Alten- und Krankenpflege:Pflegerinnen sind zu nett für die Rebellion

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Zwei ältere Frauen und ihre Pflegerin. (Foto: imago/imagebroker)
  • Viele Betreuerinnen leiden unter zu vielen Patienten und sehr geringer Bezahlung.
  • Trotzdem fehlt ihnen der Wille zum Arbeitskampf - denn sie möchten die Hilfsbedürftigen nicht alleinlassen.
  • Gleichzeitig treten etliche Verbände an die Berliner Politiker heran, die sich als Sprachrohr der Pflegekräfte sehen könnten.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Immer montags geht die alte Dame duschen. Schon vor dem Abendbrot steht sie vor Olaf L., er ist Pfleger, sie braucht seine Hilfe. "Nach 21 Uhr", sagt Olaf L.. "Das ist mir zu spät", sagt sie. "Dann geht es nicht", sagt er. Und später: "Es tut mir im Herzen leid." Wenn die alte Dame an diesem Montag nicht duscht, bleibt sie zwei Wochen ungeduscht. So ist es eben in diesem Pflegeheim.

Olaf L. arbeitet in einer Berliner Einrichtung, die zu einem Konzern gehört, der in ganz Deutschland Heime und Pflegedienste betreibt. Im Werbeprospekt ist eine Pflegerin zu sehen, mit einer Bewohnerin ins Gespräch vertieft. Olaf L. muss häufig mit nur einem Kollegen mehr als 40 Menschen versorgen. Der Kollege verteilt das Essen. Er bringt alle zu Bett. L. hat vor einigen Monaten bei der Gewerkschaft angerufen, im Eiscafé nebenan hat er geheime Treffen organisiert. Doch seit die Einladungen zur Wahl eines Betriebsrats im ganzen Heim hängen, sagen Kollegen zu ihm: "Ich brauche keinen Betriebsrat. Wie will der mir helfen?"

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Knapp jeder zehnte Pflegehaushalt setzt Hilfskräfte ein, die rund um die Uhr in der Wohnung leben. Meist aus Osteuropa, oft prekär angestellt. Die Politik steht vor einem massiven Dilemma.

Von Kristiana Ludwig

Die Situation in deutschen Heimen ist paradox. Dass ein Pflegenotstand herrscht, prangern Angestellte genauso wie Bewohner und ihre Angehörigen an. Spätestens seit ein junger Pfleger kurz vor der Bundestagswahl Kanzlerin Angela Merkel in einer ARD-Sendung auf die "Würde des Menschen" aufmerksam machte, ist dieses Thema wieder allgegenwärtig. Pflegekräfte arbeiten zu viel, sie versorgen zu viele Menschen gleichzeitig und werden außerdem noch schlecht bezahlt. Doch trotzdem kämpfen die wenigsten für Verbesserungen, Experten schätzen den Anteil der Altenpfleger in einer Gewerkschaft auf fünf bis zwölf Prozent. In kaum einem Heim traten die Beschäftigten je in den Streik.

In privaten Heimen, die in Deutschland rund die Hälfte aller Einrichtungen ausmachen, gibt es nach einer neuen Studie des Politikprofessors Wolfgang Schröder vom Berliner Wissenschaftszentrum nur in jedem zehnten Haus einen Betriebsrat. In kirchlichen Einrichtungen liegt der Anteil mit 40 Prozent zwar höher. Allerdings gibt es dort sogenannte Mitarbeitervertretungen, die sich an das Kirchenrecht halten müssen und deshalb weniger erreichen können als in Privatunternehmen.

