Süddeutsche Zeitung

Altenpflege:"Eine legale Betreuung kann ich nicht bezahlen"

Die Rentnerin Maria S. ist krank und braucht Hilfe im Haushalt. Die Polin Johanna ist rund um die Uhr an ihrer Seite - und arbeitet illegal.

Von Julia Löffelholz

Eine Flasche öffnen, kochen, aus dem Bett aufstehen. Es sind die Kleinigkeiten des Alltags, die Maria S. nicht mehr schafft. Doch die Vorstellung, in ein Pflegeheim zu gehen, ist für die 67-Jährige ein Albtraum. Die Bonnerin ist an Multipler Sklerose erkrankt. Dass sie noch in ihrer Wohnung leben kann, hat sie Johanna zu verdanken. Die Polin kümmert sich seit drei Jahren um Maria S. Sie hilft ihr vom Bett in den Rollstuhl, beim Gang zur Toilette, beim Waschen, Kochen, Einkaufen. Jeweils sechs Wochen ist sie rund um die Uhr bei ihr, fährt dann für sechs Wochen nach Hause und wird in dieser Zeit von ihrer Kollegin Beata vertreten.

Ausgesucht hat Maria S. ihre Pflegerinnen anhand von Steckbrief und Foto bei einer Vermittlungsagentur. Die Polinnen arbeiten schwarz. Sie bezahlen keine Steuern, Maria S. keine Sozialabgaben.

Schätzungen zufolge arbeiten in deutschen Haushalten 150 000 bis 300 000 Pflegekräfte illegal. Die meisten von ihnen kommen aus Osteuropa. Dass so viele Pflegebedürftige darauf zurückgreifen, nennt Werner Hesse "einen Hilfeschrei". Er ist der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Viele Pflegebedürftige, vor allem Demente bräuchten jemanden, der für sie da sei, sie unterhalte und auf sie aufpasse, sagt er. "Ein ambulanter Pflegedienst kann das nicht leisten."

In diesem Dilemma steckt auch Maria S. Sie lebt von ihrer Rente, dem Pflegegeld - und einem 450-Euro-Job. Für eine Firma schreibt sie Rechnungen von Zuhause und telefoniert. Das geht noch, auch wenn es nicht viel Geld bringt. "Ich brauche Hilfe für viele Dinge, die Pflegedienste nicht anbieten", sagt sie. Eine legale 24-Stunden-Betreuung könne sie nicht bezahlen.

Tatsächlich sind offiziell beschäftigte Pflegekräfte wesentlich teurer. "Familien müssen rund 1900 Euro im Monat zahlen", sagt Andrea von der Malsburg, die für das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung arbeitet. Illegal ist billiger, und zwar deutlich. "Reine Schwarzarbeit gibt es schon ab 800 Euro."

Pflegerin Johanna bekommt 1400 Euro im Monat plus Reisekosten für ihre Arbeit, Kost und Logis sind frei. Ihr falle es schwer, ihre Familie so lange alleine zu lassen, sagt sie. "Aber für die Arbeit, die ich hier mache, bekäme ich in Polen weniger als die Hälfte."

Maria S. ist schon Johannas dritte Adresse in Deutschland. Sie habe es bisher immer sehr gut getroffen, sagt sie. Häufig aber werden die Standards, die von den offiziellen Agenturen vorgegeben werden, auf dem Schwarzmarkt nicht eingehalten. "Ich kenne Frauen", erzählt Johanna, "die bekommen kaum etwas zu essen, dürfen das Haus nicht verlassen oder werden sogar sexuell belästigt."

Illegal beschäftigte Pflegekräfte zahlen außerdem weder in die Renten- noch in die Arbeitslosenversicherung ein. Falls der Zoll sie erwischt, müssten die Frauen Steuern und Sozialabgaben nachzahlen. Außerdem drohen Bußgeld und Geldstrafen, unter anderem wegen Steuerhinterziehung und Pflichtverletzung gegenüber der Sozialversicherung. Die Höhe ist abhängig von Umfang und Dauer der illegalen Beschäftigung. In besonders schweren Fällen kann es sogar zu Freiheitsstrafen kommen.

Große Angst vor dem Zoll haben Johanna und Maria S. trotzdem nicht. "Der Medizinische Dienst der Krankenkasse, der einmal im Jahr kommt und meine Pflegestufe einschätzt, toleriert das", sagt Maria S. "Ich habe das Gefühl, da wird ein Auge zugedrückt."

Pflege ohne ausländische Kräfte? Problematisch, sagen Experten

Auch Werner Hesse vom Paritätischen Wohlfahrtsverband hält Toleranz in diesem Bereich für möglich. "Ich würde nicht ausschließen, dass Schwarzarbeit in der Pflege vom Staat weniger stark verfolgt wird als in anderen Branchen", sagt er. "Unser Gesundheitssystem profitiert davon."

Auch Pflegeforscherin von der Malsburg glaubt, dass die Versorgung aller Pflegebedürftigen ohne die ausländischen Betreuungskräfte problematisch wäre. Die meisten Menschen, die so betreut werden, müssten sonst in eine stationäre Einrichtung. "Aber in Deutschland gibt es gar nicht ausreichend Heimplätze und erst recht nicht genug Pflegekräfte." Und selbst wenn: Könnten die Familien den Platz nicht bezahlen, müsse letztlich der Steuerzahler für die Kosten aufkommen.

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