten direkten und indirekten Kosten belaufen sich nach der Studie - der größten zu diesem Thema weltweit - in Deutschland auf 80 Milliarden Euro pro Jahr.

Die Blechlawinen mindern aber auch die Lebensqualität drastisch. An den Hauptverkehrsadern brauchen die Anwohner Lärmschutzfenster. Öffnen sie die zum Lüften, dringen Abgaswolken in die Räume. Feinstaub, Stickoxide gefährden die Gesundheit der Menschen. Wer keinen festen Parkplatz hat, muss mit seinem Auto oft lange herumkurven, bis er einen Platz zum Abstellen gefunden hat. Die fossilen Brennstoffe tragen zum Klimawandel bei.

Warum aber wollen doch noch immer viele Menschen nicht auf ein Auto verzichten? Für Landbewohner ist die Sache ziemlich schnell klar: Die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr ist in den meisten Fällen nicht ausreichend und auch nicht flexibel genug; alleine der Zeitverlust, den man erleidet, wenn man als Landbewohner statt des Autos öffentliche Verkehrsmittel wählt, lässt sich in den meisten Fällen kaum vertreten. In der Stadt ist das schon anders. Viele Versuche haben gezeigt, dass man gerade in den staugeplagten Städten mit den Öffis schneller ans Ziel kommt. Und die sind meist auch so getaktet, dass sich die Wartezeiten in Grenzen halten.

Doch schon die Einheimischen tun sich oft schwer, die komplizierten Tarifsysteme zu durchblicken, wenn sie nicht gerade eine Wochen- oder Monatskarte haben. Die Einteilung in Ringe, Zonen und dazu noch etliche Sonderregelungen machen es besonders Ortsunkundigen schwer, sich zurechtzufinden. Das ist eines der Probleme, die Proehl mit seinem Start-up lösen will. Mithilfe von Standortdaten sowie in manchen Bereichen auch kleinen Sendern, genannt Beacons, soll automatisch erfasst werden, wo und wann ein Fahrgast ein- und wieder aussteigt.

Wenn das Verkehrsunternehmen bereit ist, so weit zu gehen, sollen die Kunden auch eine Bestpreisgarantie bekommen. Das heißt: Fährt ein Fahrgast so oft mit den Öffis, dass zum Beispiel eine Monatskarte für ihn günstiger wäre, wird auch nur der dafür fällige Betrag eingezogen. Das langfristige Ziel der Münchner Gründer reicht noch weiter. Sie würden es am liebsten sehen, wenn pro gefahrenen Kilometer abgerechnet werden würde. Das nämlich könnte ihrer Meinung nach noch besser dabei helfen, viele verschiedene Mobilitätsformen miteinander zu verknüpfen.

Eine solche Verknüpfung hält auch der Seriengründer Lukasz Gadowski (unter anderem Delivery Hero, Mister Spex) für unverzichtbar. Sein Start-up Flash will Mikromobilität möglich machen, also die letzte Meile zwischen Wohn- oder Zielort und den öffentlichen Verkehrsmitteln überbrücken. Zunächst mit E-Scootern, aber auch andere Fahrzeuge seien in Planung.

Noch ist es aber so, dass man es bei nahezu jedem Verkehrsmittel mit einem anderen Anbieter zu tun hat. Zwar gibt es die lokalen Verkehrsverbünde. Doch Leihfahrräder, Elektro-Tretroller, Carsharing-Autos - für jedes dieser Verkehrsmittel muss man sich oft wieder eigens anmelden.

Was passieren muss, ist daher ziemlich klar: Alle Beteiligten müssen nicht zwingend auf eine gemeinsame Plattform, aber doch mindestens auf Schnittstellen hinarbeiten, die den Datenaustausch möglich machen und es damit erlauben, die verschiedenen Verkehrsmittel mehr oder weniger beliebig zu nutzen. Dabei kann auch künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle spielen. Zum Beispiel, indem sie berücksichtigt, wenn ein Wintereinbruch angekündigt ist. Dann fahren viele Menschen voraussichtlich nicht mit dem Fahrrad, und die Frequenz von Bussen oder Bahnen könnte erhöht werden.

Der verantwortungsvolle Umgang mit Daten muss mitgedacht werden

Für die Nutzer bietet sich das Smartphone als zentrale Steuer- und Abrechnungseinheit an. Die Geräte bringen alles mit, was man braucht, um die Verknüpfung von Mobilitätsdienstleistungen zu ermöglichen. Von Anfang an mitgedacht werden muss dabei auch der verantwortungsvolle Umgang mit Daten. Es wäre verschenkt, mit den Daten, die ja für das Funktionieren der Dienste ohnehin unerlässlich sind, nichts darüber hinaus anzufangen. Zum anderen aber kann und darf es nicht Nebeneffekt der Vernetzung sein, Bewegungsprofile der Nutzer zu erstellen.

Die Aufgabe, so viel ist klar, ist gewaltig. Sie kann nur in Schritten bewältigt werden. Und sie ist, wie die regelmäßig abgehaltene Umfrage der TU Dresden zur Mobilität der Deutschen zeigt, auch eine, die regional unterschiedlich angepackt werden muss. Zudem muss sie die Bedürfnisse verschiedener Altersgruppen in den Blick nehmen. Viele Städter kommen heute ohne eigenes Auto aus, Familien auf dem Land eher nicht. Und Menschen, die nicht mehr selbst mit dem Auto fahren können, brauchen eine möglichst gute Anbindung an öffentliche oder dem Bedarf angepasste Verkehrsmittel.

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Quelle:
SZ vom 22.01.2019
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