Wer Menschen mag, will ihnen keine Hilfe verwehren

Die Ursache, weshalb sich viele Altenpfleger trotz ihrer prekären Lage nicht organisieren, liegt Schröders Studie zufolge zum Teil an ihrer Einstellung. Alte und Kranke zu pflegen stehe in der Tradition eines wohltätigen "Liebesdienstes". Ein Arbeitskampf, der am Bett von Hilfsbedürftigen ausgetragen wird, passt schlecht zu dieser Haltung. Die besondere Beziehung zwischen Pflegern und Patienten zeigten auch Antworten von mehr als 750 Pflegern auf die Frage, wer eigentlich ihre Leistung im Heim anerkenne. Nur 20 Prozent von ihnen gaben an, dass ihre Arbeit von der Gesellschaft sehr geschätzt werde - doch knapp 70 Prozent sagten, sie erhielten diese Wertschätzung von ihren Patienten. Schröder nennt dieses Phänomen eine "Zuneigungsgefangenschaft": Wer Menschen mag, will ihnen keine Hilfe verwehren. Ein Streik wird auf diese Weise schwierig.

Zugleich sind die Arbeitsplätze in den Heimen ein Grund, weshalb wenige Mitarbeiter rebellieren. Der Anteil der Teilzeitbeschäftigten ist hoch, rund 85 Prozent aller Pflegekräfte sind Frauen. Viele Angestellte sind "Pflegehelfer" oder "Pflegeassistenten" mit einem niedrigen Bildungsabschluss. Sie sind oft Quereinsteiger, die als Zweit- oder Drittberuf das Altenheim wählen. Diesen Mitarbeitern fehlten oft schlicht Informationen über das Arbeitsrecht. Über 70 Prozent der befragten Pfleger gaben an, dass sie bei Problemen zu ihrem Chef gehen würden - nicht zu Außenstehenden. Zu wenig Personal und Zeitdruck, der Patienten und Helfern schade, kritisieren trotzdem die meisten Befragten. Die Verantwortung, daran etwas zu ändern, sehen jedoch fast alle nicht bei sich selbst, sondern beim Staat. 88 Prozent der Pfleger sagten, dass die Politik etwas an den Zuständen ändern müsse. Nur 72 Prozent dachten an ihren eigenen Arbeitgeber.

An die Berliner Politiker treten unterdessen eine Vielzahl von Verbänden heran, die sich alle als Sprachrohr der Pflegekräfte vorstellen. Neben der Gewerkschaft Verdi gibt es da etwa den Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe, den Berufsverband für Altenpflege oder den Deutschen Pflegerat. Der Großteil ihrer Mitglieder sind Krankenhausmitarbeiter. Selbst die Ärztegewerkschaft Marburger Bund hat kürzlich überlegt, um Mitglieder aus der Pflege zu werben. So steht eine ohnehin sehr geringe Zahl von engagierten Pflegekräften einer unübersichtlichen Landschaft aus Verbänden und Vertretern gegenüber.

Verdi bewegt einige Krankenpfleger zum Ausstand

Anfang 2016 hat ein Mitarbeiter eines Trierer Pflegeheims, Markus Mai, zudem eine Landespflegekammer gegründet. Ähnlich wie die Ärztekammern soll dieses Gremium Standards für gute Pflege setzen. Alle Pflegefachkräfte in Rheinland-Pfalz müssen nun einen Mitgliedsbeitrag zahlen und sich in Zukunft an die Beschlüsse der Kammer halten. Auch in vier anderen Bundesländern wird über die Schaffung solcher Kammern diskutiert, Bayern hat eine freiwilliges Gremium geschaffen. Mai arbeitet gerade daran, eine Berliner Repräsentanz aufzubauen, die Bundespflegekammer heißen soll. "Ich sehe keine andere Möglichkeit, wenn sich die Pflege aus dem Sumpf ziehen will", sagt Mai. "Wenn wir auf andere warten, sind wir verloren." Mai meint die Gewerkschaften.

Verdi organisiert zur Zeit Streiks für Krankenpfleger. In der Berliner Charité haben sie im September eine Woche gestreikt, an diesem Mittwoch sind bundesweit erneut sechs Kliniken im Ausstand. Wichtig seien Notdienstregelungen, sagt Verdi-Sprecherin Astrid Sauermann, damit ganze Abteilungen gesperrt werden und nicht Patienten darunter leiden. Auch für die Altenheime habe man Pläne gemacht, sagt sie. An einem Nachmittag im November sollen die Pfleger in ihrem Haus eine Menschenkette bilden.

© SZ vom 11.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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